Auf ihn reinfallen?

© Peggy Sirota aus dem Buch "Traummänner"
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Zufall? Genau jetzt, in dem ­Moment, in dem ich diesen ­Artikel über Single-Frauen ab Dreißig in Deutschland schreiben will, starre ich auf das Chat-Fenster meines Facebook-Profils. In dem tut sich nämlich nichts. Es schweigt. Besser: Der Typ schweigt, von dem ich gerade gerne das genaue Gegenteil will. Eine Unterhaltung, die vor Wortwitz sprüht. Oder einfach nur die Frage: „Wollen wir uns wiedersehen?“ Stattdessen Geplänkel. Ich: „Na!“ Er: „Na?“ Ich: „Gut nach Hause gekommen?“ Er: „Schon!“ Ich: „Schön!“ Dieses „Schön!“ steht nun seit 15 Minuten alleine da. Schön ist das nicht.

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Der Typ ist meine Eroberung des letzten Wochenendes. Und so großartig ich es fand, mit ihm wie ein Teeny vor der Kneipe zu knutschen – umso unangenehmer ist es mir jetzt, wie eine Idiotin vor diesem Chat zu sitzen und dieses Desinteresse ­auszuhalten. Warum passiert mir so etwas immer wieder?

Mit dieser Frage schlage nicht nur ich mich rum. Wir Frauen sind die Sorgenkinder des neuen Jahrtausends. Als Singles geistern wir durch die Köpfe, durch die Kneipen und durch die Presse. „Is female empowerment killing romance?“ fragt die New York Times. „Es gibt einfach nicht genug hochqualifizierte und finanziell ­erfolgreiche Männer für die Zahl der hochqualifizierten und finanziell erfolg­reichen Frauen“, antwortet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Egal, Frauen können heute schließlich prima für sich selbst sorgen. Sie verdienen ihr eigenes Geld, sie haben einen stabilen Freundeskreis und spannende Hobbys. Und sie brauchen ja nicht einmal mehr einen Kerl, um ein Kind zu machen. Also, wo liegt eigentlich das Problem?

Es ist ein paar Wochen her, an einem Sonntag, da klingelte mein Telefon, und in dem Moment, als ich abnahm, sagte meine Freundin schon: „Es ist aus! Vorbei! Ich bin echt durch mit der Sache!“ Die Sache, wie sich dann herausstellte, war kein Job, keine Freundschaft, keine Beziehung, es waren die Männer an sich. Wenn man so will, hat meine Freundin an diesem Sonntag mit etwa 3,5 Milliarden Personen, sprich etwas mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung, Schluss gemacht. Ohne „Lasst uns Freunde bleiben“, ohne „Lasst uns noch mal drüber reden“. Alle blöd.

Der Auslöser: Ihr Kollege nutzte die Mittagspause im Büro, um ein paar zotige Witze über seine neuerdings so langweilige, weil schwangere Freundin zu reißen. „Wenn das Partnerschaft ist, dann verzichte ich!“ schnappte meine Freundin. Verständlich! Wie unfair! Die Arme! Und als das Thema durch war, sagte sie: „Ach, ich wünsch mir doch nur jemanden, der mich mal wieder in den Arm nimmt.“ Also lass uns doch noch mal drüber reden.

Paradox, oder? Frauen brauchen doch keine Männer mehr! „Es hat doch auch Vorteile, Single zu sein!“, sagen sie, wenn sie in Bars die Köpfe zusammenstecken und mit Weißweinschorle anstoßen. Auf das Single-Leben! Prost – hast du schon den großen Blonden an der Bar gesehen? Der wäre doch was für dich! Denn nach dem Weißweinschwur fällt folgende Tatsache mit den Erdnussschalen unter den Tisch: Sie wünschen sich trotzdem alle einen. Eben nur nicht irgendeinen. Und vor allem: Nicht um jeden Preis.

Dabei gibt es eigentlich gar keinen Grund zur Aufregung. Zumindest nicht, was die Frauen angeht. In Deutschland setzt sich folgender Trend seit Jahren fort: Männer sind öfter Single als Frauen. Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland derzeit etwa 17 Millionen Menschen als „Alleinstehende“. Und wenn man sich die Altersgruppen von 30 bis 55 genauer anschaut, wird klar: Das sind vor allem Männer. 3,9 Millionen Männer zu 2,2 Millionen Frauen. Wenn es um die 30- bis 40-Jährigen geht, wird dieses zahlenmäßige Ungleichgewicht sogar noch deutlicher. Hier sind fast doppelt so viele Männer allein: 1,56 Millionen Männer zu 814000 Frauen. Frauen sind auch öfter verheiratet (64 Prozent, Männer: 58).

