Pro & Contras stießen hart aufeinander

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Während Deutschland und Holland Prostitution und Freiertum salonfähig machen, sagt Schweden dieser "modernen Sklaverei" den Kampf an. Es geht mit Strafen gegen Freier und Zuhälter vor. Bei dem von EU-Grünen arrangierten Treffen in Brüssel kam es jetzt zum Eklat. Nur die Vertreterinnen eines Landes schwiegen.  -  Was die EMMA-Reporterin so hörte und sah.

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Wie lange dauert es in diesem ‚fortschrittlichen‘ Europa noch, bis Frauen die gleichen Aufstiegsmöglich­keiten wie Männer haben?“ Das fragte 1975 die weltbekannte deutsche Grüne Petra Kelly, damals noch EU-Beamtin, in einem Artikel zum Internationalen Jahr der Frau. Mehr als ein Vierteljahrhundert später, Anfang Februar 2003, geht es im Petra-Kelly-Konferenzraum des Europäischen Parlaments in Brüssel um Prostitution.
Eingeladen zu dem Hearing hat die grüne EU-Fraktion, und 150 TeilnehmerInnen aus 15 Ländern sind gekommen. Gleich dutzendweise aus Frankreich, Schweden und den Niederlanden. Aus Deutschland sind gerade mal drei angereist. Am Nachmittag steigt die Zahl für kurze Zeit auf vier – die deutsche Europa-Abgeordnete und grüne Frauenexpertin Hiltrud Breyer gesellt sich für eine halbe Stunde dazu. Sich und ihren Kinderwagen parkt sie in der ersten Reihe, packt in aller Ruhe Fläschchen und Spielzeug für die Tochter aus.
„Männer, die zu Huren gehen, wird es immer geben.“ Das steht für Nelly Maes aus Belgien unabdinglich fest. Gunilla Ekberg aus Schweden sieht das ganz anders: „Frauenkörper sind keine Ware. Niemand hat das Recht, sie zu kaufen.“
Erlauben oder Verbieten? Legalisieren, liberalisieren oder bekämpfen? Welcher Weg ist richtig? Und vor allem: Welcher hilft den Frauen wirklich? Mit einem „Schwarz-Weiß-Kontrast“ wollen die Organisatorinnen Heidi Hautula (Finnland), Nelly Maes und Patsy Sörensen (beide Belgien) aus der grünen EU-Fraktion die Debatte europaweit anregen. Gezielt stellen sie darum am 3. Februar in Brüssel die krass konträren Modelle aus den Niederlanden und Schweden vor. Also: hier die Auf­hebung des Bordellverbots und Anerkennung als „Beruf wie jeder andere“ – da die Ächtung der Prostitution (nicht der Prosti­tuierten) und die Bestrafung der Freier.

