8. Brief: Abschied von Kanada

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An meinem letzten Wochenende in Toronto muss ich mir dann doch nochmal eingestehen, wie Deutsch ich eigentlich wirklich bin. Ich habe in den vergangenen Wochen alle meine Mehrwegflaschen in einer großen Plastiktüte gesammelt. Nun bin ich gewillt, sie in einem Supermarkt gegen Pfand einzutauschen. "Darf ich die hier lassen?" frage ich die Verkäuferin. "Na ja… kommst du die denn später auch wieder abholen?" fragt sie zurück. "Ich dachte, da drauf ist Pfand…?" stammele ich irritiert. Die Frau lacht sehr laut. "Das hier ist nicht Europa!"

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Stimmt, das hier ist Kanada! Ich verlasse, den riesigen Sack Plastikflaschen immer noch unterm Arm, den Laden. Dann putze ich mein Apartment. Alles nur, um mich vor dieser Kolumne zu drücken. Denn ich bekomme ja schon neugierige E-Mails aus der EMMA-Redaktion, wie es denn gewesen sei, so als Frau im feministischen Kanada.

Ja, wie ist das eigentlich so? Nun ja, es ist kompliziert! Kanada ist, wie so vieles im Leben, ein großes Aber: Auf jede Sache, die gut läuft, kommt eine, die schlecht läuft.

Ich habe zum Beispiel in den letzten beiden Monaten nicht nur bei der Tageszeitung The Globe and Mail ausschließlich emanzipierte und beruflich erfolgreiche Frauen getroffen. Aber seit meinem Treffen mit Beatrix Dart, Professorin an der „Rotman School of Management“ und Direktorin der „Initiative for Women in Business“ weiß ich auch, dass es in Kanada im Prinzip nicht viel anders läuft als in Deutschland: Frauen sind zwar im Vergleich genauso gut ausgebildet wie Männer. Aber sie arbeiten zu einer sehr großen Zahl trotzdem nur in Teilzeit und stemmen den größten Teil der Familienarbeit. Mit den bekannten Folgen.

Ich habe mich hier in Toronto zwei Monate lang Tag wie Nacht sehr sicher gefühlt. Aber teilen die Frauen, die in einer der Communities weit abseits der Großstädte leben, dieses Gefühl? Auf einem Treffen mit Dawn Harvard, Präsidentin der „Ontario Native Women's Association“, habe ich erfahren, welche Folgen die fehlende Anbindung an das Netz öffentlicher Verkehrsmittel – es gibt oft schlicht keine Busse - für die Sicherheit von Frauen haben, die sich kein Auto leisten können: Ihnen bleibt häufig nichts anderes übrig, als weite Strecken einfach zu trampen. Was ihr Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, enorm erhöht.

Ich musste mich in Toronto nur auf ein Fahrrad setzen, um eine Weltreise anzutreten: quer durch Little Portugal, Little Italy, China Town, Korea Town bis hin zum Dundas Square, der dem New Yorker Times Square nicht unähnlich ist. Die Menschen pflegen mitten in Toronto ihre Sprache, ihre Alltagskultur und ihre Küche. "Wir sind schließlich alle Immigranten!" ist ein Satz, der hier sehr häufig fällt, denn die Kanadier sind stolz auf ihre Toleranz.

Aber Kanada ist auch mit einer Unabhängigkeitsbewegung im frankophonen Teil des Landes konfrontiert - und einer der großen Streitpunkte ist die Sorge vor dem Islamismus. Aber vor allem kämpft das tolerante Kanada gegen Gewalt und Rassismus gegenüber der eigenen indigenen Bevölkerung, ein Zustand, den die kanadische Außenministerin Chrystia Freeland kürzlich erst als "Kanadas Erbsünde" bezeichnet hat.

In Kanada gilt seit 2014 die Freierbestrafung. Aber trotzdem habe ich auf dem Slutwalk die Prostitutionslobby getroffen, die hier mit den gleichen Methoden agitiert wie in Europa. Mit kräftiger Unterstützung der so genannten "intersektionalen Feministinnen".

Und ausgerechnet das einzige ernstzunehmende Frauenrechts-Anliegen, das Trudeau seit seiner Wahl im Oktober 2015 angepackt hat, droht gerade bitterlich zu scheitern: die Untersuchung zu den Tausenden verschwundenen und ermordeten indigenen Frauen im Land.

Nun muss ich aber so langsam mal packen, um in das Aber-Land zurückzureisen, das mein Zuhause ist. Wo die Widersprüche ja auch eher größer als kleiner werden.

Alexandra Eul berichtet im Rahmen des Arthur F. Burns Stipendiums aus Kanada. 

 

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