Zweifler mögen nun sagen: Ja, es handelt sich bei der Single-Frau ja auch um ein urbanes Problem! Da, wo die traditionellen Rollenmuster aufgebrochen werden. Da, wo die Karrierefrauen sitzen, die nur noch arbeiten, anstatt sich um die Familie zu kümmern. Es gibt in Städten keine epidemische Ausbreitung frustrierter Single-Frauen. Zumindest nicht im Vergleich zu den Single-Männern. Es gibt höchstens insgesamt mehr Alleinstehende. Und unter den HochschulabsolventInnen von 25 bis 45 Jahren zum Beispiel sind fast doppelt so viele Männer allein.

Eigentlich wären also die Single-Männer das Thema. Die Single-Frau ist nur ein gefühltes Problem – vor allem der Frauen selbst. Da stellt sich die Frage: Warum leiden sie so darunter?
Die einfachste Antwort: Weil sie es sich gerne schwer machen. Frauen fühlen sich irgendwie unvollständig, als Versagerin, wenn sie alleine bleiben. Alleinstehende Männer sind Junggesellen, das klingt schon aufregend: jung und gesellig. Sie stoßen sich die Hörner ab, leben sich aus, sie sind ­auf­regend, schwer zu kriegen und höchstens ein bisschen eigensinnig. Alleinstehende Frauen sind kompliziert und anspruchsvoll.

Natürlich gibt es sie, die coole Junggesellin. Mit leerem Kühlschrank und unaufgeräumter Bude, einer hohen Frequenz von Kneipenbesuchen und wechselnden Sexpartnern. Aber wenn eine tolle Frau mannlos lebt, stellt früher oder später jemand die Frage: Wie kann es sein, dass ausgerechnet DIE alleine ist? So eine Nette. Hübsche. Lustige. Interessante. Als wäre es ein Makel – keine eigene Entscheidung oder einfach ein akuter  Zustand.

Auch das ist leider wahr: Frauen verbringen viel Zeit damit, ­Beziehungen zu planen, die sie noch gar nicht führen. Sie haben ein großes Talent dazu, zusammen mit ihren Freundinnen Begegnungen mit Männern bis ins Detail auseinanderzuklamüsern, um eine Antwort auf die (übrigens nicht zu beantwortende) Frage zu finden: Warum hat er sich nicht in mich verliebt? Dabei schauen sie Serien wie „Sex and the City“, in denen Frauen Begegnungen mit Männern bis ins Detail auseinanderklamüsern, um sich dann wieder darüber zu unterhalten. Dieses ständige Grübeln lässt die Suche nach dem richtigen Mann zum alles beherrschenden Thema anwachsen. Das Schlimmste ist: Wir wissen das und machen es trotzdem. Und fragen uns dann: Was ist nur falsch an mir?

Dabei gibt es darauf nur eine Antwort: Rein gar nichts.

Natürlich denken Frauen irgendwann, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, wenn sie seit Jahrzehnten in Zeitungen Sätze lesen wie: „Es ist wahrscheinlicher, dass eine vierzigjährige Single-Frau bei einem Anschlag ums Leben kommt, als einen Mann zu finden“ (Newsweek, 1986). Genau: Beziehungen in DEM Alter, das können sie sich nämlich abschminken. Es sei denn, sie benutzen den tollen Lippenstift von Seite 28.

Oder kann sich jemand daran erinnern, dass einsame und frustrierte Manager jemals in einem ähnlichen Ausmaß die Zeitungs­seiten füllten? Stellen wir uns folgende Geschichte im sonntäglichen Feuilleton der FAS vor: Vier frustrierte Karrieristen werden nach ihren letzten verpatzten Dates befragt („Am Ende hatten wir uns einfach nichts mehr zu sagen!“; „Sie hatte nie Zeit für mich!“) und im Anschluss sagt ein Paarpsychologe folgenden Satz: „Männer müssen heute einfach lernen, auch mal zurückzustecken.“

Stattdessen lesen wir: Sozialwissenschaftler haben herausgefunden, dass gerade die gut ausgebildeten Frauen, die Akademikerinnen, die Karrierefrauen ab 30 neben Hartz-IV-Empfängern die Liebesladenhüter sind. In der Regel steht gar nicht mehr daneben, wer genau diese „Sozialwissenschaftler“ eigentlich sind und wen sie befragt haben. Warum auch, die These ist schließlich griffig.

Die gleichen Schreiber kommen früher oder später immer auf den Vorschlag, dass Frauen eben die Bereitschaft entwickeln müssen, sich „nach unten“ zu schlafen, ergo: nicht so anspruchsvoll zu sein. Aber, so heißt es weiter, die Frauen suchen sich nach wie vor lieber einen Partner, der ihnen in Sachen Bildung und Einkommen mindestens gleichgestellt, wenn nicht überlegen sei.

