Demo: Mein Körper. Meine Entscheidung!

© Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
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Jahrelang konnten sie ihren „Marsch für das Leben“, der früher „Marsch der 1000 Kreuze“ hieß (jedes Kreuz ein „getötetes Kind“) unwidersprochen absolvieren. Jedes Jahr am vorletzten Samstag im September verkünden die sogenannten „Lebensschützer“ auf Einladung des „Bundesverbands Lebensrecht“ ihre frommen Wünsche: Ein „Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“, in dem Schwangere keine „Hilfe zum Töten“ mehr erhalten. Und wo wir schon beim Töten sind: Auch gegen die Sterbehilfe sind die „Lebensschützer“ kategorisch: „Jede Beihilfe zur Selbsttötung“ sei unter Strafe zu stellen, ausnahmslos. Und diesen Samstag ist es wieder soweit.

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Wer sind denn hier die Lebensschützer?

Auch in diesem Jahr hält wieder ein breites Bündnis dagegen: von Terre des Femmes bis Pro Familia, vom Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) bis zum Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Ihr Motto: "Mein Körper. Meine Verantwortung. Meine Entscheidung.“ Das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ ruft zum bundesweiten Aktionstag gegen den „Marsch für das Leben“ auf. In Berlin startet die Demo um 13.30 Uhr mit einer Auftaktkundgebung vor dem Brandenburger Tor.

„Seit einigen Jahren erleben wir Angriffe aus der sogenannten Lebensschutzbewegung auf Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, auf Beratungsstellen oder gar auf hilfesuchende Frauen, denen quasi vor der Praxis aufgelauert wird“, klagt Ines Scheibe, die das Bündnis koordiniert. Und: Jedes Jahr sterben zehntausende Frauen, weil sie keinen Zugang zu einem sicheren legalen Abbruch hatten. Und wieder einmal stellt sich die Frage: Wer sind denn hier die Lebensschützer?

Start: Samstag, 17. September, 13.30 Uhr, am Brandenburger Tor, Abschlusskundgebung um 15.45 Uhr am Bebelplatz. www.sexuelle-selbstbestimmung.de

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Abtreibung - noch immer ein Tabu!

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Nach der Besprechung gehen wir noch ein Stück gemeinsam Richtung Taxi. Da sagt der Kollege so ganz en passant und in durchaus wohlwollendem Ton zu mir: "Das mit der Abtreibung, das würden Sie heute doch sicherlich auch ganz anders sehen als 1971, Frau Schwarzer." Es klang eher wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage. Ich schwieg überrascht. Denn der Kollege, ein Mann meiner Generation, ist in zweiter Ehe mit einer jüngeren Frau verheiratet, die sich selbst als Feministin versteht (und mit der er übrigens auch nochmal ein kleines Kind hat). Erst nach einer gewissen Pause antworte ich zögernd: "Eigentlich nicht …" Aber da hörte er auch schon gar nicht mehr hin.

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Diese kleine Episode ließ mich nicht mehr los. Sie scheint mir einfach typisch für den Zeitgeist.

Die Frauen verbluteten auf dem Küchen-
tisch eines Kurpfuschers

War dem Mann eigentlich klar, um was es damals ging? Weiß er überhaupt, wie viel Schmerz und Elend der § 218 verursacht hat? Und begreift er, unter welchen Umständen die etwa 100.000 heute jährlich in Deutschland abtreibenden Frauen dies noch immer tun, wie viele sterben müssten – ohne medizinische Hilfe?

Vor der Reform fanden ungewollt schwangere Frauen, wenn überhaupt, nur für viel Geld – und nicht selten noch mehr Demütigung – einen Arzt, oder aber sie landeten auf dem Küchentisch eines Kurpfuschers bzw. einer "Engelmacherin". So manche verblutete, viele behielten lebenslange körperliche Schäden zurück, bis hin zur Unfruchtbarkeit. Und alle waren traumatisiert von der Heimlichkeit, der Scham, der Angst.

Eine deutsche Zahl liegt nicht vor, aber Amerika meldete allein für das Jahr 1969, vier Jahre vor der Legalisierung der Fristenlösung, rund 5.000 Todesfälle infolge illegaler, unsachgemäßer Abtreibungen. Und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählte 2008 weltweit 47.000 Opfer des Abtreibungsverbotes. 47.000 tote Frauen im Jahr, weil das Gesetz ihnen verbietet, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Vielleicht sollten die mal zur Neujahrsansprache auf dem Petersplatz aufgebahrt werden, damit der Vatikan endlich begreift.

