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Birgit Minichmayr: Die Naturgewalt

Foto: Reinhard Werner/Burgtheater
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Nike-Jacke, kaum Make-up, wuscheliges Haar, androgyner Look: Fast würde man Birgit Minichmayr noch nicht einmal erkennen, wenn man ihr direkt gegenübersteht. Da macht jemand erstaunlich wenig Aufheben um seine Person. Sie wirkt schmächtig im Vergleich zu den Theaterauftritten: In der Burg, wie die Wienerinnen und Wiener liebevoll zu ihrem Nationaltheater sagen, gilt „die Minichmayr“ – wie nur die wirklich großen Stars genannt werden – als Naturgewalt. Man staunt stets aufs Neue, welch kraftvolle, leicht heiser wirkende Stimme da bis zum letzten Rang dröhnt. Aus welchen Untiefen diese Ausnahmeschauspielerin ihre Töne holt. Wie sie sich Abend für Abend verausgabt.

Wie wenig die meisten Fans die zierliche Frau und die Bühnengigantin zusammenbringen, zeigt eine Anekdote aus dem Jahr 2007. Minichmayr verkörperte da den Narren in Shakespeares „König Lear“ als tänzelnde Chaplin-Figur mit wildem Haar, mal polternd rüpelhaft, mal kindlich naiv. Holly­wood-Star Cate Blanchett stürmte nach der Vor­stellung begeistert hinter die Bühne. Wo ist der Narr, soll sie gerufen haben, er sei einfach „unbelievable“ gewesen. Sie fragte ausgerechnet Minichmayr, die bereits umgezogen war. Regisseur Luc Bondy zeigte amüsiert auf Minich­mayr: „There she is.“

Gerade ist sie in Thomas Bernhards einstigem Skandalstück „Heldenplatz“ am Burgtheater zu sehen: Ausgerech­net als Mumie beinahe bis zur Bewegungsunfähigkeit eingeschnürt, schmettert sie die provokanten Bernhard-Sätze („Sechseinhalb Millionen Debile, die nach einem Regisseur schreien“) ins Publikum. Minichmayr liebt es, komisch zu sein – aber so, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

Auch im Film beweist sie Wandlungsfähigkeit – und bleibt sich doch treu. Zurzeit ist sie als fahrerflüchtige Polizistin und berühmte Malerin auf der Leinwand zu sehen. Ihren Filmfiguren verpasst sie stets etwas Sprödes, Suchendes, Widerborstiges.

In der Tragikomödie „Andrea lässt sich scheiden“ spielt sie eine wortkarge Polizistin in der Provinz. Nach einer Geburtstagsfeier fährt sie ihren betrunkenen Ex-Mann an – und begeht Fahrerflucht. Stoisch und ständig schlecht gelaunt stapft Minichmayr durch den Film, als wäre sie in einem modernen Western gelandet. In einem Interview erzählt Regisseur Josef Hader, dass in Testvorführungen ältere Herren pikiert gewesen wären, dass die Protagonistin nicht emotionaler agieren würde. Aber genau das ist die Stärke dieses Films: Minichmayr spielt keine zerbrechliche Figur, sie kämpft sich wie ein Cowboy durch die enge Provinzmentalität.

Auch als Darstellerin der österreichischen Malerin Maria Lassnig spielt sich viel auf dem fragenden, suchenden Gesicht von Minichmayr ab. „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz zeigt die Biografie der unangepassten Malerin, Minichmayr verkörpert sie von der Jugendlichen bis zur 90-Jährigen. Wie die überragend Kreative dem Kunstbetrieb miss­traut und dabei völlig uneitel agiert, das gelingt Minichmayr famos beiläufig und unangestrengt.

Aufgewachsen ist Birgit Minichmayr auf einem Bauernhof in der Nähe von Linz, das zupackend Bodenständige ist ihr geblieben. Sie war früh ein Star. Bereits während ihres Schauspielstudiums am Max Reinhardt Seminar wurde sie mit 22 ans ehrwürdige Burgtheater engagiert. Sesselkleberin war sie nie. „Die Vorstellung, ein Leben lang am Burgtheater zu bleiben, bedrohte mich eher. Ich hatte Angst, dass man mich irgendwann einfach nicht mehr sehen wollen würde“, sagte sie 2015 in einem Interview. 2004 wechselte sie an Frank Castorfs experimentierfreudige Berliner Volksbühne. Mittlerweile ist sie wieder Ensemble-Mitglied am Burgtheater, hat zahlreiche Alben mit Songs aufgenommen – ursprünglich wollte sie Opernsängerin werden. Und seit 2018 ist sie Mutter von Zwillingsmädchen. In Wien sieht man sie oft in Vorstellungen von anderen im Zuschauerraum sitzen: Sei es bei den wagemutigen Choreografien von Florentina Holzinger oder den geheimnisvoll-düsteren Inszenierungen einer Gisèle Vienne. Obwohl Birgit Minichmayr eine 100.000-Volt-Schauspielerin ist, kann sie sich eben auch perfekt zurücknehmen.

Birgit Minichmayr spielt zurzeit am Wiener Burgtheater: „Der Raub der Sabinerinnen“, „Heldenplatz“ und „Maria Stuart“. Termine: www.burgtheater.at „Mit einem Tiger schlafen“ ab 23. Mai im Kino.

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