Übrigens, auch das steht in den sozialwissenschaftlichen Studien, aber nicht in den Zeitungen: So wie Frauen dazu tendieren, sich keinen Mann zu suchen, der ihnen in Sachen Geld oder Bildung unterlegen ist, neigen Männer dazu, „Frauen mit höherem Bildungsgrad systematisch abzulehnen.“

„Es geht mir gar nicht um Bildungsstand oder Verdienst“, sagte mir jüngst eine Tierärztin aus Hannover, 32 Jahre alt. „Es geht darum, meinem Freund auf Augen­höhe zu begegnen.“ Eine gleichberechtigte Beziehung zu führen, in denen Frauen sich nicht kleiner machen müssen, als sie sind, nur damit der Typ keine Komplexe ­bekommt. Und in denen der Mann selbstbewusst damit umgeht, dass er nicht der Alleinverdiener ist oder besser: nicht sein muss, worin er im besten Fall seine Vorteile erkennt.

Diesen Jemand zu finden, ist gar nicht so einfach, sagte die Tierärztin. Wenn die Arbeit einen ohnehin völlig einnimmt und die Freizeit knapp bemessen ist. Da wird es schon zum Problem, überhaupt jemanden kennen zu lernen.

Männer, schreibt die Soziologin Jutta Allmendinger in ihrer Studie „Frauen auf dem Sprung“, suchen sich ihre Partnerinnen nach wie vor nach dem Aussehen aus und sehen sich in der Versorgerrolle. Frauen ­dagegen wollen nicht mehr versorgt werden. „Sie setzen zunehmend auf Unabhängigkeit und Eigenständigkeit.“ Auf beruflichen Aufstieg würden nur 25 Prozent zugunsten ihrer Partnerschaft verzichten.

Und wer ist schuld an dem Dilemma? Natürlich: Der Feminismus! Jüngst hat sich der ­Spiegel dem „endlosen Weg zum richtigen Mann“ in einer Titel-Story gewidmet. In dem Artikel lesen wir: „Die Emanzipation hat den Frauen eine große Unabhängigkeit beschert. Und das Alleinsein“. Natürlich waren in den 70er Jahren weniger Frauen allein. Sie hatten ja gar keine Chance, sich von dem Mann zu trennen, in den sie sich mit 20 verliebt hatten, ohne dadurch gesellschaftlich abzusteigen. Auch nicht, wenn der Typ ein Gewalttäter war. Die Tatsache, dass Frauen heute die Möglichkeit haben, alleine durch die Welt zu gehen, ist das Beste, was uns passieren konnte. Es fühlt sich nur abends auf der Couch manchmal blöd an.

Klar, die Ansprüche werden höher – auf beiden Seiten. Und natürlich gehen Frauen mit 40 anders an Beziehungen ran als solche mit 20. Die Lebensumstände sind ja auch ganz andere. Sie haben dann schon ihren Job, ihren Wohnort, feste Alltagsstrukturen. Und die Beziehung wird an diese Faktoren angepasst. Nicht umgekehrt.

„Kaum etwas trennt Single-Männer und Single-Frauen zwischen 30 und 50 so sehr wie der Druck. Frauen spüren ihn, Männer nicht“, schrieb der Spiegel über den „endlosen Weg zur richtigen Frau“. Denn Männer, so weiter, haben keine biologische Uhr. Sie können mit 55 noch Papa werden. Aber: Das stimmt gar nicht. Die Zeugungsfähigkeit von Männern nimmt in den 30ern genau so ab wie die Gebärfähigkeit von Frauen, wissen Forscher heute. Und zwar nicht nur, was die Menge und die Geschwindigkeit ihrer Spermien angeht. Ebenso steigt seitens der Erzeuger das Risiko, dass das Kind mit Missbildungen oder neurologischen Störungen geboren wird. Die biologische Uhr des Mannes ist wie eine digitale Armbanduhr. Sie läuft, aber sie tickt nicht.

Auch nicht alle Frauen rennen mit glühenden Eierstöcken durch die Welt, auf der Suche nach einem zeugungsfähigen Gegenpart, der bereit ist, die Windeln zu wechseln. Ich kenne einige Frauen, deren größte Sorge vielmehr diese ist: Was ist, wenn ich übrig bleibe? Wenn am Ende alle meine Freunde, männlich wie weiblich, mit ihren Kleinfamilien beschäftigt sind? „Davor habe ich mehr Angst, als selbst keine Kinder zu bekommen“, sagte letztens eine zu mir.

Die Single-Falle. Es kann doch nicht sein, dass Frauen immer noch drei Tage auf Telefone starren, weil sie sich an die Regel halten: Der Mann (ergo: der Jäger) muss anrufen! Sonst mache ich (sprich: das Jagdwild) mich noch uninteressant. Ich habe mich in meinem Fall für folgende Lösung entschieden: Den Typ ganz schnell wieder von meinem Facebook-Profil gelöscht. Und danach: mit keiner meiner Freundinnen drüber geredet.

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