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50 Jahre Lesbenfrühling

200 frauenliebende Frauen kamen Pfingsten 1974 in einer Berliner Fabriketage zusammen.
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Am 1. Juni 1974 betritt Ulla Weber eine Berliner Fabriketage in der Kulmer Straße 20 A. Sie ist 19 Jahre jung, aus Köln angereist und von dem, was sie da sieht, „völlig überwältigt“.

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200 Frauen sind gekommen, und zwar nicht irgendwelche Frauen, sondern Frauen, die Frauen lieben. Wie Ulla, die schon mit 13 in ihr Tagebuch schrieb: „Wie blöd. dass ich mich immer verlieben muss, und dann ausgerechnet in ein Mädchen. Hoffentlich bin ich nicht läspig!“ Ihre Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Aber an diesem Pfingstwochenende 1974 fühlt sie sich „zum ersten Mal normal. Denn man hat sich ja immer allein gefühlt.“ Jetzt diese 200 lesbischen Frauen zu erleben, das war „ein berauschendes Gefühl: Jetzt geht das Leben los!“

BILD titelte 1973: Wenn Frauen Frauen lieben, kommt es oft zum Verbrechen!

Ulla Weber ist Teil eines historischen Moments: Das erste „Lesbenpfingsttreffen“ der Bundesrepublik findet statt. Frauen, die Frauen lieben (schon immer oder erweckt durch die Frauenbewegung), kommen zusammen, um zu diskutieren und sich zu feiern. Seit dem Aufbruch der Frauenbewegung ist viel passiert: Homosexuelle Frauen waren zunächst im Windschatten der homosexuellen Männer unterwegs. Im August 1971 hatte sich in Berlin die „Homosexuelle Aktion Westberlin“ (HAW) gegründet. Sie besteht überwiegend aus Männern, die wenigen Lesben nennen sich „schwule Frauen“. Knapp ein Jahr später organisiert die HAW in Berlin das erste „Internationale Pfingsttreffen“, zu dem rund 200 homosexuelle Männer, aber nur 30 homosexuelle Frauen kommen. Die Berliner HAW Frauen hatten kurz zuvor eine eigene Lesbengruppe gegründet: „Frauen, wenn ihr meint, der § 218 ginge schwule Frauen nichts an, dann irrt ihr euch gewaltig. Er betrifft alle Frauen, er entmündigt alle Frauen. Er verbietet ihnen, über ihren Körper selber zu verfügen.“

Die aktuelle Mai/Juni-EMMA gibt es als Print-Heft und als eMagazin im www.emma.de/shop
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Im Frühjahr 1973 treten homosexuelle Frauen erstmals an die Öffentlichkeit, Anlass ist der Mordprozess gegen Marion Ihns und Judy Andersen. Die Frauen, ein Paar, hatten einen Auftragsmörder gedungen, um Ihns Ehemann umzubringen. Der hatte sie über Jahre misshandelt und vergewaltigt. „Wenn Frauen Frauen lieben, kommt es oft zu einem Verbrechen“, titelt damals Bild. Beim Prozess demonstrieren Frauen aus ganz Deutschland.

Im Sommer 1973 kommen auf der dänischen Insel Femø zum ersten Mal Frauen aus aller Welt zu dem heute legendären Camp zusammen, darunter viele Frauen, die (auch) Frauen lieben. Im ZDF läuft die Doku „Zärtlichkeit und Rebellion“, die erste über homosexuelle Frauen.

Das Schweigen ist vorbei. Am 1. Juni 1974 organisieren die HAW Frauen das erste eigene Pfingsttreffen, „als Zeichen unserer Unabhängigkeit von den homosexuellen Männern und um unsere Zugehörigkeit zur autonomen Frauenbewegung zum Ausdruck zu bringen“. Folgerichtig lautet dasMotto: „Feminismus die Theorie – Lesbischsein die Praxis?“

Dieses erste Lesbenpfingsttreffen wird nicht das letzte sein. Seit dem Auftakt 1974 findet es jährlich statt, bis 1978 in Berlin, ab 1979 in wechselnden Städten mit entsprechenden Titeln: „Lesbenglühn“ nennen die Münchnerinnen ihr Treffen 1986; die Münsteranerinnen versprechen 1988 „Power in der Provinz“. 2001 geht das Treffen zum ersten Mal nach Ostdeutschland. „Ost West – (k)ein Thema unter Lesben?“ lautet das Motto in Rostock. Aus den 200 Frauen beim ersten Mal werden bald 2.000 und die Veranstaltung, die inzwischen LesbenFrühlingsTreffen heißt (kurz: LFT), zum größten Event  homosexueller Frauen in Deutschland. In den Workshops, die basisdemokratisch von jeder angeboten werden dürfen, geht es um vieles: von Homo Ehe bis Kreistanz, von Regenbogenfamilie bis Yoni Massage. Dazu: Lesungen, Konzerte, Party. Und eine Demo im jeweiligen Stadtzentrum.

