Alice Schwarzer ist die einzige junge Feministin, die ihre Texte nicht in Abgrenzung zu Alice Schwarzer schreiben kann und daher selber denken muss. Jüngst feierte sie ihren 70. Geburtstag. Die Freundinnen der Nacht gratulieren! Schon als Kinder haben sie mit Feministinnen gespielt und wissen daher, Feministinnen haben mehr Spaß! Und das kam so …
Die in den 1970er und 1980er Jahren geborenen so genannten „jungen Feministinnen“ haben Alice Schwarzer nicht gerade das zurückgegeben, was sie und ihre Mitstreiterinnen ihnen gegeben haben: Lebensfreude und Respekt. Nun gut, was sollen wir sagen – wei Jahre an einer strengen Feminismusfront, also da, wo die Kommentare immer besonders ernst, autoritär und humorlos wirken; da wo die Shitstorms und die Shitworms landen; da wo eine jeden Stein, der ihr in den Weg gelegt wird, selber wieder wegtragen muss – da wissen wir es gleich noch mehr zu schätzen, wie lange die politische Journalistin schon ausharrt: Alice.
Alice Schwarzer kennt sich mit allen frauenpolitischen, also mit allen Themen aus. Wir nur mit einigen, und die bringen uns schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Alice Schwarzer hat sich schon mit allen rumgestritten. Wir nur mit vielen.
Die einzig coole und vernünftige Position wäre doch heute, mal die über 20 Bücher zu lesen, die Alice Schwarzer schon geschrieben hat; die EMMA zu abonnieren, oder wenigstens regelmäßig die Webseite zu lesen. Und dann erstmal anzufangen, sich eine Meinung zu bilden zu all den vielen Themen, und ja, auch zu Alice Schwarzer. Eine Meinung, die nicht auf Bildzeitungs- bzw. auf „Die Alice hat doch für die Bild geschrieben“- Niveau stattfindet. Denn, by the way, das mit der Bild-Zeitung, das war Punk!
Aber egal, auf bescheuerte, undifferenzierte Vorurteile („Die hat doch was gegen Sex“) kann sie jetzt auch noch Rock’n’Roll tanzen.
„Unsere Urgroßmutter war noch mit 94 die coolste Frau der Familie.“
Eine tolle Frau, die ihr Leben genießt, wird 70! Wir haben übrigens kein Mitleid mit diesem Alter. Denn 70 ist ja noch gar nichts! Unsere Urgroßmutter zum Beispiel war auch noch mit 94 die coolste Frau der Familie. Kein Wunder, denn sie war Feministin.
In den Jahren um 1917/1918 hatte sie wirklich für das Frauenwahlrecht in Deutschland gekämpft. Ja, wir wissen, es ist das große Frauenzeitschriften-Klischee: Unsere Urgroßmütter haben alle für den Feminismus gekämpft … Ah ja? Und seither ist er auch durchgesetzt, nicht wahr? In einem Land, dessen Zeitungen und Zeitschriften auch 95 Jahre später noch zu 98 Prozent von männlichen Chefredakteuren bestimmt werden, das sich aber viel auf seine Meinungsfreiheit und Demokratie zugute hält. Klar.
Aber zurück zu unserer Kindheit mit dieser tollen Urgroßmutter. Sie war die einzige Person in der Familie über die jeder mit Respekt gesprochen hat. Über alle anderen Familienmitglieder wurde hin und wieder auch mal gelästert, wie das in Familien so üblich ist. Nicht so über „die Mutter“. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man stets von ihren guten Taten „für die Frauen“.
Das leuchtete uns sofort ein. Denn nebenbei gesagt war sie die einzige Person in unserer Verwandtschaft (mal von der Kernfamilie abgesehen natürlich), die uns Zwillingsmädchen als Kinder, als wir uns noch viel zu ähnlich sahen, voneinander unterscheiden konnte. Und das, obwohl wir sie nur zweimal im Jahr besuchten, beeindruckte sie uns immer wieder durch ihre Vitalität und Lebensfreude. Und ohne zu zögern schaute sie uns beiden unverwechselbar-verwechselbaren Wesen ins Gesicht und wusste dann wie durch ein Wunder sofort, „wer wer ist“.
In unserer Fantasie waren Feministinnen Menschen, die Mädchen so gern haben, dass sie sogar eineiige Zwillingsschwestern von einander unterscheiden können. Nicht im Traum wären wir auf die absurde Idee gekommen, dass Feministinnen besonders bösartige, männerhassende und genussfeindliche Menschen seien, die andere unterdrücken oder ausgrenzen. Stattdessen fühlten wir: Diese Frau hat Selbstrespekt und deshalb auch Respekt vor allen anderen Menschen. Auch wenn wir es so natürlich nicht hätten formulieren können. Das lernten wir erst später von Alice.
