In der Weihnachts-Meckerei
Es sind noch 47 Tage bis Weihnachten. Kaum liege ich abends auf dem Sofa, öffnet sich mein abgegriffener Kalender fast von selbst, er will zu mir, wie jeden Abend. Die 47 Tage bis Weihnachten sind ein enges, blaugrünes Gekritzel: Die Nachmittage und Wochenenden, die zum Nachbessern der Weihnachtsdeko und zum gemeinsamen Anbringen mit den Kindern in Frage kommen, sind markiert, ebenso der Tag, an dem spätestens (!!!) der Adventskranz gekauft, besser noch gebastelt sein muss. Ein paarmal habe ich zaghaft mit dem Bleistift „Plätzchenbacken“? auf die Seite gehaucht. Mit wütendem Kugelstift: „Geschenke Family???“ Dazu: montags Musikkurs, Dienstag Kunst, Mittwoch Kampfsport. Am Wochenende Schwimmen. Schularzttermin, Playdates, Hortantrag. Lesungen. Adventsketten, ja oder nein? Die Schwiegermutter kauft Lego-Kalender für die Kinder, aber wäre es nicht netter, dazu noch jeden Tag eine Kleinigkeit selbst zu befüllen? Ein Wichtel, das kann ich mit Sicherheit sagen, wird nicht bei uns einziehen.
Am anderen Ende des Sofas sitzt mein Mann, er liest eine Thomas-Mann-Biografie, und er tut mir leid. Ich werde ihm gleich vorschlagen, einen Onlinetest zu machen, mit dem Ziel, herauszufinden, ob wir gleich viel Mental Load haben – die unsichtbare Last des Planens und Bedenkens im Familienalltag, die laut ungefähr jeder Studie in exorbitant höherem Maße von Frauen getragen wird.
Der Test wurde von der Initiative „Equal Care“ entwickelt, um eine „Gesprächsgrundlage“ für Paare in Bezug auf ihre Aufgabenverteilung zu schaffen. „Wenn beide Elternteile mit ähnlicher Stundenanzahl erwerbsarbeiten gehen, sollte die faire Care-Arbeitsverteilung bei etwa 50 : 50 liegen“, mahnen die Verfasser. Wir arbeiten zwar keineswegs mit ähnlicher Stundenzahl (er in Führungsposition Vollzeit, ich als Autorin punktuell), aber er kann, so denke ich, nur verlieren. Ich und mein Kalender sind der Endgegner.
In den letzten fünf Jahren hat sich über Social Media eine Vorstellung von Gleichberechtigung verbreitet, die stark darauf abzielt, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Der Begriff „Mental Load“, auch wenn es ihn schon seit den Siebzigern gibt, ist ein Corona-Phänomen: Er gewann in dem Moment drastisch an Popularität, in dem die Familien auf ihr Zuhause zurückgeworfen waren. Ich glaube, in den zahlreichen Mental-Load-Posts und -Ratgebern aus dieser Zeit steckt die Hoffnung des historischen Momentums: dass die Männer im Homeoffice neben dem Wäschestapel endlich, endlich, endlich einmal etwas verstehen – und ändern. Damals trendete der Comic der französischen Zeichnerin Emma, in dem eine Frau mit zwei an ihr dranhängenden Kleinkindern der Kochtopf überschäumt, während der Mann zeitunglesend danebensitzt und sagt: „Du hättest doch nur fragen müssen, Schatz!“ Ende 2020 schrieb die Zeit in ihrem Jahresrückblick, das vergangene Jahr sei das Jahr, in dem endlich auch Männer den Begriff „Mental Load“ kennen würden. Wo sind diese Männer jetzt? Wie würde so ein Jahresrückblick in Bezug auf das Jahr 2025 aussehen? Und wie sieht das eigentlich mein Mann?
In meinem Browserfenster öffnet sich eine Liste, deren bloßes Überfliegen einen hektisch werden lässt: Es handelt sich um eine Aufzählung regelmäßig rund um Haushalt und Kindererziehung anfallender Tätigkeiten. Wäsche machen, Wäsche falten, Betten machen … Hinter jeder Tätigkeit lässt sich anklicken. ob man häufig an sie denkt, sie häufig ausführt oder beides. Das führt zu einer Gesamtpunktzahl, die man wiederum mit der Gesamtpunktzahl des Partners vergleichen kann. Leider gibt es nicht die Möglichkeit, zu differenzieren, ob man glaubt, die betreffende Tätigkeit wesentlich häufiger als der Partner auszuführen. Es lässt sich lediglich festhalten, ob man sie überhaupt ausführt.