Vom 17. bis 20. Mai 2024 nun also das große Jubiläum: 50 Jahre LesbenFrühlingsTreffen, natürlich im Geburtsort Berlin bzw. nordöstlich der Hauptstadt am Werbellinsee in Brandenburg. „Wir wollen die Pionierinnen und Gründerinnen feiern!“ sagt Ilona Bubeck, die 1995 den schwul-lesbischen Querverlag gegründet hat und 2024 das LFT mitorganisert. In drei „Erzählcafés“ soll es um die Ursprünge gehen: „Wie alles anfing!“ werden die Aktivistinnen der ersten Stunde über die 1970er Jahre berichten. In einer zweiten Runde geht es um die 1980er, in der dritten um Lesben in der DDR. Aber natürlich soll es auch um die Zukunft gehen. Das Motto des Jubiläumstreffens lautet deshalb schlicht: „Bewegung!“

Die Zeiten sind wieder schwierig für lesbische Frauen, wir müssen uns rückbesinnen

„Wir sind ein Teil der autonomen Frauenbewegung“, sagt Ilona Bubeck. „Wir müssen uns in diesen Zeiten wieder rückbesinnen. Uns alle treibt die Frage um: Müssen wir uns wieder neu organisieren?“ Denn die Zeiten sind wieder schwierig für lesbische Frauen. Doch diesmal kommen die Attacken nicht von den Reaktionären, sondern von vermeintlich Fortschrittlichen: „Lesbisch“ gibt es nicht mehr. Das heißt  heute „queer“. In diesem Sammelbegriff verschwinden nicht nur die Lesben, sondern auch die von ihnen erkämpften Frauenräume. „In Berlin ist jetzt alles FLINTA“, erklärt Ilona Bubeck (für Uneingeweihte: Frauen, Lesben, inter und transgeschlechtlich, nichtbinär sowie agender). „Ich kenne bärtige Männer, die sich einfach für ‚nichtbinär‘ erklären, und so auf jeder Frauenparty Zugang haben.“ Ganz zu  schweigen von den Transaktivisten, die, wie die Transfrau und grüne Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer, allen Ernstes einen Penis zum „weiblichen Sexualorgan“ erklären. In diesen Kreisen werden lesbische Frauen, die sexuelle Kontakte mit Penisbesitzern ablehnen, als „transphob“ diffamiert. Kein Witz.

Was denjenigen widerfährt, die es wagen, die realitätsverleugnenden Glaubenssätze der Transideologie in Frage zu stellen, mussten 2021 die Organisatorinnen des LFT in Bremen erfahren. In sechs von 60 Workshops sollten die problematischen Folgen des Transaktivismus für (nicht nur) homosexuelle Frauen diskutiert werden. Die Folge: Boykottaufrufe und ein Shitstorm in Orkanstärke. Schließlich sagte die Bremer Frauensenatorin den zugesagten Zuschuss von 9.000 Euro ab.

„Wir machen das LFT in Berlin ohne öffentliche Zuschüsse, damit uns niemand reinredet“, erklärt Ilona Bubeck. Was grotesk klingt, ist traurige Realität: Ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Lesbenpfingsttreffen müssen die Pionierinnen von damals den jungen Frauen von heute wieder „zeigen, wie es ist, nur unter Frauen zu sein und zu feiern“, findet Ilona Bubeck. Auch Ulla Weber ist wieder dabei. Sie gibt zum ersten Mal selbst einen Workshop, denn: „Wir sind unsichtbar in der queeren Bewegung“, klagt die Pionierin. „Deshalb müssen wir herausfinden, wie wir Frauenliebe wieder sichtbar und attraktiv machen, jungen Lesben einen Ort bieten, und politisch gegen jede Form von Lesbendiskriminierung angehen.“ Keine Frage: Die Pionierinnen werden offenbar immer noch gebraucht.

Programm + Anmeldung unter: www.lft2024.de

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