Prostitution: Es geht voran!
Bei der Verleihung des HeldinnenAwards der Alice-Schwarzer-Stiftung sprach Bundestagspräsidentin Julia Klöckner klare Worte. „Mitten in unserer Gesellschaft besteht ein Sklavinnenmarkt“, erklärte sie. „Frauen aus den Armenhäusern Europas“ würden in der Prostitution „geschlagen, sie müssen sich ins Gesicht spucken lassen und auf den Knien vor ihren Freiern rumrutschen“. Den deutschen Sonderweg, Prostitution zu einem „Beruf wie jeder andere“ zu erklären, befand Julia Klöckner für gescheitert. „Wir beobachten in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten, dass wir Prostituierte mit unserer Gesetzgebung eben nicht ausreichend schützen. Ganz im Gegenteil: Deutschland ist der Puff Europas!“
Zuvor hatte Alice Schwarzer in ihrer Eröffnungsrede aus der UN-Konvention zur Bekämpfung des Menschenhandels von 1949 zitiert: „Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels sind mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar“. Und zwar unabhängig von der „Einwilligung“ der Person. Ebenso solle „jede Person bestraft werden, die ein Bordell unterhält“. Das war vor 76 Jahren. Schwarzer erklärte: „Wenn wir eine wahre Gleichberechtigung in der Gesellschaft wollen, werden wir die niemals kriegen, solange es Prostitution gibt – solange Frauen das käufliche Geschlecht sind.“ Deshalb, brauche es die Bestrafung der Freier, die andere Länder wie Schweden, Irland oder Frankreich längst eingeführt haben. „Warum? Weil sie den Markt überhaupt erst schaffen.“
Das fordern auch die beiden Preisträgerinnen, die am Abend des 4. November in der Baden-Württembergischen Landesvertretung ausgezeichnet wurden: Sabine Constabel und Cathrin Schauer-Kelpin. Beide stehen seit drei Jahrzehnten als Sozialarbeiterinnen Frauen in der Prostitution zur Seite und helfen beim Ausstieg: Constabel mit ihrem Prostituierten-Café La Strada mitten in der Stuttgarter Rotlicht-Meile sowie als Vorsitzende von „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“; Schauer-Kelpin mit ihrem Schutzhaus an der tschechischen Grenze und ihrem Verein KARO. Beide kämpfen an der Seite der Prostituierten – und gegen das System Prostitution.
„Ich habe unvorstellbares Leid gesehen: Frauen, die blutig geschlagen, verletzt, zerbrochen waren. Und fast alle haben schon in der Kindheit Gewalt erlebt. Diese Geschichten sind keine Krimis. Es sind Tragödien – mitten unter uns“, erklärte die sichtlich bewegte Cathrin Schauer-Kelpin. Und versicherte: „Ich bleibe empört über ein System, das Armut, Gewalt und Missbrauch mit schönen Worten zudeckt! Ich bleibe empört über Strukturen, die Frauenkörper zur Ware machen – und das ‚sexuelle Selbstbestimmung‘ nennen! Ich bleibe empört, wenn Politik und Gesellschaft wegsehen!“
Und Sabine Constabel beklagte: „Da draußen wird immer noch von ‚freiwilliger Sexarbeit‘ gesprochen. Aber die meisten Frauen, die mir begegneten, hatten bereits als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erlebt.“ Sie forderte: „Wir brauchen den Mut, das Sexkaufverbot auch in Deutschland umzusetzen!“ Als Laudatorin von Sabine Constabel setzte Bundestagspräsidentin Klöckner nahtlos an: „Wir müssen den Sexkauf hierzulande endlich auch verbieten!“
Die Klöckner-Rede schlug ein wie eine Bombe, Medien von Bild bis Spiegel berichteten. Am Tag nach der Preisverleihung ging dann auch Nina Warken nach vorn. Die Gesundheitsministerin und Vorsitzende der CDU-Frauenunion erklärte: „Deutschland braucht wie andere Länder auch ein strafbewehrtes Sexkaufverbot für Freier.“ Prostituierte sollten straffrei bleiben und umfassende Ausstiegshilfen erhalten. „Deutschland darf nicht länger das Bordell Europas sein.“
Einen Tag später erklärte Anja Weisgerber (CSU) im ARD-Morgenmagazin: „Wir haben ein Prostituiertenschutzgesetz – und das ist gescheitert. Ziel war, dass die Prostituierten sich anmelden, dass sie sogar Zugang zur Sozialversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung bekommen. Tatsache ist, dass nur 10 bis 15 Prozent der Frauen behördlich gemeldet sind. Das heißt, der Rest arbeitet auch jetzt schon im Verborgenen und ist den Zuhältern und Freiern schutzlos ausgeliefert“, klagt die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. Und in Richtung der Pro-Prostitutionslobby sandte sie eine klare Botschaft: „Die zehn Prozent, die es freiwillig tun, rechtfertigen nicht, dass wir die 90 Prozent im Stich lassen.“
Die Front der Frauen in der Union, die für das sogenannte Nordische Modell eintreten, ist breit – und sie wird immer breiter. Von Wissenschaftsministerin Dorothee Bär (CSU) ist schon länger bekannt, dass sie für das sogenannte Nordische Modell ist, also für die Kriminalisierung der Profiteure des Prostitutionsgewerbes – Freier, Zuhälter, Bordellbetreiber – bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten plus Ausstiegshilfen. Das Gleiche gilt für Mechthild Heil, die Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU-Fraktion. Sowie Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Die Bundestagsabgeordnete, ehemalige Richterin und langjährige Vorsitzende des Rechtsausschusses, engagiert sich schon seit vielen Jahren gegen die skandalöse Gesetzeslage in Deutschland.