Nein, es ging noch nie um die Verharmlosung oder gar Propagierung von Abtreibung. Die griffige Parole "Mein Bauch gehört mir" war eine provokante, doch relativ gesehen moderate Reaktion auf die Anschuldigung, abtreibende Frauen seien "Mörderinnen". Die Frauenbewegung war nie für Abtreibung – im Gegenteil: sie hat dank Aufklärung und Selbstbestimmung sehr viel dagegen getan. Die Frauenbewegung war immer nur für das Recht auf Abtreibung, also pro Frauen in Not. Es ging und geht uns bei der Abtreibungsdebatte ausschließlich darum, dass ungewollt schwangere Frauen nicht länger entmündigt werden und ihnen medizinische Hilfe gewährt wird. Schwanger warum auch immer: weil die Verhütung versagt hat, weil beide unachtsam waren oder weil die Frau zum Verkehr gezwungen wurde.

Es ging den Feministinnen noch nie um Propagierung von Abtreibung

Denn Frauen, die nicht Mutter werden wollen, treiben ab; egal, was sie glauben oder nicht; egal unter welchen Umständen, selbst bei drohender Todesstrafe (wie im Dritten Reich). Sie sind es ja schließlich auch, die nicht nur neun Monate schwanger, sondern danach auch mindestens zwanzig Jahre verantwortlich sind für das Kind, nicht selten allein oder fast allein, quasi immer an erster Stelle.

In den 70er Jahren haben Feministinnen in der ganzen westlichen Welt das Recht auf Abtreibung erkämpft; ein Kampf, der nicht zufällig zum Auslöser der Frauenbewegung wurde. Denn bei dem Recht auf Abtreibung geht es um viel: um das Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft, um die Verfügung über den eigenen Körper, um eine angstfreie Sexualität. 35 Jahre später hat Deutschland noch immer eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas, hinter uns rangieren nur noch die erzkatholischen Länder Polen und Irland. Selbst Portugal führte im Frühling 2007 die Fristenlösung ein, das Recht auf Abbruch in den ersten zehn Wochen.

Deutsche Frauen haben dieses Recht bis heute nicht. Da gibt es nur die Gnade des "Beratungsscheins", für den die betroffene Frau zuvor zwei Institutionen zu konsultieren und um deren Zustimmung zu bitten hat. Diese Gnade ist Ermessenssache und steht naturgemäß auf wackligen Füßen. Sie könnte, unter veränderten gesellschaftlichen Vorzeichen, jederzeit auch wieder verweigert werden.

Und zur Zeit sieht es ganz so aus, als wollten gewisse Kräfte den schon jetzt so gefährlich eng gefassten § 218 noch fester zurren. Die Zeichen mehren sich.

Die katholische Kirche ist füh-
rend in der Anti-Abtreibungs-Propaganda

Nicht nur in Deutschland ist es den christlichen Fundamentalisten in den letzten dreißig Jahren gelungen, einen Stimmungswandel in Sachen Abtreibung herbeizuführen. Das Elend von einst scheint vergessen und der blauäugige Glaube daran, dass es immer so liberal weitergehen wird wie bisher, weit verbreitet. Gleichzeitig wird der Selbstherrlichkeit der katholischen Kirche, die führend ist in der Anti-Abtreibungs-Propaganda, kaum noch etwas entgegengesetzt. Entsprechend ist sie tonangebend. Selbst ihr Vokabular – von "Kindern" im Mutterleib zu sprechen statt von "Föten" – hat sich durchgesetzt. Ein Journalist schrieb in der Süddeutschen Zeitung sogar von "Kindstötung" im Zusammenhang mit Abtreibungen. Da sind die Mörderinnen nicht weit…

In Deutschland haben im Jahr 2015 noch 99.200 Frauen abgetrieben (2001 waren es 135.000). Hunderte dieser Frauen würden nicht mehr leben, Tausende hätten schwere körperliche Folgeschäden, hätten sie den Eingriff nicht legal und bei Ärzten machen lassen können, zwei von drei mit der schonenden Absaugmethode, jede knapp jede Vierte im Frühstadium mit der Mifygene-Pille. Und solche Frauen müssen sich heute wieder sagen lassen, sie seien "egoistisch", denn: "Deutschland hat zu wenige Kinder – und Sie treiben ab."

