Alice Schwarzer schreibt

Prostitution: Die Freierin

Die Callboy-Story im ZEIT-Magazin.
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Der Artikel wird eingeleitet mit folgenden Worten: „Maniküre, Waxing, Selfcare sind alles Schritte zum besseren Ich. Kann das auch für bezahlten Sex gelten? Jede Frau will doch schließlich begehrt werden. Besondres Mütter.“ Die Autorin ist Mutter. Von vier Kindern, zwei aus erster Ehe, geschieden und wieder fest liiert, Tochter aus gutem Haus in Bonn und Bewohnerin eines Hauses im gutbürgerlichen Zehlendorf in Berlin, mit Garten. Sie gibt, wie sie schreibt, tausende für Friseur, Waxing und Maniküre aus („Selfcare“), um sich „immer weiter zu verbessern, zu optimieren“. Da scheint ihr bezahlter Sex nur „der finale Schritt zum besseren Ich“. Der Lebensgefährte scheint für sowas nicht (mehr?) infrage zu kommen, und es scheint ihn auch nicht zu stören.

Die Autorin heißt Caroline Rosales, ihre Themen sind die einer der vielen um Emanzipation ringenden Frauen (und sie hat auch schon für EMMA geschrieben). Dass frau vieles kaufen kann, ist in ihrer Welt selbstverständlich. Auch Sex kann sie kaufen. Aber irgendwie hat ihr noch niemand gesagt, dass man Begehren nicht kaufen kann. Macht nichts. Hauptsache, sie glaubt es.

Dass frau vieles kaufen kann, ist in ihrer Welt selbstverständlich

Ich beginne zu lesen. Vier Heftseiten im Zeit-Magazin. Ich bin gespannt. Wie wird sie sich da wieder rauswinden? Denn sie wird ja nicht im Ernst…

Sie sieht ihn in einer Gigolo-Bar tanzen. Er stellt sich als „Aaron“ vor, ist aber dann doch nur ein Kevin. „Was sind deine Ansprüche und Bedürfnisse?“, hatte der erste von Caroline kontaktierte Callboy gefragt. Die ist überwältigt. „Noch nie hat mir ein Typ vor einem Date eine ähnliche Frage gestellt“, jubelt sie. „Ich bin beeindruckt und überrumpelt zugleich.“

Verwöhnt scheint sie nicht gerade zu sein, unsere moderne, durchaus gutaussehende Frau, die einen großen Teil ihrer Zeit mit „Selbstoptimierung“ verbringt. Dass eine solche Freude über diese Frage herrscht, signalisiert allerdings auch eine gewisse Anspruchslosigkeit den Männern gegenüber.

Doch zurück zu Aaron/Kevin. Unsere investigative Journalistin bucht also eine Nacht in einem Designer-Hotel. Sie ist vor ihm da und stylt sich noch: figurbetonter schwarzer Body mit tiefem Ausschnitt, Jeans und Highheels. Er kommt im grünen Anorak.

Meine Spannung steigt. Sie wird doch wohl nicht…? Doch sie wird.

Sie trinken Champagner, auf ihre Kosten, klar. Sie setzen sich zusammen aufs Bett. Und nun darf der 1989 geborene Kevin erstmal erzählen. Vom Kohleofen. Von der nach der Wende arbeitslosen Mutter, Schichtarbeiterin. Von seinen Touren durch die Welt, wo er das angefangen hat mit dem Tanzen und Strippen, bei Nachfrage mit Zugabe. Und sie? Heizung und Teppichboden in Bonn, Ballettunterricht und katholischer Gottesdienst, plus Reisen nach Frankreich, Studium in Bonn und Berlin. („Ich kenne keine Kevins. In meiner Welt ist der Name Kevin ein Klassismus.“)

Und nun? Die Spannung zerreißt mich fast.

Und nun „haben wir plötzlich Sex“. Doch für Kevin ist es nicht wie mit hunderten anderer Kundinnen. Da ist die Autorin sich sicher. „Es gibt einen Flow zwischen uns.“ Und danach „lege ich mich in seinen Arm“. Und Kevin? „Das können wir gerne wieder machen“, sagt er beim Rausgehen. Die zwei Stunden sind vorbei. Er hat Feierabend.

„Das Schlimmste ist der Girlfriend-Sex“, hat mir das Ex-Callgirl Vivien jüngst im Gespräch anvertraut. Da müsste man nicht nur seinen Körper, sondern auch noch ein Stück seiner Seele verkaufen.

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Und die Selbstoptimierte? „Ich ahne, dass unsere Begegnung etwas Besonderes war“, schreibt sie, bar jeder Selbstironie. „Diese Begegnung habe nur ich mit ihm gehabt, und er auch irgendwie mit mir.“ Ihr letzter Satz: „Ich habe die Hoffnung, dass mein Blick ihm etwas bedeutet.“

Dazu gibt es professionelle Fotos. Er und sie am Bettrand, er auf dem Bett, sie auf dem Boden; sie, suchend ins Ungewisse guckend, er verletzlich-sinnlich und mit geradem Blick in die Kamera (Die Fotografin muss im Foyer gewartet haben, dabei war sie vermutlich nun doch nicht).

Warum geht mir plötzlich eine Geschichte nicht mehr aus dem Kopf, die ich vor über 30 Jahren gehört habe? Die einer Zwangsprostituierten im KZ. Zu ihr kamen nicht nur SS-Männer, sondern auch „privilegierte“ Häftlinge. Sie habe nie die Fassung verloren, berichtete sie. Nur einmal: Da habe einer der Mithäftlinge ihr Kuchen aus einem Weihnachtspaket mitgebracht, das seine Mutter geschickt hatte. Da sei sie in Tränen ausgebrochen. Nicht nur der Körper, auch die Seele.

Sie sei sich zunächst „schmierig vorgekommen. Wie ein Mann, der eine Prostituierte sucht. Der für etwas bezahlt, was er sonst nicht bekommen kann. Der die Regeln des Konsenses mithilfe von Geld umgehen will“, schreibt die Autorin. Übrigens: Normalerweise kosten zwei Stunden mit einem Callboy 400 Euro, schreibt sie. Sie hat 260 Euro bezahlt. Sie muss ihn runtergehandelt haben.

ALICE SCHWARZER

 

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