Carla im Glück

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Die Chefanklägerin des UNO-Kriegstribunals in Den Haag hat schon im Tessin gerne gejagt. Nur manchmal hat sie überraschende Skrupel. Allerdings nicht im Fall von Milosevic.

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Tritt sie auf, glaubt man Trommelwirbel zu vernehmen. Fixiert sie ihr Gegenüber, hört man Handschellen klicken. Durchmisst sie forschen Schrittes einen Raum, widerhallt das Stakkato ihrer Absätze. Und immer umschwirrt sie, schöner als jedes Acces- soire, ein auffälliges Rudel attraktiver Leibwächter. So viel Imagepflege verfehlt ihre Wirkung nicht. Jedes Publikum der Welt glaubt sofort: Wer so auftritt, nimmt es mit jedem auf. Egal, wo und gegen wen.
Die ersten Gefangenen, die sie machte, waren Vipern. Sie hielt sie in Kartonschachteln unter ihrem Kinderbett. Später stieg das Kaliber ihrer Beute: Die Tessiner Staatsanwältin wurde zur gefürchteten Geldwäscher- und Mafia-Jägerin. Dass sie in der Hitze des Gefechts hin und wieder einen Falschen erwischte, nahm man gern in Kauf. Carla Del Ponte ist eben eine ungeduldige Frau. Selbst ihre beiden Ehen hatte sie, kaum begonnen, wieder hinter sich.
Sitzungen pflegt sie mit Helikoptern anzufliegen, und zum Abendessen ans andere Ufer des Lago Maggiore brauste sie im Polizeiboot. Unerhört rasch sind auch ihre Entscheidungen über schuldig und unschuldig. Pech für die Betroffenen, wenn sie sich irrt. Den deutschen Kleinunternehmer Hans Zemp trieb sie mit etlichen Untersuchungshaften in den Ruin, obwohl es später nicht mal zur Anklageschrift reichte. Den angeblichen Carlos-Komplizen Bellini ließ sie jahrelang schmoren, bis man ihn endlich mangels Beweisen freiließ.
Im Ausland ist ihr Ruf besser. Dort goutiert man ihre Pressekonferenzen, wo sie mit der sexy Stimme der Kettenraucherin dunkle Andeutungen über dunkle Mächte macht. Dort gilt sie noch immer als unbestechliche Ermittlerin, als beharrliche Kämpferin gegen das Schweizer Bankgeheimnis, die Mafia und kolumbianische Drogenkartelle. Und niemand fragt sich, warum sie ihrem Parteifreund Gian- carlo Cotti, mit Übernamen Johnny Dollaro, erst einen Persilschein ausstellte, aber nur Tage später eine Hausdurchsuchung veranlasste.
Carla kann die Wehleidigkeit ihrer Opfer nicht verstehen. Als Wirtstochter im hinteren Maggiatal mit drei Brüdern aufgewachsen, hat sie früh gelernt zu kämpfen. Bald wusste sie auch, wo sie als Juristin hingehörte: keinesfalls auf die Seite der Verteidigung, sondern auf die Seite der Staatsanwaltschaft. Ihr Spaß an der Macht wuchs mit jedem Karriereschritt. Welch Hochgefühl, als Tessiner Staatsanwältin schneidig wie im Kino eine Bank zu betreten und die "ragazzi" zu Beschlagnahmungen aller Art ausschwärmen zu lassen.
Was ihre Feinde am meisten erbittert: Carla Del Ponte hat Fortüne. Als Mafiajägerin im Tessin diente ihr einer der besten V-Männer der Welt, Fausto Cattaneo. Und ein überaus glücklicher Zufall festigte ihren Ruf als todesmutige Mafiajägerin für alle Zeiten: Um ein Haar wäre sie auf Sizilien, zusammen mit dem Mitkämpfer Giovanni Falcone, bei einem Sprengstoffanschlag in die Luft geflogen.
Den Job als Chefanklägerin am Uno-Kriegstribunal trat sie just rechtzeitig an. Erstmals in der Geschichte konnte sie drei Männer wegen Vergewaltigung als Kriegsverbrecher ins Gefängnis werfen. Das brachte ihr weltweit Lob ein für die "Feminisierung" des Tribunals. Noch publizitätsträchtiger gestaltete sich ihre Jagd auf Slobodan Milosevic. Wie bühnenwirksam fegte jetzt Carla durch Ex-Jugoslawien! Bald drohend, bald barsch, als handle es sich um ein Verhör, setzte sie den neuen jugoslawischen Machthabern zu: Her mit Milosevic! Und überaus südländisch sprang sie vom Verhandlungstisch auf, als der jugoslawische Präsident nicht gleich in Achtungstellung vor ihren Auslieferungswünschen erstarrte. So was filmt die Welt gern.
Am schmerzlichsten vermisst sie in Den Haag eine eigene Polizei. Das Tribunal besitzt keine Eingreiftruppe, kann niemanden festnehmen.  Das Tribunal tat sich erst schwer mit der neuen Chefanklägerin. Man stieß sich daran, dass Carla Del Ponte, anders als ihre der demokratischen Gepflogenheiten bewusstere Vorgängerin, ihr Wissen in sparsamen Brocken unter ein sorgsam ausgewähltes Volk streute. Gewöhnungsbedürftig ist auch ihr Hang zu quietschenden Reifen und Statussymbolen aller Art. Wie beflissen umhuschte ihre mitgebrachte Entourage die Chefin. Wie festungsähnlich ihre Kostüme, die das Quadratische von Körper und Seele noch unterstreichen.
Warum die Amerikaner sie als Nachfolgerin der unbequemen und vorzeitig abservierten Louise Arbour haben wollten, bleibt ein Rätsel. Denn sie haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie den Gerichtshof für einen nutzlosen Schwulst halten. Es dauert ihnen zu lang, bis wieder ein jugoslawischer Folterer auf der Anklagebank sitzt. So was pflegen die Amerikaner hemdsärmliger und rascher zu erledigen: Einmal mit der Streichung von Wirtschaftshilfe gedroht, und schon sitzt, wie eben geschehen, der meistgesuchte Kriegsverbrecher von allen, Slobodan Milosevic, im Belgrader Zentralgefängnis. Als hätte sie ihn selbst zur Strecke gebracht, wirft sich Del Ponte ins Mediengetümmel. Noch nie hat die Welt ihr eifriger gelauscht. "Noch dieses Jahr", verspricht sie, vollmundig wie immer, "wird Milosevic vor dem Kriegstribunal stehen. Länger warte ich nicht".
Carla im Glück. Im Tessin freilich macht ihr Triumph wenig Eindruck. Warum, murrt man dort, hat sie nicht schon längst das Milosevic-Vermögen gesucht, das im Tessin liegen soll und vielleicht just in dieser Stunde mit Hilfe der Banken an unverdächtigere Orte verschoben wird? Gibt es schon wieder wen zu schonen?
Margrit Sprecher, EMMA 3/2001
Der Text erschien zuerst in der Schweizer Weltwoche

 

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