Ich beobachte meinen Mann, seine kritische Stirnfalte, die gewissenhaft klickenden Finger. Diesmal regt sich in mir eine leise Wut, wenn ich mir vorstelle, dass er bei „Betten machen“ anklickt, dass er sowohl daran denke, als es auch tue. Er bemerkt meinen Blick. „Wo bist du gerade?“, frage ich. „Betten machen“, sagt er. „Mache ich viel häufiger als du.“
Ich merke, wie mich der Test jetzt schon ärgert: Ich weiß schließlich, dass ich mehr unsichtbare Arbeit habe. Entscheidende sensible Bereiche unseres familiären Zusammenlebens würden zusammenbrechen, würde ich aufhören, an ihnen zu arbeiten. In Bezug auf Weihnachten müssen wir gar nicht erst anfangen: Er Weihnachtsbaum, ich den ganzen Rest. Wobei ich zugeben muss, dass er meistens auch alle Geschenke kauft, in letzter Sekunde durchs „KaDeWe“ rast. Dass auch die Ideen für die Geschenke meistens seine sind. Er fängt halt nur nicht sieben Wochen vorher an, darüber nachzudenken.
Mir verstellt das Persönliche den Blick aufs Strukturelle, und das ist das Problem: Natürlich wird meine unsichtbare gedankliche Arbeit nicht gesehen, gewürdigt, gewertschätzt, natürlich ist das ein großes, fast schon zeitloses gesellschaftliches Problem, natürlich ist die Grundidee, das alles aus dem Nebel des Gefühlten herauszuholen und in objektive Zahlen zu verwandeln, gut – aber etwas in mir sträubt sich.
„Meine Erfahrung hat gezeigt, dass es nicht ausreicht, so vor sich hinzuwurschteln und zu hoffen, dass sich am Ende alles fügen würde“, schreibt die Bloggerin Patricia Cammarata in ihrem „Mental-Load-Ratgeber“ von 2020, der „Wege zu mehr Gleichberechtigung“ aufzeigen will. Das sitzt, schließlich ist „Durchwurschteln“ genau das, was mein Mann und ich machen. Die meiste Zeit habe ich das Gefühl, es geht sich irgendwie aus.
Und dann denke ich daran, wer die Kitaanträge für unsere Kinder vor vier Jahren ausgefüllt hat und gerate in Rage.
Was also habe ich gegen die „Gesprächsgrundlage“, die uns der Test anbieten will? Die Gesamtpunktzahl meines Partners ist 278. Er hat 161 von 181 mach-ich-Punkten und 117 von 181 denk-ich-dran-Punkten. Meine Gesamtpunktzahl ist 390, ich habe 185 von 216 mach-ich-Punkten und 205 von 216 denk-ich-dran-Punkten. Wir schauen uns ratlos an. Was bedeutet das? Wir wissen es nicht, und merken gleichzeitig: Es ist auch egal.
Was nicht egal ist: Wenn dieses Jahr zu Ende geht, werden wir in eine Welt hineingehen, in welcher längst begonnen wurde, an den Rechten der Frauen zu sägen. Wir befinden uns in einem globalen Backlash, dessen Ausmaße noch nicht abzusehen sind. Der „neue Vater“ der letzten Jahre, der sich „Mental Load“ und „Care Arbeit“ teilen wollte, wird vielleicht schon bald eine ferne Erinnerung sein. Vielleicht müssen wir uns vom Persönlichen wieder dem Politischen zuwenden. Nur, dafür braucht man ja auch Zeit. Ich frage meinen Mann, ob er dieses Jahr den Adventskranz holen kann. Er fragt mich, was ich davon halte, in der Wohnung meiner Mutter, die wir gerade renovieren lassen, eine zusätzliche Steckdose hinter dem Sofa zu verlegen – er denke schon den ganzen Abend darüber nach.
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