In den 50er und 60er Jahren sei Schweden für Holländer das Land der „sexuellen Freiheit und Gleichheit“ gewesen, erklärte Nelly Maes, aber inzwischen seien die Skandinavier ja „prüde und puritanisch“ geworden. Im Gegensatz zu den „sexuell befreiten“ Niederlanden? Dort ist Prostitution seit Oktober 2000 ein Dienstleistungsgewerbe mit den ­gleichen gesetzlichen Rechten und Pflichten wie andere Wirtschaftszweige, und Bordelle sind die Arbeitsplätze von so genannten Sex-Arbeiterinnen. Vorausgesetzt, sie tun es „freiwillig“. Menschenhändler und Zuhälter, die Frauen zur Prostitution zwingen, werden auch in Holland weiterhin mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft.
Der Grundgedanke des Amsterdamer Modells ist nicht weniger, sondern freiere Prostitution. „Illegalität macht abhängig. Prostituierte brauchen Rechte“, fasst es Sietske Altink von „De Rode Draad“, dem Berufsverband für Sex-Arbeiterinnen, zusammen. Die Wirklichkeit ist allerdings nicht ganz so frei. Denn diese Rechte gelten nur für Holländerinnen. Doch 70 bis 80 Prozent der etwa 25.000 Prostituierten von Breda bis Den Haag sind Immi­grantinnen.
Die Lage dieser „Sex-Sklavinnen“ hat sich nach der Anerkennung der Prosti­tution als Beruf verschlechtert, erzählt Licia Brussa von Tampep (Transnational AIDS/STD prevention among Migrant Prostitutes in Europe Project). Grund: Diese Ausländerinnen ohne Aufenthaltserlaubnis müssen sich nun nicht mehr nur vor der Polizei verstecken, sondern auch vor einer Vielzahl anderer Behör­den. Zum Beispiel vor Finanzämtern und Krankenkassen. Licia Brussa: „Als anerkannter Wirtschaftszweig ist die Pros­ti­­tution ein Teil des ganzen adminis­tra­tiven und sozialen Systems der herkömmlichen Arbeitswelt geworden.“
Durch die neue Legalität werden Ausländerinnen in eine doppelte Illegalität getrieben: Ohne Aufenthaltserlaubnis und ohne die nun auch noch notwen­dige Ar­beits­geneh­mi­gung sind sie völlig rechtlos – und noch mehr der Willkür von Zu­hältern ausgeliefert als früher.
„Es hat sich weniger geändert als erwar­tet“, klagt auch Anna Gerardina Korvinus, die in Brüssel für die niederlän­dische Regierung berichtet. Allerdings gibt es die für Amsterdam so typische Schaufensterprostitu­tion nicht mehr. Nicht nur die Ausländerinnen sind aus den Auslagen im Rotlichtmilieu ver­­schwunden, sondern auch die Inländerinnen. Sie zie­hen die Unsichtbarkeit und Illegalität vor, weil sie die mit dem neuen Gesetz fälligen Steuern und Sozial­abgaben nicht zahlen wollen.
Das schwedische Modell hingegen geht davon aus, dass es keine tatsächliche Gleichberechtigung geben kann, solange Frauen und Kinder wie Konsumgüter gekauft und verbraucht werden. Die Stockholmer Gesetze stellen darum seit 1999 den „Kauf sexueller Dienstleistungen“, also die Freier, unter Strafe – nicht aber die Prostituierten (siehe Kasten).
Der Position Schwedens hat sich die gesamte European Women’s Lobby (EWL), der Dachverband aller europäischen Frau­en­verbände, angeschlossen. Für sie ist die Un­terscheidung zwischen „freier“ und „erzwungener“ Prostitution falsch. „Denn eine freie Wahl ist immer relativ“, betont die EWL – das heißt: abhängig von emo­tio­­nalen, sozialen, wirtschaftlichen und strukturellen Zwängen. Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister im Petra-Kelly-Saal.
Scheinbar freiwillig oder sichtbar gezwungenermaßen – in Schweden gilt jede Art von Prostitution grundsätzlich als sexuelle Gewalt. „Welchen Zweck hat es, häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung strafrechtlich zu ahnden, wenn die gleichen Männer in ein Bordell gehen können, um sich die weibliche Unterwerfung dort völlig legal zu kaufen“, argu­mentiert Gunilla Ekberg, die Beraterin der schwedischen Regierung für Prostitution und Frauenhandel. In Gesellschaften, in denen manche Frauen käuflich sind, klagt die auf internationales Recht spezia­lisierte Juristin und Menschenrechts­expertin, sind für Männer alle Frauen potentielle Objekte. Und das wollen die SchwedInnen nicht länger hinnehmen.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Januar 1999 bis Oktober 2002 wurden in Schweden 360 Freier festgenommen und 200 verurteilt. Bisher ging die Polizei vor allem gegen Straßenprostitution vor, jetzt rücken verstärkt auch Bordelle ins Visier. Denn die Akzeptanz in der Bevölkerung für das Gesetz gegen die Käufer von Frauen ist in den vergangenen Jahren auf bis zu 80 Prozent gestiegen, berichtet Gunilla Ekberg nicht ohne Stolz.
