Die Afghaninnen: Spielball der Politik

Shikiba Babori emigrierte mit 13 Jahren von Kabul nach Deutschland. Sie lehrt an Hochschulen zu Migration aus Nah-Ost. - Foto: B. Flitner
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Das aktuelle Drama ist nicht neu. Das Schicksal der afghanischen Frauen war immer schon eng mit den politischen Interessen der jeweiligen Machthaber und Invasoren im Land verknüpft. Seit der Staatsgründung Afghanistans im Jahr 1921. Das Leben und die Rechte der Frauen sind stets Spielball sowohl der nationalen wie der internationalen Politik gewesen; egal, ob Engländer, Sowjets, Mudschahedin, Taliban oder zuletzt die NATO und ihre Verbündeten. Um ihre Politik durchzusetzen, ihren Gegner zu schwächen oder ihren Kampf zu legitimieren. Die Frauen sind – wie es gerade passt – Eigentum, Druckmittel oder Alibi für die Herrschaft der Männer. Am Beispiel der Frauen lässt sich genau nachvollziehen, in welchem Zustand sich das politische System Afghanistans jeweils befindet.

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Wenn zum Beispiel demonstriert werden soll, dass afghanische Frauen nicht erst mit dem NATO-Einsatz den Schritt in die Moderne gemacht haben, werden Fotos vor allem aus den 60er und 70er Jahren bemüht. Darauf ist schnell zu erkennen, dass die Frauen in der Zeit eine Welle der Freiheit und Gleichberechtigung erlebt haben. Es ist aber wichtig zu wissen, dass diese kurzen Freiheiten, die nur Wenigen von ihnen und meist auch nur in der Hauptstadt zugute kamen, von den Herrschenden funktionalisiert wurden.

Königin Soraya legte ihren Schleier öffentlich ab - als Zeichen einer neuen Ära

Nach dem anglo-russischen Abkommen 1921, das Afghanistan die Unabhängigkeit garantierte, war Amir Amanullah, der das Land damals regierte, bemüht, die Stellung Afghanistans in der Welt zu reformieren. Am effektivsten ließ sich das durch Veränderungen der Situation der Frauen sichtbar machen. Als erstes schaffte er den „Parda“ ab. Mit Hilfe des „Parda“ (Vorhang) war zuvor die physische Trennung der Geschlechter innerhalb des Hauses praktiziert worden. Und die Frau des damaligen Königs, Königin Soraya, unterstützte die Modernisierungsprozesse ihres westlich orientierten Ehemannes, indem sie als Zeichen der neuen Ära ihren Schleier öffentlich ablegte und damit die Frauen des Landes aufforderte, es ihr gleich zu tun. Gleichzeitig wurden landesweit Schulen für Mädchen gebaut.

Die Versuche Amanullahs, Afghanistan möglichst schnell zu einem modernen Staat umzubauen, stießen jedoch bei den traditionell gesinnten Patriarchen in den Provinzen auf Widerstand. Durch landesweite Aufstände gezwungen, verließ er schließlich das Land. Ergebnis: Ein Bürgerkrieg brach aus, Frauen wurden wieder verschleiert, die Mädchenschulen geschlossen.

Doch die Monarchie konnte sich schließlich in weiten Landesteilen behaupten und in den Folgejahren ihre westlich orientierte Politik fortsetzen, nicht zuletzt, um wirtschaftliche Unterstützung aus dem Ausland zu erhalten. Die Provinzen aber wurden von den jeweiligen Gouverneuren patriarchal regiert, innerhalb verfestigter Klan-Strukturen. Die neuen Freiheiten für Frauen galten also immer schon nur in der Hauptstadt und mit Einschränkungen in den vier Großstädten des Landes. Dieser Trend setzte sich über Jahrzehnte fort und in den 60er Jahre bekamen die Frauen sogar das Recht, die Universität zu besuchen.

Nach einer verheerenden Dürreperiode 1972 machten die Bauern (die 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen) einen Aufstand. Kommunistische Gruppen nutzten das, um mit Hilfe der Sowjetunion die Macht zu übernehmen. Die Unruhen ebbten aber nicht ab, so dass Ende der 1970er Jahre die Sowjetische Armee in Afghanistan einmarschierte.

Die Kommunisten förderten die Rechte der Frauen in ihrer Regierungszeit

Diese kommunistische Regierung ging zwar sehr repressiv gegen politisch Andersdenkende vor, förderte aber während ihrer Regierungszeit die Rechte der Frauen, ganz nach sowjetischem Vorbild.