Eine so breite und mächtige Frauenfront wird die Union kaum noch länger ignorieren können – zumal sie schon vor dem Regierungswechsel eine klare Beschlusslage hatte. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hatte sich bereits im Februar 2024 für das Nordische Modell ausgesprochen. Im Mai beschloss der Parteitag der CDU, die Freierbestrafung ins CDU-Grundsatzprogramm aufzunehmen. Die Union hatte sich also noch vor den Wahlen eindeutig kritisch positioniert. Das sei auch die Position von Kanzler Friedrich Merz, heißt es bis heute in den Kulissen der Partei.
Doch die Forderung findet sich nicht mehr im Koalitionsvertrag. Wo ist sie geblieben? Die SPD habe sie rausverhandelt, heißt es. Dabei mehren sich auch bei den Sozialdemokraten – denen die fatale Prostitutions-Reform von 2002 gemeinsam mit den Grünen zu verdanken ist – die Stimmen, die einen echten Paradigmenwechsel fordern. Allen voran zwei, die damals Ministerinnen waren: „Die Reform war ein Fehler!“ sagt heute die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Sie habe „noch keine Prostituierte getroffen, die nicht aussteigen würde, wenn sie könnte“. Und Gesundheitsministerin a. D. Ulla Schmidt ist heute Unterstützerin des Netzwerkes „SPD pro Nordisches Modell“, denn: „Frauen sind keine Ware.“ Und schon im Herbst 2023 hatte der damalige Ampel-Kanzler Olaf Scholz im Bundestag erklärt: „Ich finde es nicht akzeptabel, dass Männer Frauen kaufen!“
Dennoch gab es in der Zeit der Ampelkoalition nur einzelne Abgeordnete, die für einen Paradigmenwechsel auch in der SPD kämpften. Zum Beispiel die inzwischen aus dem Parlament ausgeschiedene Leni Breymaier, die zehn Jahre lang Vorsitzende von Sisters war. Auch die Ex-Parteivorsitzende und aktuelle Vorsitzende des Familienausschusses, Saskia Esken, ist für eine Bestrafung der Freier. Ebenso die Europa-Abgeordnete Maria Noichl! Sie kämpft seit vielen Jahren in Brüssel gegen das fatale deutsche Gesetz und die Pro-Prostitutionslobby.
Die Sozialdemokratin aus Rosenheim trug entscheidend dazu bei, dass das EU-Parlament im September 2023 erklärte: „Das System Prostitution ist von Natur aus gewalttätig und zutiefst unmenschlich!“ In einem sogenannten „Initiativbericht“, den Noichl mitverfasste, stellt das Parlament mit einer klaren Mehrheit von 234 zu 175 Stimmen fest: „Es ist eine Tatsache, dass es für Menschenhändler in Ländern, in denen die Prostitution legal ist, viel leichter ist, den rechtlichen Rahmen zur Ausbeutung ihrer Opfer zu nutzen.“ Und: „Die Käufer von Sex spielen eine Schlüsselrolle dabei, diese Märkte zu vergrößern.“ So ist es. Deshalb geht es bei der Freierbestrafung auch nicht um „Moral“, wie KritikerInnen gern behaupten. Sondern darum, die Nachfrage nach der Ware Frau zu stoppen – und so den Markt einzudämmen.