Aber eins stand für die Freundinnen der Nacht schon immer fest: Feminismus hält jung und wach! Und allein das ist für uns Hypochonder natürlich ein Grund Feministin zu sein. Ein Grund für Dauereuphorie gar, für uns, die im 1990er-Jahre-Feminismus Geborenen. Ein Sekt auf Alice Schwarzer: eine sehr moderne Feministin! Sie ist allein schon deshalb so modern, weil sie es schafft, eigene Thesen und Themen brillant, humorvoll, einfühlsam und wissensreich durchzuargumentieren und zu verbinden, in Essays, die den Namen „Essay“ verdienen. Wenn ihr wisst, was wir meinen. Und nicht nur darauf warten, dass die Universität oder die Wellness fabrik oder die Geschichte irgendwas vorgibt, was man dann nur ein bisschen zusammenfassen, abschreiben und mit einer Pseudomoral versehen muss. Am besten, man kriegt noch einen Doktor dafür.
Und natürlich immer schön Fleißiges-Lieschen-mäßig feige in Abgrenzung zur Schwarzer gehen. Weil Fleißiges Lieschen ja schon weiß, dass sie dafür Applaus kriegt. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und dann so tun, als wäre dies eine neue Position. Das musste einfach mal raus. Wir lieben unseren Lippenstift. Gähn, das ja sowieso.
Das ist doch kein neuer Feminismus, das ist alter Machismus. Echter Journalismus geht anders, als Alices Kritikerinnen das selber vorleben. Ganz zu schweigen davon, dass es übrigens auch nicht schaden könnte, mal ein paar Tomaten abzubekommen oder mal das „böse Mädchen“ zu sein. Wenn sich alle immer nur schlechtgelaunt, überkritisch und das Haar in der Suppe suchend hinter dem Schlagzeug verstecken, kriegen wir nie ein Frauen- Orchester zusammen.
Es ist ja okay, den einen oder die zwei Aspekte oder Meinungsverschiedenheiten, die eine an der Alice Schwarzer einfach nicht gut findet, in Gesprächen unter Feministinnen oder Freunden zu benennen. Auch wenn sich das ganz oft gar nicht halten lässt, was dann so kommt, weil die Alice es so gar nicht geschrieben hat, sondern es sich in der Presse gegen sie von selber weitergeschrieben hat. Aber egal!
Aber öffentlich einen ach so feinen „Feldzug“ zu starten, das hat doch eindeutig einen anderen Charakter. Und das neuerliche, von einer dieser altmodischen „Jungfeministinnen“ (Jahrgang 1962) vorgetragene Argument, die Schwarzer würde sich da immer so frontfrauenmäßig aufspielen, und habe nicht mal ein „philosophisches Hauptwerk“ zustande gebracht wie Judith Butler oder Simone de Beauvoir, ist absolut lächerlich.
Soll Miriam Gebhardt doch selber ein „philosophisches Hauptwerk“ schreiben. Zeit dazu wäre. Bisher haben die Freundinnen der Nacht aber noch nichts von Miriam Gebhardt in der „Kategorie“ Feminismus gehört! Hätte sie doch damals einfach weitergemacht, anstatt zu behaupten, die Tatsache, dass Alice Schwarzer polarisiert, habe die Frauenbewegung zerstört.
Hier findet doch ganz klar wieder die klassische „Täter/Opfer“-Umkehr statt, deren Logik einer Feministin bekannt sein sollte. Das Mobbing, das Schwarzer in einer chronisch-sexistischen Presselandschaft logischerweise seit Jahrzehnten abkriegt (und hiermit ist nicht konstruktive Kritik gemeint) wird nicht den Tätern, sondern der Betroffenen vorgeworfen.
Viel vom (jungen) Feminismus begriffen, Frau Gebhardt! Wäre es vielleicht möglich, dass Frauen wie Sie es sind, die seinerzeit den Kick aus der Frauenbewegung genommen haben, weil ihr aktivistisches Niveau nur über das Energielevel einer kaputten Glühlampe verfügt? Es ist ja nichts dagegen einzuwenden und ja auch schön, dass Sie lieber Professorin geworden sind, aber das dann von allen zu verlangen, zeugt auch nicht gerade von einer hellen Birne.
Und das nun fast über ein Jahrzehnt lange strukturelle Ausbleiben einer so genannten „Dritten Welle“ des Feminismus in Deutschland nicht mitzubedenken, ist ein weiterer blinder Fleck Ihrer Arbeit. Davon abgesehen hat hier zu gelten, was der kluge dadaistische Songwriter Kristof Schreuf kürzlich lässig in einem Kneipengespräch bemerkte: „Alice Schwarzer ist wie einst ein Philosoph: Alle wissen, dass sie Recht hat, aber die Meute hat nicht die Geduld ihr zuzuhören.“
Aber das macht nichts. Hauptsache Alice Schwarzer hat Geduld. Sie wird es der Meute und allen anderen Gebhardts noch weitere tausende Male erklären müssen, durch genaues Hinschauen, mit allen Facetten und Details und unmissverständlichen Fakten und in immer neuen Variationen des Grundsatzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
In dem Land, in dem Alice Schwarzer vor 70 Jahren geboren wurde, grenzt diese Erkenntnis scheinbar immer noch an höhere Philosophie – und klingt wie Musik in unseren Ohren.