In der aktuellen EMMA

Dem Clan entkommen

Foto: Ben Blannerhasset/Unsplash
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Raub, Schutzgelderpressung, Drogengeschäfte, Geldwäsche, Menschenhandel und Mord sind ihr Kerngeschäft. Den deutschen Staat sehen sie als Selbstbedienungsladen, vor Polizei und Justiz haben sie keinen Respekt. Arabische Clans tyrannisieren aber nicht nur deutsche Großstädte und Polizei und Justiz, sondern auch die eigenen Frauen. Wo ein Menschenleben nicht viel wert ist, ist es das einer Frau
umso weniger.

Latife Arab – der Name ist ein Pseudonym – wurde in einen der größten und mächtigsten arabischen Clans in Deutschland hineingeboren. Ihre Familie entstammt, wie die meisten Clans, der arabischen Minderheit im Südosten der Türkei, hat Wurzeln im Libanon.

Die Türkin hat mit ihrer Familie, die über 500 Mitglieder hat, im Alter von 28 Jahren gebrochen. Die erste Regel eines Familienclans aber lautet: Man verlässt die Familie nicht. Jedenfalls nicht lebend.

Seit fünf Jahren lebt Latife mit einer neuen Identität, mit ihren vier Kindern (davon drei aus erster Ehe) und ihrem deutschen Lebensgefährten im Umkreis von Berlin. Sie lebt in Freiheit: keine Gewalt, keine
Fremdbestimmung, kein Kopftuch, keine Gebete. Es war ein weiter Weg dorthin. Mit ihrem Buch „Ein Leben zählt nichts – als Frau im arabischen Clan“ will sie aufrütteln. Sie will, dass endlich gegen Clans vorgegangen wird – und dass Frauen und Mädchen, die aussteigen wollen, geholfen wird.

Einen Blick in das Innere dieses Parallel-Universums gab es bisher nicht. Und über die Frauen eines Clans ist am allerwenigsten bekannt. Sie sind total verborgen. Verschleiert und stillschweigend haben sie
die Familie zu versorgen, Bildung wird ihnen vorenthalten, ihre Hauptaufgabe besteht darin, ein Kind nach dem anderen zu bekommen. Latife selbst wusste erst, dass sie schwanger ist, als sie auf dem Gynäkologinnenstuhl saß. „Eine Frau im arabischen Clan ist eine Ware, ihr Wort hat kein Gewicht, ihr Leben keinen Wert“, sagt sie.

Wertlos fühlt sie sich schon als kleines Mädchen. Zur Schule gehen darf sie nicht. Wenn die Tochter nicht genug arbeitet, nicht genug betet, ihr Kopftuch nicht eng genug geschnürt ist, sie ihren Brüdern oder Cousins nicht genug Respekt entgegenbringt, schlägt der Vater zu. Mit Fäusten, Schuhen, Nudelholz. „Wer nicht zuschlägt, ist kein Mann“, sagt die Tradition.

Als Latife fünf Jahre alt ist, gehen die Eltern mit ihr und drei Geschwistern nach Deutschland, in das „Land, vom dem alle träumen“. Kontakt zu Deutschen hat sie nicht. „Wir Frauen sollen in einer abgeschotteten Welt leben, wir sollen die Sprache nicht lernen. Die Deutschen sind schlechte Menschen, wurde uns eingebläut“, sagt sie. Die Familie ist alles, das Individuum nichts.

„Meine Familie hat schnell gelernt, wie das System in Deutschland funktioniert: Je mehr Kinder, desto mehr Geld. Wir waren irgendwann neun Geschwister. Meine Eltern erhielten Tausende D-Mark Sozialhilfe vom Amt“, so Latife. Immer mehr Verwandte kamen nach Deutschland, um einen Asylantrag zu stellen. Die Familien schmissen die Sozialleistungen in einen Topf und kauften von dem Geld ein Mehrfamilienhaus mit sieben Wohnungen. Nur Familienangehörige – alles Sozialhilfe-Empfänger – durften einziehen. Die Stadt hat die Mieten und die Heizkosten übernommen, den Hauskauf also refinanziert.

Dann fingen einzelne Familienmitglieder an, mit gestohlenen Autos zu handeln, sie schmuggelten Menschen über die Grenze und stiegen ins Drogengeschäft ein. Hinzu kam Sozialbetrug in unzähligen Fällen mit gefälschten Papieren. Die Sozialleistungen am Ende des Monats kommen zuverlässig, droht eine Behörde mit Kürzungen, schaltet die Familie einen Anwalt ein.

