Meine Geschichte

Demenz und Prostitution

Ute Siegler ist diplomierte Krankenschwester. Von Prostituierten für Männer im Altersheim hält sie nichts.
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Ich bin diplomierte Krankenschwester. 2003 bin ich – der Liebe wegen – in die Schweiz ausgewandert. Hier arbeite ich bei einer großen Krankenversicherung und habe kürzlich im Rahmen unserer Fortbildungen an einem Demenz-Kongress teilgenommen. Thema: Körperlichkeit, Sex und Sexualität bei Personen mit Demenz.

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Sehr schnell wurde bei dem Kongress klar: Eigentlich geht es um Sexualität im Alter, dies primär in Institutionen, und, fast zu erwarten, um männliche Sexualität. Trotzdem hätte es noch gut werden können. Wurde es aber nicht.

Der erste Beitrag beschäftigt sich noch mit allgemeiner Forschung zur Sexualität im Alter. Die Fakten sind nicht neu. Spannend wäre zum Beispiel gewesen, warum deutlich mehr alte Frauen als Männer den Sex nicht vermissen und eher „inaktiv“ werden. Vielleicht, weil der Sex im Leben bisher nicht eben erfüllend und befriedigend war. Vielleicht, weil sie aus einer Generation kommen, wo es ungleich schwieriger war, eine eigene, weibliche Sexualität zu finden.

Warum vermissen alte Frauen den Sex nicht so sehr?

Meine Mutter hat bis zur Rente in einem Pflegeheim gearbeitet, da war Sex nur Thema, weil es oft zu Übergriffen männlicher Bewohner kam (und sicher auch dauernd weiter kommt). Die Pflegerinnen hatten genug zu tun, um bei den üblen Arbeitsbedingungen überhaupt sowas wie eine gute Pflege hinzubekommen. Immerhin wurde auf dem Kongress erwähnt, dass doch einige Frauen gerne noch würden, jedoch „das Männchen“ fehlt. Die Gründe dafür dürften vielschichtig sein … Aber es ist ja auch kein feministischer Demenz-Kongress.

Im zweiten Beitrag berichtet der immer aufgeräumtere Referent als nette Anekdote, dass eine Heimbewohnerin sich bei der Arbeit wähnte (sie war Prostituierte), und anfing, „die Knaben in ihr Zimmer einzuladen“. „Die Knaben fanden’s geil“. Kein Wort darüber, ob die Pflegenden eingegriffen haben und ob die Frau, wie üblich in solch verwirrten Zuständen, professionell aufgefangen wurde. Stattdessen auch noch ein paar launige Tipps, Richtung Pornoheftchen und -filme.

Die Krönung aber war der dritte Beitrag. Eine nach ihrer Aussage mit den bisherigen Tätigkeiten eher unzufriedene Frau berichtet oberaufgeräumt, sie habe nun endlich ihre Berufung gefunden. Ein Heimleiter habe ihr erzählt, er habe etwas Gutes tun wollen und einen bedürftigen Heimbewohner im Taxi in den Puff geschickt. Da der Herr dement war, ging dies aber nicht so gut aus (die Rückkehr war schwierig). Da habe sie die grandiose Idee gehabt, sie müsse doch nur Prostituierte und die „Endkunden“ zusammenbringen, und zu diesem Zweck einige Studios aufgesucht. Die Frauen wollten 200 Euro pro Stunde, das sei doch etwas teuer, fand sie. (Den Weg zum Straßenstrich – „20 Euro, mache alles“ – hat sie wohl doch gescheut.) Stattdessen gründete die Frau eine Agentur zur Vermittlung von „BerührerInnen“ (entwickelt aus der Sexualassistenz für behinderte Menschen). Ganz klar machte sie noch, dass dies etwas ganz anderes sei als Prostitution, da die BewerberInnen „ihre Grenzen ganz genau kennen“. (Impliziert sie damit, dass dies bei Prostituierten anders ist, respektive zu sein hat?)

Anschließend die Podiumsdiskussion. Bitte Fragen stellen. Ich frage: Wie kann es sein, dass völlig selbstverständlich der erste Gedanke zur Behebung „natürlicher Bedürfnisse“ der ist, Frauen für „die Knaben“, bzw. „die Endkunden“ zu kaufen? Ich weise auf umfassende Erfahrungen mit Aussteigerinnen hin, auf den Ekel, welcher der ewig zitierten Lüge von der „Freiwilligkeit“ und dem „Beruf wie jeder andere“ folgt. Merke an, dass auch jüngere Menschen – wenn es um Sexualität geht und überhaupt – nicht immer das bekommen, wonach sie gerade ein Bedürfnis haben. Und noch einiges mehr.

Wenn der Mann nun am liebsten Schwangere vögelt, Tiere oder Jungfrauen?

Die Antworten fallen eher genervt aus. Nun hat man doch gerade so schön klargemacht, dass alte Menschen, insbesondere Männer, ihre Bedürfnisse haben. Dass dies zu respektieren sei.

Da wären noch viele Fragen gewesen. Wo beispielsweise ist die Grenze? Das durchschnittliche männliche „natürliche Bedürfnis“ ist ja mittels Kauf von drei Löchern mit Frau drumrum relativ schnell zu befriedigen und entspricht absolut der gängigen Toleranzselbstverständlichkeit. Aber wenn der Herr nun am liebsten Schwangere vögelt? Oder Jungfrauen, Tiere? Nur bei „Hardcorepornos“ kann? Oder gar pädophil ist? Ist schließlich seine Sexualität und gehört zu seiner Persönlichkeit …

Die Erzählung einer Frau auf dem Weg nach Hause im Zug beruhigt da fast. Ein Lokalpolitiker fragte sie, anlässlich eines unter anderem von ihr organisierten Oktoberfestes, warum sie denn kein Dirndl trage. Ob ihr wohl obenrum etwas fehle, um es auszufüllen?

Zurück im alltäglichen Leben mit seinem ganz alltäglichen Sexismus.

UTE SIEGLER, 53, SCHWEIZ

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