Auch Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) findet das sogenannte Nordische Modell „durchaus bedenkenswert“. Ihre Heimatstadt Duisburg ist für ihr Rotlichtmilieu berüchtigt, in dem Hells Angels und Bandidos besonders hemmungslos agieren. „Ich sehe das Elend und dass es mit der Zwangsprostitution immer schlimmer wird“, sagte Bas nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin im Gespräch mit EMMA. „So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.“
Und wie soll es werden, Frau Bas?
Der Duisburger Polizeipräsident Alexander Dierselhuis redet Klartext. Der ehemalige Staatsanwalt mit Schwerpunkt Organisierte Kriminalität hatte als Experte im Familienausschuss des Bundestages erklärt, warum das Argument der Pro-Prostitutionslobby, mit der Freierbestrafung rutsche die Prostitution ins „Dunkelfeld“, schlicht Unfug ist: „Wir wissen, wo Bordelle sind, aber wir haben nicht den Hauch einer Ahnung, was dort passiert. Wir haben im aktuellen System ein massives Dunkelfeld!“ Weil die wenigen Verfahren wegen Menschenhandel oft scheitern, da die eingeschüchterten Frauen keine Aussage machen, ist Dierselhuis dafür, den Frauenkauf als solchen zu bestrafen. „Wir hätten dann eine einfach nachweisbare Straftat und damit eine Eintrittstür in die Ermittlungen.“
„Das Schlimme ist, dass wir eine Gesetzeslage haben, die das alles ermöglicht“, sagt Jasmina Hostert, eine weitere Stimme in der SPD, die für die Bestrafung der Freier kämpft. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion stammt aus Bosnien und weiß, mit welchen Mitteln Frauen aus Osteuropa nach Deutschland gelockt werden. Hostert sieht die entscheidende Stelle auf der Nachfrageseite, den Freiern: „Wir müssen Jungs beibringen, dass Frauen keine Ware sind. Wir müssen die Mentalität verändern und das geht durch das Nordische Modell.“
Das scheinen auch immer mehr Sozialdemokratinnen an der Basis so zu sehen
Am 16./17. November kamen die SPD-Frauen zu ihrer Bundeskonferenz zusammen. Dort gab es zwei Lager: Die eine Gruppe behauptet: „Sexarbeit ist normale Arbeit“. Die andere erklärt: „Prostitution ist Gewalt gegen Frauen!“ Die SPD-Frauen hoben ihren bisherigen Beschluss gegen das Nordische Modell auf und beschlossen, „offen mit den beiden Positionen zur Prostitution umzugehen“.
Maria Noichl hält das für einen Etappensieg: „Das ist ein großer Erfolg für die immer stärker werdende Gruppe innerhalb der SPD-Frauen, die offen und lautstark für das Nordische Modell kämpfen.“ Und die Europa-Abgeordnete weist ihre Genossinnen darauf hin, dass „andere sozialdemokratische Parteien in Ländern wie Schweden, Spanien oder Frankreich diesen Schritt bereits vollzogen haben – nämlich sich klar an die Seite der Schwächsten zu stellen.“
Und die Linke? Sie war früher pro Prostitution. Ob sich das in der inzwischen verjüngten und verweiblichten Partei geändert hat, ist noch nicht bekannt. Immerhin gibt es inzwischen aber auch dort ein Netzwerk „Linke für eine Welt ohne Prostitution“.
Schließlich die Grünen. Sie sind die ErfinderInnen des Slogans: „Prostitution ist ein Beruf wie jeder andere“. Für sie sind Frauen in der Prostitution „Sexarbeiter:innen“. Doch selbst in diesem Dunkel gibt es ein Licht – und kein kleines. Die Parteivorsitzende Franziska Brantner sei, so heißt es, für ein Sexkaufverbot „nach dem französischen Modell“. In Frankreich gilt Prostitution als schwerer Verstoß gegen die Menschenwürde, werden Freier bestraft, Zuhälter und Bordellbetreiber sowieso, und wird Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, geholfen. Brantner hatte schon als Europa-Abgeordnete den Brüsseler Appell unterzeichnet: „Für ein Europa ohne Prostitution“.
Im Jahr 1996 hatte ein überparteiliches Bündnis von Politikerinnen es geschafft, endlich die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe durchzusetzen. Da galt bis dahin das Herrenrecht. Damals ergriff die SPD-Abgeordnete Ulla Schmidt die Initiative – und alle machten mit.
Es wäre gut, wenn die CDU/CSU-Frauen diesmal die Gesetzes-Initiative ergriffen und es wäre zu schön, wenn wieder alle mitmachten. Denn es geht nicht nur um die Ärmsten der Armen unter den Frauen. Es geht um die Menschenwürde aller – für beide Geschlechter.