„Manchmal lag bündelweise Geld auf dem Küchentisch, fast jeder der Männer war zeitweise im Gefängnis“, erinnert sich Latife.

Sie selbst muss als Kind Drogen überbringen oder Geld schmuggeln. Die Mutter drückt ihr dann Bündel in die Hände und wickelt Klebeband drumherum. Die Hände müssen in den Taschen verschwinden, bis sie beim Empfänger angekommen ist. Bei der Polizei und vor Gericht muss sie – mit weißem Kopftuch, um unschuldig zu wirken – Falschaussagen machen, um Brüder und Cousins zu decken.

Es kommt zu Rivalitäten innerhalb der Familie, die meist durch Schlägereien entschieden werden. Es kommt zu Ehrenmorden, wenn eine Tochter den „falschen Freund“ hat, einen deutschen zum Beispiel. 2008 wird Latifes Cousine an einer Autobahnraststätte erschossen, weil sie westlich leben wollte. Immer wieder gibt es Razzien und Hausdurchsuchungen. Die folgen einem Drehbuch. Alle Familienmitglieder wissen, was sie zu sagen haben. Einige Polizisten sind geschmiert.

Zwei Zwangsheiraten (mit 14 und mit 17) kann Latife abwehren, die dritte nicht. Mit 18 Jahren wird sie für 50.000 Euro an ihren Ehemann verkauft. Einen gewalttätigen Schulabbrecher aus einem noch mächtigeren Clan. Die „Hochzeitsnacht“, in der Blut auf dem weißen Laken landen muss, ist ihre erste Vergewaltigung. „Sie alle haben mich in dieser Nacht vergewaltigt“, sagt sie, „mein Mann, der tat, was von ihm erwartet wurde, meine Eltern mit ihrer fanatischen Religion, meine Schwiegermutter, die nur auf das Laken und den Beweis meiner Jungfräulichkeit wartete, alle Familienmitglieder, die nach diesem Zeichen lechzten.“

Ehen sind dazu da, Beziehungen zu anderen Familien zu festigen und den eigenen Einfluss zu vergrößern. „Meist steht schon bei der Geburt eines Mädchens fest, welche Familie es später bekommt“, erzählt Latife.

Ihr Leben als Ehefrau knüpft nahtlos an das Leben als Tochter an. Ihre eigenen Töchter sind es, die sie am Leben halten. Wenn ihr Mann sie zusammenschlägt, an den Haaren durch das Haus schleift, droht, sie umzubringen. Die Kinder interessieren den Vater nicht, die Mädchen schon gar nicht. Zwei Mal wäre Latife beinahe gestorben, 30 Jahre lang wird sie wie eine Sklavin behandelt. Einmal steht sie auf einer Brücke und will springen. Da taucht das Gesicht ihrer Tochter vor ihr auf.

Oft flieht sie in Frauenhäuser. Dort lernt sie nicht nur richtig Deutsch, sondern auch deutsche Frauen mit ähnlichem Schicksal kennen. Latife versteht, dass „Deutsche nicht böse“ sind. Und sie
erfährt dort, welche Anträge sie stellen muss, bei welchen Behörden es Hilfe gibt, um unabhängiger zu werden. Im Frauenhaus wächst ihr Traum von einem besseren Leben – außerhalb der Familie. Von dort startet auch ihr Weg in die Freiheit.

Sechs Mal kehrt sie zu ihrer Familie zurück. Verwandte lauern ihr beim Einkaufen auf, einmal steht ihr Ex-Mann selbst vor ihr, mit einem Messer in der Hand und droht sie abzuschlachten. Beim siebten Mal aber klappt die Flucht.

„Warum können Familien wie meine so viele Sozialleistungen beziehen? Warum werden die Straftaten solcher Menschen nicht härter bestraft? Warum werden Frauen und Mädchen nicht besser geschützt?“, fragt Latife. Ihrer Meinung nach müsse der deutsche Staat seine Haltung gegenüber Migranten, die hierherkommen, ändern. Er sollte klarer machen, dass auch sie in der Pflicht sind, damit das Zusammenleben hier funktioniert.

„Für meine kleine Familie“ steht als Widmung zu Anfang des Buches. Für sie wird sie weiterkämpfen.

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