Die fatalen Folgen des Celebrity-Kults

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Sie gibt unumwunden zu, dass sie auch selber für ihre Auftritte im Fernsehen die Hilfe von Visagisten und Friseuren in Anspruch nimmt. Sie sagt auch frank und frei, dass das Bild auf dem Cover ihres Buches „Think – Straight Talk for Women to Stay Smart in a Dumbed-down World“ (Denk nach – ein ernstes Wort für Frauen, wie sie in einer niveaulosen Welt schlau bleiben) mit Photoshop geschönt worden sei – wenn auch nur dezent. Dass sich heute auch über das Auge verkauft, wer in der Öffentlichkeit steht, dass Aussehen, Kleider, Frisur und Make-up eine nonverbale Botschaft vermitteln, weiß man längst, erst recht in Amerika. Das weiß auch Lisa Bloom, die in den USA dank ihrer juristischen Analysen bei ABC, CBS und CNN populäre Anwältin.

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Aber für Bloom hat die Beschäftigung mit der Hülle inzwischen ein Ausmaß angenommen, das sie für in höchstem Maße besorgniserregend hält. Schuld an der zunehmenden Reduktion auf die Oberfläche sei die Obsession für die Prominenz, über deren Kapriolen auch in seriösen Medien vermehrt berichtet wird. Dass die höchstbezahlte Person im Wahlkampfteam von Sarah Palin 2008 deren Visagistin war, weil wichtiger war, wie die Kandidatin aussah, als was sie sagte, ist eine direkte Folge des Kults.

Bloom beschreibt diese Entwicklung in einem Rundumschlag gegen die übermäßige Beschäftigung mit den Schönen und Reichen aus der Glitzerwelt. Mittlerweile dreht es sich bei 95 Prozent aller Anfragen, bei denen die Juristin um einen Kommentar gebeten wird, um Celebrities; um deren Sexskandale, Seitensprünge, Scheidungen; um die Verhaftung von Paris Hilton, die Trennung von Tiger Woods, den Gefängnisaufenthalt von Lindsay Lohan.

Wenn die TV-Juristin nachfragt, weshalb nicht über den Prozess gegen die Roten Khmer in Kambodscha berichtet wird (Bloom war vor Ort, internationale Kriegsgerichts-Berichterstattung ist ihr Fachgebiet), dann heißt es: Weil Paris und Tiger und Lindsay mehr interessieren.

Bloom mag die Frage nach dem Huhn und dem Ei nicht stellen, will also nicht darüber urteilen, ob die Medien an der Entwicklung schuld sind oder sich diese nach den Bedürfnissen des Publikums richten. Sie präsentiert bloß Fakten: Klatschseiten wie www.tmz.com erreichen monatlich 10 Millionen LeserInnen, bei www.omg.yahoo.com sind es 20 Millionen. Vor acht Jahren hatte die wöchentlich erscheinende Klatschpostille US Weekly 800.000 Abonnenten – inzwischen sind es knapp 2 Millionen.

Die Nachfrage nach Magazinen wie US Weekly oder auch People oder In Touch scheint unerschöpflich; die Titel florieren so sehr, dass in den letzten Jahren trotz Finanzkrise auch in den Medien amerikanische Celebrity-Titel zunehmend auch auf Deutsch lanciert worden sind – während gleichzeitig die Zeitungen mit Auflagenschwund zu kämpfen haben. Bloom sagt: Diese obsessive Beschäftigung mit der Prominenz hat verheerende Folgen und ist vor allem für Frauen fatal.

Untersuchungen zeigen, dass Frauen umso unglücklicher werden, je mehr sie sich mit so genannten Celebrities beschäftigen. Das ist wenig erstaunlich, geht es doch bei der weiblichen Prominenz vor allem um eines: um ihr Aussehen. Oder wie es auf Englisch treffender heißt: being hot. Die in den Medien gezeigten Frauen sind stets prominente Frauen, sie sind faltenlos, schlank, perfekt frisiert und manikürt. Das jedenfalls suggeriert die Bilderflut.

Doch was der Welt da präsentiert wird, hat mit der Realität nicht viel zu tun. Wenn Klatschpostillen beeindruckt darüber berichten, in welcher Rekordzeit Model-Mütter nach der Geburt ihrer Kinder wieder ihr ursprüngliches Gewicht erreichen, dann wird nicht erwähnt, dass diese im Unterschied zur Mutter in der Reihenhaussiedlung über eine ganze Armada von Helfern wie Nanny, Personal Trainer und Haushaltshilfe verfügen. Doch die übermüdete Leserin, die sich seit einem Jahr immer noch mit ihren Schwangerschaftspfunden herumschlägt, fragt sich, weshalb sie das nicht schafft. Im schlimmsten Fall wird sie das auch von ihrem Gatten gefragt.