Neulich wurde sogar mir vorgehalten, ich ganz persönlich sei schuld am Kindermangel, weil ich für das Recht auf Abtreibung gekämpft hätte. Als könnte man Frauen zum Kinderkriegen zwingen. Als würden Schwangere, die nicht legal abtreiben können, Mütter werden; nein, eher verbluten sie.

Feministinnen tragen bei zu sinkenden Abtreibungs-
zahlen!

Und ich bin überzeugt, dass ich, so wie viele Feministinnen, eher zum Gegenteil beigetragen habe: nämlich dazu, dass weniger als je zuvor abgetrieben wird! Und, dass Frauen seltener verbluten. Die Abtreibungszahlen in Deutschland sinken seit Jahren, allein in den letzten sechs Jahren um 15.000. Was ganz einfach damit zu tun hat, dass Frauen heutzutage seltener ungewollt schwanger werden. Sie bestimmen die Sexual- und Verhütungspraktiken stärker denn je zuvor selber mit und werden, dank größerer Unabhängigkeit und entsprechendem Selbstbewusstsein, vielleicht auch seltener Opfer sexueller Übergriffe. Wenn es also heute weniger Abtreibungen gibt als früher, dann ist das vor allem der Frauenbewegung zu verdanken und nicht den Kirchen.

Doch kommen wir auf meinen netten, fortschrittlichen Kollegen zurück, der meint, ich würde "das alles heute ganz anders sehen". Wie war das alles also damals wirklich? Es war das Grauen! Vor 1971 redete eine Frau vor Scham und Angst noch nicht einmal mit ihrer eigenen Mutter oder besten Freundin darüber. Sie war total allein mit dem Problem. Und die Heterosexualität von Frauen war beherrscht von der Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft ("Währenddessen denke ich nur daran").

Als am 6. Juni 1971 der Stern mit der schockierenden Titelgeschichte erschien – da wusste keine der Frauen, die öffentlich erklärten: "Ich habe abgetrieben und fordere das Recht dazu für jede Frau", was am nächsten Tag geschehen würde: ob sie verhaftet wird, ihre Stelle verliert, die Nachbarn noch mit ihr sprechen, ihr Mann sie verlässt … Und das galt für die 365 unbekannten Frauen unter den Bekennerinnen ebenso wie für die neun Stars (darunter Romy Schneider und Senta Berger). Die riskierten fast noch mehr, nämlich ihre gesamte Karriere.

Die Veröffentlichung schlug ein wie eine Bombe. Das Tabu war gebrochen. Ein kollektiver Aufschrei ertönte: Ich auch! Die Frauen sammelten Unterschriften in Stadtteilen und an Universitäten, in Büros und Fabriken. Die Politiker brachen unter Waschkörben von Petitionen zusammen. Die Lawine war nicht mehr aufzuhalten – und wurde zum Auslöser der Frauenbewegung.

Wann gilt end-
lich das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten?

Wo aber stehen wir heute in Sachen Abtreibung? In Deutschland auf sehr dünnem Eis. Es ist, als seien wir in dieser Frage keine Demokratie, sondern ein Kirchenstaat. 

Das Sauberste und Sicherste wäre, die Politik – also alle Parteien links von CDU/CSU, die wir in der Frage wohl vergessen können, Kanzlerin hin, Kanzlerin her – würde es wagen, diese halbherzige Abtreibung auf Beratungsschein zu kippen und endlich eine klare Fristenlösung einzuführen: also das uneingeschränkte Recht der Frauen auf Abtreibung in den ersten drei Monaten! So wie selbst in katholischen Ländern wie Österreich, Frankreich oder Italien. Oder in der Schweiz, wo nach einer jahrzehntelangen halbherzigen Lösung 2002 die Fristenlösung eingeführt wurde, nach einem Volksentscheid. Aber in Deutschland entscheidet ja nicht das Volk, sondern der Vatikan.

Ich habe übrigens noch nie gehört, dass der Vatikan sich von diesen christlichen Predigern des Hasses und der Meuchelmörder im Namen Gottes distanziert hätte - so wie Papst Franziskus von den Terroristen aller Provenienzen. Und ich habe auch noch nie gehört, was denn die lebensschützende katholische Kirche eigentlich zu tun gedenkt angesichts der 47.000 toten Frauen im Jahr.

Der Text ist ein aktualisierter Auszug aus "Die Antwort" (2007, TB, Heyne). 

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