"Deutschland ist der Puff Europas"
Sie werden geschlagen und gewürgt. Fast bis zum Tod. Sie müssen sich ins Gesicht spucken lassen und auf den Knien vor ihren Freiern herumrutschen. Kondom? Fehlanzeige!
Davon berichten Frauen, die sich aus der Prostitution befreit haben. So wie Huschke Mau, Wissenschaftlerin und Autorin, die heute anderen Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution hilft. Ob im Bordell, in Wohnungen oder hier um die Ecke auf dem Straßenstrich: Täglich werden in Deutschland Prostituierte aufs Abscheulichste missbraucht. Den Freiern geht es nicht um Sex, es geht ihnen um Demütigung und Macht. Unter ihnen sind auch Sadisten. Sie wollen die Angst der Frauen spüren. Sie wollen sie zerstören. Seelisch und körperlich. Der Gipfel der Menschenverachtung: Verrichtungsboxen. Schäbiger als manche öffentliche Toilette. Viele Prostituierte leiden unter Infektionen und Unterleibsschmerzen. Aber zu welcher Ärztin sollen sie gehen – ohne Krankenversicherung? Werden ihnen kostenlose Untersuchungen bei Frauenärzten angeboten, trauen sie sich oftmals nicht, mit den Sozialarbeiterinnen mitzugehen. Zuhälter verbieten es ihnen, zwingen sie, trotz Schmerzen, weiter anzuschaffen.
„Mitten in unserer Gesellschaft besteht ein Sklavinnenmarkt, der an Grausamkeit nicht mehr zu überbieten ist.“ So haben Sie es, Frau Constabel, in einer Stellungnahme für den Deutschen Bundestag beschrieben.
Die meisten dieser Frauen stammen aus den Armenhäusern Europas. Ohne Geld und ohne jede Perspektive auf besseres Leben. Häufig haben sie als Kind Gewalt und sexuellen Missbrauch erfahren.
Mit falschen Versprechungen auf einen guten Job in Deutschland werden sie von kriminellen Menschenhändlern von zuhause weggelockt und in die Prostitution getrieben.
Besonders perfide: Die Falle der Loverboys, die Frauen Liebe vorheucheln und emotional abhängig machen. Dann kommt die Schuldenfalle – angebliche gemeinsame Ausgaben, erfundene Notlagen. Die Männer setzen die Frauen mit Gewalt unter Druck und zwingen sie zum Geldverdienen in die Prostitution.
Das ist keine selbstbestimmte Sexarbeit – das ist Ausbeutung! Und zwar in unvorstellbarem Ausmaß.
Wie viele Menschen in Deutschland in der Prostitution sind, wissen wir nicht genau. Unterschiedliche Schätzungen gehen je nach Berechnungsmethode von bis zu 400.000 Personen aus. Geschätzte 85 bis 95 Prozent der Prostitution in Deutschland sind unfreiwillige Armutsprostitution!
Frau Constabel berichtet es uns Politikerinnen seit Jahren: „Armuts- und Zwangsprostitution gehen Hand in Hand.“ Wir müssen es so drastisch sagen: Deutschland ist der Puff Europas! Sex-Touristen aus aller Welt kommen hierher. Deutschland ist zu einer Drehscheibe beim Menschenhandel geworden. Und die Opfer sind fast ausschließlich Frauen. So die Feststellung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. (…)
Dieses Unrecht zu bekämpfen, muss unser aller Auftrag sein! Der Ausstieg ist schwer: Die Frauen haben Schulden und oft Suchtprobleme.
Liebe Frau Constabel, seit mehr als drei Jahrzehnten widmen Sie sich Prostituierten und haben tausende persönliche Gespräche geführt. Sie wissen, wie hart sie jeden Tag um ihr Überleben kämpfen. Sie fordern – ich zitiere: „Wenn die Politiker etwas für die Frauen tun wollen, dann sollen sie in Ausstiegshilfen investieren!“ Sie haben 1996 das Café La Strada mit aufgebaut, eine Anlaufstelle für Prostituierte mitten im Rotlichtviertel von Stuttgart. Das La Strada ist ein sicherer Rückzugsort, an dem die Frauen durchatmen können. Dort werden sie mit dem Notwendigsten versorgt: Mit einem warmen Essen, Kleidung, einer kostenlosen gynäkologischen Untersuchung oder einer Rechtsberatung. Kondome werden ausgegeben und manchmal auch – Kuscheltiere.