Das ist das eine. Das andere sind Umfrageresultate wie diese: Jede vierte der befragten Frauen würde lieber von einem Lastwagen überfahren werden als Kiloszuzulegen. Und ebenfalls jede Vierte würde lieber „America’s Next Topmodel“ gewinnen als den Friedensnobelpreis. Sogar 30 Prozent befanden, ihr Aussehen sei ihr wichtigstes Attribut – wichtiger als ihre Leistung im Beruf oder ihre Intelligenz. Haben, fragt Bloom, unsere Mütter dafür gekämpft? Dass Frauen nach wie vor das Gefühl haben, in erster Linie „hot“ sein zu müssen?

Die britische Feministin Natasha Walter beschrieb in ihrem im letzten Jahr auch auf Deutsch erschienenen Buch „Living Dolls“, in welchem Ausmaß junge Engländerinnen Sexyness als erstrebenswerte Eigenschaft betrachten würden. Auch sie führt das darauf zurück, dass „Big Brother“-Stars und Starlets der C-Klasse mit monströsen Silikonbrüsten in den Medien als Heldinnen gefeiert werden – es entstehe der Eindruck, für Frauen gäbe es aller Emanzipation zum Trotz nur ein erfolgversprechendes Attribut: eben sexy zu sein. Heutzutage schafft es eine Frau eher dann in die Medien, wenn sie unter ihrem Mini das Höschen vergisst, als wenn sie ein kluges Buch schreibt – und auf die Titelseiten der Magazine hauptsächlich dann, wenn sie ein Baby bekommt, geheiratet oder abgenommen hat. Wenn sie also in irgendeiner Form ihrer vermeintlich „weiblichen Bestimmung“ nachkommt.

Die Folgen des Celebrity-Kults gehen über den Schönheitswahn hinaus und tangieren mittlerweile auch das zwischenmenschliche Verhalten. Im März 2010 schrieb der englische Psychologe und Paartherapeut Andrew G. Marshall in der Times, dass die Dauerpräsenz der Prominenten und die notorische Berichterstattung über deren kleinere und größere Dramen einen schädlichen Einfluss auf normale Beziehungen hätten. Seine Patienten, stellte Marshall fest, würden ihre Eheprobleme immer häufiger mit denjenigen der Stars vergleichen – weil die unzähligen Paparazzi-Bilder von einkaufenden oder mit ihren Kindern spielenden Celebrities den Eindruck vermitteln würden, sie seien wie wir.

Während früher Filmstars wie Liz Taylor und Richard Burton einem anderen Universum angehörten, scheint das Leben der heute Starbucks-Becher tragenden Celebrities in ihrer Allgegenwärtigkeit in Reichweite gerückt. Und so denken dann Frauen, dass sie genauso unbesorgt ein Kind ohne Vater großziehen könnten, wie das „Mad Men“-Star January Jones vorhat – die ist zurzeit schwanger, aber Single. Ein schwerwiegender Irrtum sei das, erklärt Marshall, denn die Lebensum stände von Normalsterblichen hätten mit denen der Prominenz herzlich wenig zu tun, da würden Realität und Fiktion vermischt.

Eine weitere Nebenwirkung der täglichen Überdosis Klatsch: Das Misstrauen in Beziehungen hat laut Marshall dramatisch zugenommen. Jeder aufgeflogene fremdgehende Prominente und die seitenlange Berichterstattung darüber hätten zur Folge, dass es vor allem seine Patientinnen mittlerweile normal fänden, das Handy des Partners regelmäßig zu kontrollieren. Und sie würden sich angesichts der scheinbar grassierenden Promiskuität fragen, ob Monogamie eigentlich noch normal sei.

Genau das sei das Problem, sagt der in den USA als Dr. Drew bekannte Psychologe Drew Pinsky. Durch die ausufernde Berichterstattung über den exzessiven Lebenswandel der Prominenz – Drogen, Alkohol, Ess-Fress-Sex-Sucht, wechselnde Partnerschaften, Untreue, Shopping, Schönheitsoperationen – würden plötzlich Verhaltensweisen als wünschenswert gelten, die eigentlich als pathologisch zu bezeichnen sind. In seinem Buch „The Mirror Effect: How Celebrity Narcissism is Seducing America“ analysiert er, dass Stars auffällig oft unter Narzissmus leiden, einer Persönlichkeitsstörung, die sich in egozentrischem, selbstverliebtem und mitunter auch selbstzerstörerischem Verhalten manifestiert. Pinsky spricht vom Spiegeleffekt, weil die Leserschaft denke: Die machen’s ja auch, und die sind schließlich wie wir. Das sei regelrecht gesundheitsgefährdend.

Lisa Bloom geht nicht ganz so weit. Sie findet bloß, dass man seine Zeit besser nutzen könnte als mit dem Lesen von Promi-Postillen – zum Beispiel mit einem Buch.

Die Autorin, 37, ist Redakteurin beim Zürcher Tages-Anzeiger und Mode-Kolumnistin bei si-style und Weltwoche.

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