Cyntoia Brown ist endlich frei!

Cyntoia Brown sollte eigentliche lebenslänglich ins Gefängnis. - Foto: The Tennessean - Foto: The Tennessean
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Für die Staatsanwälte und die Mehrheit der Geschworenen war der Fall klar: Eine Prostituierte hatte einen Freier aufgegabelt, war mit zu ihm nach Hause gegangen und hatte ihn dort kaltblütig erschossen. Motiv: Habgier. Denn sie hatte sein Portemonnaie mitgenommen und war anschließend mit seinem Auto geflüchtet. Das Urteil: lebenslänglich.

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Doch das Gericht in Nashville, Tennessee, hatte ein paar Dinge nicht berücksichtigt: Cyntoia Brown war 16 Jahre alt, als sie die Tat beging und wer Aufnahmen aus dieser Zeit anschaut, sieht, dass sie eher jünger als älter aussah. Johnny Allen, der Freier, war 43. Er war Scharfschütze in der Armee gewesen und hatte dem augenscheinlich minderjährigen Mädchen als erstes seine Waffensammlung vorgeführt.

Waffen kannte Cyntoia Brown sehr gut. Ihr Zuhälter, der den Spitznamen Kutthroat (Kehlendurchschneider) trug, hatte das Mädchen vielfach mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt, sie unter Drogen gesetzt und zur Prostitution gezwungen. Cyntoia war ihm in die Arme gelaufen, als sie aus ihrer Adoptivfamilie floh. Ihre biologische Mutter war alkohol- und drogensüchtig und hatte ihre Tochter mit zwei Jahren zur Adoption freigegeben. Im Haus des Freiers habe sie „Angst um ihr Leben gehabt“, hatte Cyntoia erklärt. Das Portemonnaie habe sie mitgenommen, um es ihrem Zuhälter zu geben, damit sie nicht wieder geschlagen werde.

Cyntoia Brown, ein verstörtes und traumatisiertes 16-jähriges Mädchen, wurde 2004 nach dem Erwachsenenstrafrecht wegen Mordes verurteilt. Sie hätte frühestens mit 67 Jahren entlassen werden können. Doch jetzt hat der Gouverneur von Tennessee, Bill Haslam, Cyntoia Brown begnadigt. Die Strafe sei „zu harsch“ gewesen, erklärte der Republikaner, nachdem er sich diesen „tragischen und komplexen Fall“ gründlich angesehen habe.

https://www.youtube.com/watch?v=f6L6oFiGC0o

Haslams Gnadenakt kommt nicht aus heiterem Himmel. Schon im Jahr 2011 rollte Filmemacher Dan Birman den Fall auf und erzählte in seiner Dokumentation „Me Facing Life – The Cyntoia Brown Story“ die Geschichte des Mädchens. Sein Fazit: „Dies ist ein junges Mädchen, das in der dritten Generation der Gewalt gegen Frauen steht.“ Schon Cyntoias Mutter und ihre Großmutter waren Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung gewesen.

Im November 2017 griff der TV-Sender Fox17 den Fall wieder auf. Gerade war die Causa Weinstein ins Rollen geraten und immer mehr Frauen erklärten: MeToo! Es ist vielleicht kein Zufall, dass just in diesem Moment prominente Frauen ihre Solidarität mit Cyntoia Brown erklärten.

"Haben wir irgendwie die Definition von Gerechtigkeit verändert? Irgendetwas läuft gewaltig schief, wenn das System solche Vergewaltiger zulässt, und das Leben des Opfers wird einfach weggeschmissen", wütete Rihanna (die selbst einmal Opfer ihres gewalttätigen Ex-Freundes Chris Brown geworden war) auf Twitter. "Das System hat versagt. Es ist herzzerreißend zu sehen, wie ein junges Mädchen zur Prostitution gezwungen wird und ins Gefängnis gesteckt wird, wenn sie den Mut hat, sich zu wehren. Das müssen wir besser machen – und tun, was richtig ist", postete Kim Kardashian und brachte ihre Anwälte in Stellung. Und Cara Delevigne fand: „Dieses Justizsystem ist so rückständig!!! Es ist komplett irre!“

Die Tweets erreichten Millionen Follower, der Hashtag #FreeCyntoiaBrown ging viral und die Aufforderung von Rihanna, Cara & Co., eine Petition an Gouverneur Haslam zu unterzeichnen bekam über 600.000 Unterschriften. Und auch die Organisation „End Slavery“, die sich in Tennessee für Menschenhandelsopfer einsetzt, hatte inzwischen einen bedeutenden Fortschritt erkämpft: Minderjährige dürfen seit 2011 nicht mehr wegen Prostitution belangt werden. Heute würde Cyntoia automatisch als Menschenhandelsopfer gelten. Vielleicht machen ja auch die USA eines Tages den Schritt, den Nachbarland Kanada schon gegangen ist: Es hat das Nordische Modell eingeführt, das nicht nur Minderjährige, sondern auch erwachsene Frauen in der Prostitution vollständig entkriminalisiert und ihnen Unterstützung statt Strafe anbietet.

