Der Wahn der Facebook-Muddis

Foto: Anna Schori
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Ich fürchte, Betty Friedan wäre sehr enttäuscht, wenn sie aus dem Grab heraus das bei Facebook mittlerweile übliche Gebaren der Überdreißigjährigen begutachten würde (die Autorin von „Der Weiblichkeitswahn“, erschienen 1963). Damit meine ich den vor allem bei Frauen zu beobachtenden Trend, als Facebook-Profilbild ein Foto ihrer Kinder statt eines von sich selbst ins Netz zu stellen. Man klickt auf den Namen einer Freundin, und nicht ihr Gesicht springt einem entgegen, sondern das Bild eines schlafenden blonden Vierjährigen oder ein über den Strand rennendes Kleinkind mit Sonnenhut. 

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Betty Friedan wäre sehr enttäuscht

Was hier im Kontext eines unserer Lieblingstools zur Arbeitsvermeidung erstmal harmlos daherkommt, ist gleichwohl ein aussagekräftiges Symbol für unser Jahrhundert. In welche Ecke hat es denn bitte diese Frauen verschlagen? Eine rechtschaffene Historikerin in der Zukunft könnte mit gutem Recht fragen: Welche auf die heutige Zeit bezogene Aussage über „die Konstruktion weiblicher Identität“ treffen diese ganzen Babys auf unseren Facebook-Seiten? 

Viele der betreffenden Frauen sind berufstätig. Viele sind Teil einer Lesegruppe. Viele sind in Zusammenhänge involviert oder haben Interessen, die sie auch mal aus dem Kinderzimmer führen. Und trotzdem entscheiden sie sich für diese Art der Darstellung. Die Idee hinter Facebook ist ja, eine soziale Person zu schaffen, ein Image, das übers ganze Land in Hunderte von Cafés, Büros und Schlafzimmern projiziert wird. Warum also sollte man für diesen Zweck das Bild eines anderen Menschen benutzen, egal, wie eng dieser Mensch genetisch und auch sonst mit dem eigenen Leben verbunden ist?

Diese Entscheidung scheint den Rückzug auf eine ältere Form der Identität anzuzeigen, die aus einer Zeit stammt, als Frauen noch Mrs. John Smith hießen und als frisch gebackene Elitehochschulabsolventinnen inmitten von Staubsaugern und Sandkästen den Verstand verloren – und Betty Friedans furioses Pamphlet gegen den Weiblichkeitswahn erschien.  

Was nicht heißen soll, dass ich persönlich die Versuchung, ein Foto meines ebenfalls wunderschönen Kindes auf Facebook zu posten, nicht durchaus nachvollziehen könnte. Es befreit einen von der Last, auf einem Foto einigermaßen annehmbar auszusehen, sowie von dem entsetzlichen Auftrag, einfach nur man selbst zu sein. Immerhin steht ein dreijähriges Kind noch gerne vor der Kamera. Aber dennoch. Diese Fotos auf Facebook sind ein Zeichen für eine unheilvolle Selbstauslöschung: für das Eng-Werden von Lebenswelten. 

Denken Sie an ein Abendessen, zu dem Sie letztens eingeladen waren; oder an diese eine Freundin von Ihnen, die, die ihre Magisterarbeit über Proust geschrieben hat und als Zwanzigjährige immer bis morgens früh um fünf unterwegs war, eine kluge und lebenserfahrene Frau also. Erinnern Sie sich daran, wie diese Frau während des gesamten Essens, angefangen von den Oliven bis hin zur Mousse au Chocolat, über nichts anderes geredet hat als über ihre Kinder. Sie haben gewartet und gewartet. Und weil Sie diese Frau eigentlich sehr mögen, hätten Sie sich gewünscht, dass sie über … was? … ein Buch redet? Einen Film? Die politische Großwetterlage? 

Männer reden nicht über Kinder­wagenmodelle

Stimmt schon: Ihre Detailgenauigkeit, ihre analytische Tiefe und Begeisterung fürs Thema sind sehr eindrücklich, wenn sie über ihre Kinder spricht. Sie könnte, geht es Ihnen durch den Kopf, auch eine Doktorarbeit über den Effekt des pädagogischen Stils einer bestimmten Erzieherin auf ihre vierjährige Tochter schreiben. Aber trotzdem. Sie bemerken, wie an einer anderen, lebhafteren Ecke des Tischs die Männer nicht über Kinder­wagenmodelle reden. 

Es ist ein bisschen, als würde man in einem Jane-Austen-Roman im 18. Jahrhundert stecken, wo sich die Männer in ein anderes Zimmer zurückziehen, Brandy trinken und sich über Politik und das Weltgeschehen unterhalten. Sie konzentrieren sich wieder auf das Gespräch. Die Frau redet jetzt darüber, was sie ihrem Kind zum Mittagessen mitgibt. Sind wir Frauen manchmal vielleicht alle wie diese Frau? Ein bisschen Kinder-Talk ist ja in Ordnung, klar, aber hat es nicht auch mal Zeiten gegeben, in denen wir auch noch an anderen Dingen Interesse hatten?