Sie und Ihr Team begegnen den Frauen mit Respekt und Aufmerksamkeit. Sie hören ihre Wünsche und Enttäuschungen, ihre Träume und Traumata. Sie sehen ihre Verletzungen und ahnen die Schmerzen, spüren ihren Ekel und fühlen ihre Angst. Sie erkennen ihre finanzielle Not und wissen, welche Hilfe die Prostituierten dringend brauchen. Sie sehen ihre Menschenwürde!
Es ist ein Akt der Nächstenliebe, sich Frauen zuzuwenden, die von der Gesellschaft immer noch stigmatisiert und ausgegrenzt werden. Und es zeugt von großer Courage, mitten im Rotlichtmilieu den Prostituierten beizustehen. Sie wollen aber noch mehr! Sie wollen den Frauen eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben eröffnen. Darum geht es Ihnen und Ihren Mitstreiterinnen zuvorderst.
Ein Ausstieg aus diesem Milieu ist alles andere als leicht. Die Frauen werden oftmals bedroht, haben Schulden und häufig auch Suchtprobleme. Sie sind traumatisiert, leiden an Angststörungen und Zwängen. Sie finden sich im normalen Leben erstmal nur schwer zurecht. Deshalb haben Sie sich entschlossen, einen Verein zu gründen, der den Frauen bei diesem schweren Schritt hilft: Auch das zeugt von Courage, denn immerhin stehen hinter vielen dieser Frauen kriminelle Zuhälter oder Bordellbetreiber, die ihre Einnahmequelle nicht verlieren wollen.
Seit zehn Jahren gibt es mittlerweile den Verein „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“! Schon im Namen des Vereins wird deutlich, um was es Ihnen und Ihren Mitstreiterinnen geht. Denn Prostitution ist ein Verstoß gegen Menschenwürde und Menschenrechte. Ihr Ziel: eine Welt ohne Prostitution.
Für mich gibt es da keinen Zweifel: Wir müssen die Prostitution und den Sexkauf hierzulande endlich verbieten und Freier bestrafen! Und in Prävention und Ausstiegshilfen investieren. Ähnlich wie Schweden, Norwegen, Frankreich oder Irland. Wir beobachten in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten, dass wir Prostituierte mit unserer Gesetzgebung nicht ausreichend schützen. Ganz im Gegenteil: Weder das Prostitutionsgesetz noch das Prostituiertenschutzgesetz stärken die Rechte der Frauen in der Prostitution nachhaltig. Es bleibt bei der gewaltigen Übermacht der Männer und bei der Unfreiwilligkeit der übergroßen Mehrheit der Prostituierten.
Sie und Ihre Mitstreiterinnen fordern ein gesellschaftliches Umdenken und das sogenannte Nordische Modell für Deutschland. Mit Sexkauf-Verbot und Bestrafung der Freier, mit Ausstiegshilfen und Prävention. Und einer Entkriminalisierung der Prostituierten. Gemeinsam sind Sie überzeugt: Die derzeitige Rechtslage verstärkt Menschenhandel und verdeckt die Gewalt gegen Frauen.
Liebe Frau Constabel, auch für Ihre Unbeirrbarkeit und Beharrlichkeit werden Sie heute mit dem HeldinnenAward der Alice-Schwarzer-Stiftung geehrt! Ich hoffe, dass der Preis dazu beiträgt, dass Ihre Expertise in der gesellschaftlichen Debatte deutlicher wahrgenommen wird.
Dafür, dass Sie die politische und gesellschaftliche Debatte in Deutschland entscheidend geprägt haben und weiterhin prägen, dafür gilt Ihnen unser Dank und unser Respekt! Ich freue mich sehr, Ihnen heute den HeldinnenAward 2025 überreichen zu dürfen. Ein Preis für mutige Frauen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Herzlichen Glückwunsch!
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