Gefahr für Gleichberechtigung?

Durch die Corona-Krise: Zurück in das Rollenmodell der 50er Jahre?
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Feminismus? Echt jetzt? Das ist doch wohl - in Zeiten von Corona - nicht das Thema? Doch ist es! Denn eine Epidemie (und wir haben ja sogar eine Pandemie) vergrößert so ziemlich alle Ungleichheiten, die es gibt. Die nach Geschlecht am deutlichsten. Jede sozioökonomische Krise trifft die, die am wenigsten haben, am härtesten. Das sind weltweit in allen Gruppen noch immer die Frauen. Seit der Finanzkrise prostituieren sich beispielsweise Frauen in Griechenland für sieben Euro pro Stunde.

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Ebola, SARS, die Schweine- und die Vogelgrippe hatten - global gesehen - langanhaltende Auswirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, wie Studien belegen. Je ärmer das Land, desto andauernder. In Afrika stieg während und nach Ebola die Mütter- und Säuglingssterblichkeit rasant an, die Bildung von Mädchen fiel weit zurück – sie wurden zuhause gebraucht, durften nicht zur Schule gehen. In allen von diesen Seuchen betroffenen Ländern kehrten Männer schneller auf ihr Gehaltslevel zurück und hatten bessere Zukunftsperspektiven.

Wer wird seinen Job für die Betreuung opfern?

Dieses Prinzip zeigt sich auch in Corona-Zeiten. Jetzt, wo die bezahlten Frauenberufe (Lehrerinnen, häusliche Pflegerinnen, Betreuerinnen) auf Eis gelegt sind, springen Frauen unbezahlt ein. Sie stecken im Beruf zurück, einer muss sich ja kümmern - und einer muss ja den Schinken nach Hause bringen.

Viele Familien rutschen so gerade in Rollenmuster aus Zeiten vor der Frauenbewegung. War bislang bei einem Zwei-Verdiener-Paar die Betreuung ausgelagert, bricht diese nun weg. Wenn ein Job für die Betreuung der Kinder geopfert werden muss, dürfen wir dreimal raten, wessen Job es sein wird. Noch immer verdienen Männer 21 Prozent mehr Geld, arbeiten zu 90 Prozent in Vollzeit. Jede dritte Frau in Deutschland aber arbeitet in Teilzeit (in Westdeutschland 46 Prozent, in Ostdeutschland 27 Prozent). Das gleiche Prinzip gilt, wenn ältere Menschen, die sich von Corona erholen, gepflegt werden müssen. Wer wird sie wohl pflegen? Und wer macht gerade den Haushalt? Wer macht mit den Kindern die Schulaufgaben, hält sie bei Laune?

Am härtesten trifft es die Alleinerziehenden, und das sind zu über 90 Prozent Frauen. Auch ohne Corona sind sie die Gruppe, die am stärksten von Armut betroffen ist und das größte Risiko läuft, in die Altersarmut abzurutschen. Corona verschärft ihre ohnehin schon brenzlige Situation.

Es fängt ja schon mit der Job-Aufteilung an. Homeoffice können natürlich all jene leichter machen, die nur die Räume, also das Office wechseln müssen. Den Großteil aller Schreibtischjobs machen Männer. Frauen aber arbeiten größtenteils in Berufen mit Menschen. Festangestellte sind noch relativ gut geschützt vor Arbeitslosigkeit. Zwei Drittel aller – leicht kündbaren - Minijobs werden aber von Frauen gemacht. Millionen von Frauen werden durch die Coronakrise ihren Job verlieren.

Millionen Frauen werden ihren Job verlieren

Und sich zu isolieren fällt in einem großen Haus natürlich leichter als in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Die steigende Männergewalt ist ein trauriger Beleg dafür. In Wuhan verdreifachte sich während der Quarantäne-Maßnahmen die Gewalt gegen Frauen und Kinder, auch in Deutschland schlagen die Frauenhäuser Alarm (EMMA berichtet). Lehrerinnen von Brennpunktschulen sorgen sich um das Wohlergehen ihrer SchülerInnen. Für Hunderttausende Kinder ist die Schule das einzig geregelte Leben, das sie haben. Selbst krank gingen sie bislang lieber zur Schule als es zuhause auszuhalten. Für sie und ihre Mütter ist Corona ein einziger Alptraum. Vor dem Täter im eigenen Haus gibt es kein Entfliehen.

Dass Männergewalt kein „Corona-Thema“ in der aktuellen politischen Diskussion ist - obwohl Frauenhäuser und Frauenorganisationen Alarm schlagen -, zeigt, welchen Stellenwert Themen der Gleichberechtigung in Zukunft haben werden. Die Unabhängigkeit von Frauen geht gerade flöten. Geräuschlos. Das darf nicht passieren: Geschlechtergerechtigkeit muss zum Thema gemacht werden! Gerade jetzt: Es lebe der Feminismus!

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Corona & Männergewalt

Foto: imago images / Arnulf Hettrich
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Es wird eng. Im wahrsten Sinne des Wortes. Viele Familien werden in den kommenden Wochen durch die Corona-Schutzmaßnahmen auf engem Raum zusammenleben müssen. Konflikte sind vorprogrammiert. Die Statistiken der Polizei zu Männergewalt an Weihnachten oder anderen Familienfeiertagen belegen den Anstieg von Gewalt in diesen Situationen. Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen schlagen Alarm. Sie befürchten in den nächsten Wochen noch deutlich mehr Männergewalt bis hin zu Femiziden. 46 Morde an Frauen gab es bereits in diesem Jahr. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau allein wegen ihres Geschlechts durch einen Mann. 2019 waren es 135.

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2020 gab es bereits 46 Femizide

„Es wird dramatisch. Je früher wir uns das bewusst machen, desto schneller können wir handeln“, sagt Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF), die rund 100 der mehr als 350 bundesweiten Häuser vertritt. Corona verschärft damit die ohnehin schon dramatische Situation der Frauenhäuser in Deutschland (EMMA berichtete), Plätze (14.000 Frauenhausplätze fehlen) wie Finanzierung sind dauerhaft knapp. Neben dem Bedarf steigt nun das Risiko, Mitarbeiterinnen und andere im Haus wohnende Frauen anzustecken und damit den Betrieb vollständig lahmzulegen.

Ein Unterkommen in Frauenhäusern sei in der Corona-Krise „fast aussichtslos“, befürchtet auch die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring. Sie fordert die schnelle Bereitstellung von Notunterkünften, in denen Frauen Unterstützung erhalten und der Gefahrenzone entkommen können. „Das ist für Frauen überlebenswichtig“, sagt sie. Obwohl Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) erklärt hatte, Gewaltschutz zum Schwerpunkt machen zu wollen, war Männergewalt in Corona-Zeiten bislang kein Thema.

Schutz in Frauenhäusern aussichtslos

In Deutschland kämpfen bislang nur AktivistInnen intensiv gegen Femizide. Zum Beispiel Kristina Wolff, Professorin für Event- und Internationales Kongressmanagement. Zuletzt mit einer Aktion auf dem Reichstag (EMMA berichtete). Im Januar 2019 startete sie auf change.org ihre Online-Petition „Stoppt das Töten von Frauen #saveXX“. Darin fordert sie Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) auf, verschärft gegen tödliche Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Mehr als 79.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet. Viel ist seitdem nicht passiert.

Wie schnell die Situation eskalieren kann, zeigte sich in China. Während der Quarantänemaßnahmen in Wuhan verdreifachte sich die Zahl von Männergewalt gegen Frauen und Kinder.

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