Jetzt reicht es: Adieu, LSVD!

Foto: Bettina Flitner
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Liebe Ex-MitstreiterInnen,

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ich weiß gar nicht, wie lange ich schon Mitglied im LSVD bin, es müssen mindestens 20 Jahre sein. Jetzt aber trete ich aus, denn ich fühle mich als lesbische Frau von euch nicht nur nicht mehr vertreten, sondern verraten. Dass ihr das Buch über Transsexualität, das Alice Schwarzer und ich gemeinsam herausgeben, als „gefährlich“ und „unverantwortlich“ diffamiert, ist dabei nur der letzte Tropfen. Seit geraumer Zeit beschimpft ihr Frauen, auch die lesbischen, als „transphob“, die befürchten, unter die Räder des „Trans Train“ (so der Titel einer sehr sehenswerten schwedischen TV-Doku) zu geraten und interessiert euch null für deren Argumente und berechtigte Ängste.

Jetzt aber zum Buch und euren „Kritikpunkten“.

Ihr behauptet: „Das Buch basiert auf der Behauptung, dass es einen aktuellen Trend gäbe, bereits bei einer Rollenirritation zu schnell mit schwerwiegenden Hormonbehandlungen und Operationen zu reagieren. Bereits diese Ausgangsthese ist falsch.“

Tatsächlich? Es ist aber genau das, was Betroffene, Eltern und TherapeutInnen berichten, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in allen westlichen Industrieländern – wo die Zahl der jungen Frauen, die sich für „trans“ halten, um 4.000 Prozent gestiegen ist. Nachzulesen nicht nur in unserem Buch (für das wir mit Betroffenen, Eltern und TherapeutInnen gesprochen haben), sondern auch auf den Websites von Elterninitiativen, MedizinerInnen-Netzwerken und sogenannten De-Transitionierern, also Menschen, die nach einem Geschlechtswechsel den Weg wieder zurückgegangen sind.

Wir bekommen reihenweise Briefe von Eltern, die verzweifelt sind, weil sie keine TherapeutInnen mehr finden, die den Transitionswunsch ihres Kindes auch mal hinterfragen. Stattdessen erzählen uns Betroffene von der Diagnose „Transsexualität“ gleich in der ersten Therapiestunde und einer Überweisung zum Endokrinologen.

Mehrere Länder wie England oder Schweden haben schon die Reißleine gezogen

In Großbritannien haben, wie ihr natürlich wisst, viele MedizinerInnen aus Protest gegen leichtfertige Hormonbehandlungen von Kindern und Jugendlichen die Gender-Ambulanzen verlassen. Mehrere Länder - wie Schweden, Finnland, England oder Australien - haben die Reißleine gezogen und der therapeutischen Behandlung jetzt wieder den Vorrang vor der medikamentösen gegeben.

Ihr behauptet: „Es gibt medizinische Leitlinien. OPs finden vor Vollendung des 18. Lebensjahres nur sehr selten statt.“

Ich muss leider annehmen, dass ihr der Öffentlichkeit bewusst etwas verschweigt. Denn diese Leitlinien, in denen Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit „Geschlechtsdysphorie“ festgelegt werden, sind Makulatur. Gerade werden sie von den medizinischen Fachgesellschaften überarbeitet. Und wie ihr natürlich wisst, zeichnet sich ab, dass die - rechtlich ohnehin unverbindlichen - Altersgrenzen, die es jetzt noch gibt, künftig fallen werden. Dann sind Brustamputationen und die Entfernung von Gebärmutter oder Eierstöcken schon bei Jugendlichen möglich.

Wie kommt es überhaupt, dass ich ausgerechnet von einem Verband, der sich für die Rechte von Lesben einsetzen sollte, nichts höre darüber, dass gerade junge Mädchen, die sich in Mädchen verlieben, Gefahr laufen, dem „Ich-stecke-im-falschen-Körper-und-war-schon-immer-ein-Junge“-Narrativ zu glauben, das im Internet massenhaft verbreitet wird.  