Doch die Holländerinnen in Brüssel sind nicht überzeugt. „Habt ihr was dagegen, dass Frauen außer Haus arbeiten, mehrere Partner haben, Sex und Liebe trennen?“, provoziert Sietske Altink aus Amsterdam die Stockhol­merinnen. Und setzt noch eins drauf: „Einer Kassiererin macht ihr Job auch keinen Spaß, aber sie macht ihn, um Geld zu verdienen.“ Das sei bei Prostituierten nicht anders: Sie seien Sex-Arbeiterinnen, die eine Dienstleistung feilbieten – wie eine Friseurin das Haareschneiden.
Raunen im Saal und empörte Zwischenrufe aus der schwedischen Delegation. Aber Nelly Maes auf dem Podium legt nach: Die „Erfolgsstory“ der Schwedinnen sei geschönt. Beweis, so die grüne Europaparlamentarierin: Eine Nicht-Regierungs-Organisation aus Schweden habe abge­sagt, weil sie befürchtete, dass ihr die staatlichen Zuschüsse gestrichen werden, wenn sie auf dem Hearing in Brüssel die schwedische Anti-Pros­titutionspolitik kritisiert.
Jetzt ist der Eklat perfekt. Die schwe­­dische Delegation verlangt em­pört eine öffentliche Entschuldigung von der holländischen Grünen. Ansonsten wollen die SchwedInnen das Hearing unter Protest verlassen. In der Mittagspause wird heftig diskutiert. Gegessen wird an getrennten Tischen. Zu Beginn der Nachmittagsrunde entschuldigt sich Nelly Maes, wenn auch eher flapsig. Die Fronten bleiben verhärtet in dem Brüsseler Konferenzsaal, der den Namen einer berühmten Pazifistin und Feministin trägt.
Sind Prostituierte wirklich „Abenteu­rerinnen“ – wie die Französin Fran­çoise Guillemaud von dem „Prostituierten-Verein“ Cabiria behauptet? Und warum hat sich eigentlich in Deutschland über ein Jahr nach der rot-grünen Lega­lisierung von Prostitution noch keine einzige deutsche Prostituierte sozial­versichert? Das fragt die Klein­kind­mutter und grüne EU-Abgeord­nete Hiltrud Breyer aus Saarbrücken. Die Antwort weiß keine. Auch nicht die Vertreterin des Berliner Frauenministe­riums.
Die Europäische Union wächst, vor allem gen Osteuropa. Ab dem 1. Mai 2004 gehören Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn dazu. Laut Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration werden bereits jetzt jährlich rund 100.000 Frauen vorwiegend aus Ost- und Mitteleuropa in die EU verschleppt. Die meisten landen in Westeuropa auf dem Strich oder in Bordellen. Deutschland ist dabei eines der wichtigsten Transit- und Zielländer. Die – im besten Falle – naive „Legalisierungsstrategie“ der rot-grünen Regierung in Berlin, die illegale Prostituierte aus dem Ausland ignoriert und nur inländische Huren begünstigt, wird da schnell überrannt werden.
Schade, dass Hiltrud Breyer, die einzige deutsche EU-Politikerin auf dem Brüsseler Hearing, ihren Kinderwagen schon nach einer halben Stunde von dannen schiebt, statt noch mal nachzubohren. Schließlich hat die Grüne aus Saarbrücken eine der wichtigsten ­Fragen gestellt: Nämlich die, wem die wort­führend von Holland und Deutsch­land propagierte Legalisierung der Prosti­tution denn eigentlich wirklich nutzt. Petra Kelly, nach der der Kon­ferenzsaal benannt ist, hätte die Antwort bestimmt auch interessiert. Und wie die Schwedinnen hätte sie sich vermutlich über die Holländerinnen geärgert. Hatte die Gründerin der deutschen Grünen 1975 in ihrem Text zum Jahr der Frau gefragt: „Warum müssen wir uns als prüde beschimpfen lassen, wenn wir keine Modepuppen oder Lustobjekte sein wollen?“    

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Dossier: Prostitution abschaffen! (3/03)
EMMA Kampagne Prostitution

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