Cintoya Brown ist heute 30 Jahre alt. Ihre Pläne: Im Mai wird sie, noch im Gefängnis, ihren Bachelor machen. Im August wird Cyntoia Brown entlassen. Dann „möchte ich anderen Mädchen helfen, damit sie nicht da landen, wo ich gelandet bin“.

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Knesset beschließt Freierbestrafung!

Aliza Lavie (mi) und Mitstreiterinnen. Foto: www.alizalavie.com
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„Überglücklich“ sei sie, erklärte Aliza Lavie, dass „Israel sich endlich der Riege der Länder angeschlossen hat, die klarmachen: Prostitution ist unakzeptabel und hat desaströse Konsequenzen!“ Und sie kündigte an: „Das Gesetz wird dazu beitragen, die Nachfrage zu reduzieren, denn sie ist es, die diese ganze Industrie antreibt.

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"Das Gesetz wird dazu beitragen, die Nachfrage zu reduzieren"

Ohne eine einzige Gegenstimme hatte die Knesset noch am letzten Tag des alten Jahres beschlossen: Künftig soll das sogenannte Nordische Modell auch in Israel gelten. Das heißt: Wer einen anderen Menschen für Sex bezahlt, wird mit einer Geldbuße von umgerechnet 450 Euro bestraft. Bei Wiederholung verdoppelt sich die Strafe, in bestimmten Fällen kann die Staatsanwaltschaft auch Anklage erheben.

Zehn Jahre lang hatte Aliza Lavie, Abgeordnete der liberalen Yesh Atid, unermüdlich für das Gesetz gekämpft und immer mehr Verbündete gewonnen. Schließlich hatte im Juli 2017 ein überparteiliches Bündnis dem Parlament zwei Gesetzentwürfe vorgelegt – einen für die Freierbestrafung, einen für Ausstiegsprogramme. Damit wollten die Abgeordneten Justizministerin Ayelet Shaked zum Handeln zwingen.

Die Ministerin sympathisierte zwar selbst mit dem Nordischen Modell, das Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde definiert, ließ sich aber Zeit mit einem Gesetzentwurf. Doch immerhin gab sie eine Untersuchung in Auftrag. Ein Ergebnis: Drei von vier Prostituierten gaben an, aus „finanzieller Not“ in die Prostitution geraten zu sein. Ebenso viele wollten aussteigen, wenn sie denn könnten.

„So lange Prostitution nicht kriminalisiert ist, signalisieren wir unseren Kindern, dass sie okay ist“, erklärte Justizministerin Shaked. Sie gründete das „Committee to Reduce Prostitution“, in dem neben dem Justizministerium auch das Ministerium für öffentliche Sicherheit sowie das Bildungs- und Sozialministerium beteiligt waren, und legte schließlich einen eigenen Gesetzentwurf vor. Die Knesset verabschiedete ihn einstimmig.

„Nach jahrelangem Kampf haben wir eine seltene Übereinstimmung zwischen Knesset-Abgeordneten aller Fraktionen, der Regierung und der Zivilgesellschaft erreicht“, erklärt Aliza Lavie. Mindestens ebenso wichtig wie die Bestrafung der Sexkäufer ist der Politikerin die Unterstützung jener, die Opfer der sogenannten „Sexindustrie“ geworden sind.

"Aber bevor wir feiern, haben wir einen langen Weg vor uns."

Das Gesetz wird erst in 18 Monaten in Kraft treten, denn bis dahin sollen Ausstiegsprogramme aufgebaut werden, „damit sich die Frauen und Mädchen eine neue Existenz aufbauen können“. Lavie: „Ich will sicherstellen, dass das Gesetz in seiner Gesamtheit funktioniert und die Rehabilitation, Sicherheit und Gesundheit all jener schützt, die in der Prostitution zu Schaden gekommen sind.“

Außerdem wollen die Abgeordnete und ihre Mitstreiterinnen Präventionsprogramme entwickeln, um „schon von einem frühen Alter an ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen“. Lavie, Kommunikationswissenschaftlerin und Mutter von vier Kindern, erklärt: „Bevor wir das Gesetz feiern, haben wir noch einen langen Weg vor uns.“

Nicht so lang wie der Weg, den Deutschland noch vor sich hat. Schweden, Norwegen, Island, Irland, Nordirland, Schottland, Frankreich und Kanada sind ihn schon erfolgreich gegangen.

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