Das Rätselhafte ist, dass die Frau mit dem Baby-Facebook-Profilbild ziemlich ­sicher den „Weiblichkeitswahn“ von Betty Friedan gelesen hat – genauso wie Simone de Beauvoirs „Anderes Geschlecht“, Naomi Wolfs „Mythos Schönheit“ oder Blogs wie „DoubleX“ und „Jezebel“. Kluge Gespräche darüber, auf welcher Welle des Feminismus wir gerade reiten, sind ihr nicht fremd. Und trotzdem passiert auch ihr diese Art der Ausradierung, dieser aktiv betriebene Ich-Verlust ganz selbstverständlich. Seht her, scheint sie zu sagen, hier ist meine wunderschöne Familie, ich selbst spiele keine Rolle.

Ich habe eine Freundin, deren Tochter über eine sehr lange Zeit hinweg quietschende Turnschuhe trug. Diese Turnschuhe gaben bei jedem Schritt ein für Erwachsenenohren unglaublich nervtötendes Quietschen von sich. Ich fragte meine Freundin, warum sie diese Schuhe dulde, und sie meinte nur: „Weil sie sie so mag!“ Stellen Sie sich vor, wie es ist, zur heutigen Kindergeneration zu gehören und mit jedem herrlichen Turnschuhquietschen zu entdecken, dass Galileo Unrecht hatte: Nicht die Sonne ist das Zentrum des Universums - ich bin es!

Unsere Eltern hatten ein eigenes Leben

Ich muss an unsere Eltern denken. Nie und nimmer hätten sie quietschende Turnschuhe und Gespräche, die sich nur um die Kinder drehen, hingenommen! Sie haben uns genauso glühend geliebt wie wir unsere Kinder, aber sie hatten, soweit ich mich erinnere, auch noch ein eigenes Leben. Wir durften die Außenbereiche davon bespielen. Sie planten das Wochenende nicht ausschließlich rund um Kinderkonzerte, Kunstkurse, Klavierunterricht und Kindergeburtstage.

Warum, fragen sich heute viele von uns, spielen die Kinder eigentlich nicht für sich? Warum fehlt ihnen dafür das innere Rüstzeug, an das wir uns schemenhaft aus unserer eigenen Kindheit zu erinnern meinen? Die Antwort scheint einfach: Wir haben es mit unseren besten Absichten übertrieben, wir haben uns für die Erziehung, die Unterhaltung und die generelle Bildung unserer Kinder über-aufgeopfert. Wir haben die Idee von einem unabhängigen Erwachsenenleben genauso aufgegeben wie den Kindern die Möglichkeit genommen, sich einen Platz für sich selbst zu erträumen – und zwar ganz für sich allein.

Natürlich ist Facebook ein Verschiebebahnhof für Exhibitionismen aller Art: Hier bekommt man die Gelegenheit, das eigene Leben – beziehungsweise einige für die Außenwelt handverlesene Aspekte davon – zu reinen Schauzwecken vorzuzeigen. Die eigenen Kinder sind eine große Errungenschaft, man könnte behaupten, die größte Errungenschaft eines Lebens. Aber das heißt nicht, dass sie Ich sind. 

Natürlich kann man den jungen Leuten mit ihren „Was machst du gerade?“-Postings zum Thema „Ich trinke gerade Tee XY“ einen noch unangenehmeren, noch unheimlicheren Narzissmus unterstellen. Ich aber finde diese andere Ausprägung von Narzissmus, diese Puttenbildchen, die einem als Selbstbild aufgetischt werden, deutlich verstörender – weil sie der Wahrheit so nahe kommen. Denn die unterschwellige Rechnung, die hier aufgemacht wird, lautet: Ich bin = mein(e) Kind(er).

Facebook wurde eigentlich für jüngere Leute entwickelt. Die Plattform bietet sich vor allem an für Menschen, die sich entweder gar nicht kennen, die sich gerade erst auf einer Party kennengelernt haben oder die einen Flirt weiterführen wollen. Doch das Ersetzen des eigenen Bildes durch ein Kinderfoto unterminiert genau diesen Zweck. Indem sie anstelle der attraktiven Mutter das unschuldige Gesicht eines Kindes einsetzt, entledigt sich diese Muttergeneration auch ihrer Sexualität.

Mütter entledigen sich ihrer Sexualität

Diese Praxis steht dafür, sich ein bisschen zu vernachlässigen, jeden Tag Turnschuhe zu tragen und sich nicht mehr die Haare schneiden zu lassen – also für den Versuch, unsichtbar zu werden. Worin sich eine ganz bestimmte Mama-Kultur spiegelt, in der man fast stolz darauf ist, wie wenig übrig geblieben ist von dem weltgewandten, engagierten und gepflegten ehemaligen Ich.

Was, wenn Facebook nur der Anfang ist? Was, wenn als nächstes Personalausweise und Führerscheine drankommen? Was, wenn plötzlich das Gesicht einer ganzen Generation verschwindet und an seine Stelle lauter strahlende Kleinkinder treten? Wer wird die verschwundenen Damen betrauern? Und wann darf Betty Friedan endlich in Frieden ruhen?

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Der Text ist ein Auszug aus Katie Roiphe: Messy Lives – Für ein unaufgeräumtes Leben, Ü: Kirsten Riesselmann (Ullstein)

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