Anfang der 1980er Jahre wurde Afghanistan ein wichtiges Schlachtfeld im Kalten Krieg. Moskau stützte die Kabuler Regierung, gleichzeitig verbreitete sich landesweit die islamistische Ideologie. Die daraus hervorgegangenen Mudschahedin, die sogenannten Gotteskrieger, bekamen Waffen und Geld von den USA und Saudi-Arabien. Der pakistanische Geheimdienst organisierte von außen die Guerilla-Kämpfe.

Schließlich wurden die kommunistischen Besatzer vertrieben. Ergebnis: Ein Bürgerkrieg unter den kämpfenden Mudschahedin brach aus, die Frauen wurden verschleiert, die Mädchenschulen geschlossen.

Mit dem Abzug der Sowjets verloren westliche Medien das Interesse an Afghanistan. Für die Frauen in Afghanistan hatte das kollektive Ignorieren der Ereignisse fatale Folgen: Die Jahre des Bürgerkriegs (1989 – 1996) und die Zeit der Taliban (1996 – 2001) werden von der afghanischen Bevölkerung, vor allem von den Frauen, als die am barbarischsten und unerträglichsten Jahre beschrieben. Nie zuvor war in dieser Radikalität versucht worden, die Moral der Frauen zu brechen, nie zuvor waren sie so drastisch misshandelt und versklavt worden.

In allen kriegerischen Auseinandersetzungen der 1990er Jahre wurden Frauen der jeweils gegnerischen Partei grausam gequält und vergewaltigt. Die Freiheit wurde den Frauen also vollständig genommen; nicht nur durch den Krieg, sondern vor allem durch die extrem patriarchale und islamistische Haltung der Mudschahedin, die wir jetzt Taliban nennen. Da die meisten der oft ungebildeten Gotteskrieger aus den ländlichen Provinzen kamen, war ihnen die Freizügigkeit der Frauen in den Städten (besonders in Kabul) schon immer ein Dorn im Auge.

Es gibt kein allgemeingültiges Rechtssystem für Frauen in Afghanistan. Die Rechte, die den Frauen zugestanden werden, orientieren sich im Großen und Ganzen an dem islamischen Recht der Scharia, das aber von Ort zu Ort frei interpretiert wird. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das mit lokalen Traditionen vermischt. Somit steht der männlichen Bevölkerung ein breites Instrumentarium zur Verfügung, die Rechtsauffassung willkürlich ihren Bedürfnissen anzupassen. Die Rechte der Frauen sind also nicht nach den Prinzipien der Menschenrechte geregelt, sondern nach dem, was den jeweils herrschenden Männern gerade passt.

Frauen und Mädchen werden wieder verschleiert und weggesperrt

In diesem Jahr haben die NATO und ihre Verbündeten Afghanistan verlassen. Die Gründe für den Einsatz waren noch 20 Jahre nach Beginn der Invasion 2001 nicht eindeutig definiert. Legitimiert wurde er aber unter anderem mit der Befreiung der Frauen. Wieder einmal wären also die afghanischen Frauen für politische Belange instrumentalisiert worden. Spätestens seit der Veröffentlichung vertraulicher und geheimdienstlicher Dokumente 2010 auf wikileaks.org ist bekannt: Die CIA benutzte die afghanischen Frauen bewusst, um der ISAF-Mission einen humanitären Anstrich zu geben. Da heißt es wörtlich: „Die afghanischen Frauen sind der ideale Botschafter, um den Kampf der ISAF-Truppen gegen die Taliban human erscheinen zu lassen. (…) Wir brauchen reichweitenstarke Medien, in denen afghanische Frauen ihre Erfahrungen mit französischen, deutschen und anderen europäischen Frauen teilen können, damit gerade die bei europäischen Frauen stark vorhandene Skepsis gegen die ISAF-Mission abgebaut werden kann.“

Nach zwei Jahrzehnten des Aufschwungs für Frauen und Mädchen übernehmen afghanische Extremisten also mit Hilfe von Pakistan und Katar wieder die Macht, Frauen werden wieder verschleiert und weggesperrt, Mädchenschulen werden geschlossen. Seit hundert Jahre sind die Frauen das Faustpfand der Machtspiele der jeweils in Afghanistan Herrschenden.

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