Wir bekommen Briefe von transsexuellen Menschen, die sich bei uns bedanken

Ihr behauptet: „Verführungsthese: Kinder und Jugendliche ‚werden‘ nicht trans*, weil sie davon erfahren.“ Und: „Allen Ernstes zitiert Schwarzer einen Psychologen, der behauptet: ‚Heute erklären schon Achtjährige nach dem Blick auf ihr Smartphone, sie seien ‚transsexuell‘.“    

Die These von der „Social Contagion“, also „sozialen Ansteckung“, ist durch zahlreiche Studien belegt, nicht nur von der amerikanischen Verhaltensforscherin Prof. Lisa Littman in Bezug auf „trans“, sondern auch für andere Phänomene. Einfach mal nachlesen (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0202330)

Der zitierte „eine Psychologe“ ist Prof. Friedemann Pfäfflin. Er ist Mitglied der „World Professional Association for Transgender Health“ (WPATH) und hat seit 1971 rund 3.000 transsexuelle Menschen behandelt und begleitet. Das internationale Netzwerk aus MedizinerInnen entwickelt seit 1979 die Diagnose- und Behandlungsrichtlinien für transsexuelle Menschen, Professor Pfäfflin war von 1995 bis 1997 Präsident der WPATH. Vielleicht wäre es hilfreich, diesen Pionier, seine jahrzehntelange Erfahrung und seinen kritischen Blick auf die jüngste Entwicklung ernst zu nehmen?

Zumal ja Pfäfflin keineswegs der einzige Angehörige der WPATH ist, der diese Entwicklung mit Sorge sieht. Wie in unserem Buch nachzulesen ist, haben erst kürzlich zwei weitere Mitglieder die „schlampige Gesundheitsversorgung“ von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie kritisiert und erklärten: „Wir werden mehr junge Erwachsene haben, die ihre Entscheidung bereuen.“ Die Chirurgin Dr. Marci Bowers und die Psychologin Erica Anderson sind übrigens selbst transsexuell.

Statt uns mit der AfD gleichzusetzen, solltet ihr eine offene Diskussion ermöglichen

Wir bekommen übrigens zunehmend Briefe von transsexuellen Menschen, die sich bei uns bedanken: Auch sie sehen die aktuelle Entwicklung mit Sorge, denn sie wissen aus eigener Erfahrung, was für ein tiefgreifender Schritt die Entscheidung für eine Transition ist, und wünschen sich, dass gerade sehr junge Menschen diese Entscheidung gründlich prüfen. Außerdem haben wir - wie ihr wisst, aber nicht schreibt - auch für unser Buch mit Transmenschen gesprochen: auch mit solchen, die glücklich mit ihrer Entscheidung sind.

Ihr sagt: „Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass Geschlecht mehr als Genitalien oder Chromosomen ist.“ Stimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch erklärt, dass der „Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung“ auch eine „Lösungsschablone für psychotische Störungen, Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern oder für die Ablehnung einer homosexuellen Orientierung“ sein könne. Weshalb das Gericht vor einem Geschlechtswechsel einen „längeren diagnostisch-therapeutischen Prozess“ für sinnvoll hält. 

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Was ich von euch als meinem Verband erwartet hätte: Dass ihr, anstatt uns reflexhaft mit der AfD gleichzusetzen, eine offene Diskussion ermöglicht. Dass ihr kritischen Stimmen Raum gebt: Eltern, TherapeutInnen, vor allem aber auch jenen Transmenschen, die angesichts auch eures rigiden Tons in der Community schon gar nicht mehr wagen, ihre Kritik öffentlich zu äußern.

Und ich hätte erwartet, dass ihr nicht nur – berechtigterweise – die Diskriminierung von Transmenschen anprangert, sondern auch die Diffamierung kritischer Frauen als „TERF“ (Trans Exclusionary Radical Feminist“) und ihre Bedrohung durch Transaktivisten, deren Social Media Accounts ein Statusbild mit Baseballschläger zeigen.

Ich hätte auch erwartet, dass ihr euch zu Wort meldet, wenn Lesben, die keinen Sex mit Transfrauen mit Männerkörpern haben wollen, als „transphob“ beschimpft werden. Und ich hätte erwartet, dass ihr euch vor das LesbenFrühlingsTreffen stellt, als ihm die Gelder entzogen wurden, weil es sich mit diesen Problemen befassen wollte.

Bei alledem seid ihr leider ein Totalausfall. Um es mit euren Worten zu sagen: Was ihr behauptet, ist „grundlegend falsch“ und „unverantwortlich“, weil ihr IdeologInnen seid, die ihr Ding durchziehen wollen. Dass gerade lesbische Mädchen und Frauen dabei auf der Strecke bleiben, ist euch egal. Deshalb trennen sich jetzt unsere Wege. Es wurde Zeit.

CHANTAL LOUIS

 

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Alice Schwarzer/Chantal Louis (Hrsg.): Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift (Kiepenheuer & Witsch).

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