Epstein: Der Sieg der Opfer
Am 18. November war es endlich so weit. Der US-Senat stimmt dafür, dass alle Akten im Fall Epstein geöffnet werden sollen. 427 Abgeordnete, Demokraten wie Republikaner, heben die Hand, es gibt nur eine einzige Gegenstimme. Selbst Donald Trump, der sich monatelang mit Händen und Füßen gegen die Öffnung der Akten gesträubt hatte, hatte schließlich eingelenkt und seinen Republikanern empfohlen, für die Freigabe zu stimmen. Allen Beteiligten war klar: Es ging nicht mehr anders. Und das ist vor allem ihnen zu verdanken: Epsteins Opfern.
Am Vortag der Abstimmung hatten sie sich wieder vorm Kapitol versammelt, wie so oft in den letzten Wochen. „Justice for Epstein Survivors!“ stand auf ihren Schildern, „Stop protecting predators“ und „Release the files!“ Gebt die Akten frei! Vor laufenden Kameras hatten die Frauen berichtet, was ihnen der Milliardär und andere mächtige Männer angetan hatten, an die Epstein und seine Gefährtin Ghislaine Maxwell sie weitergereicht hatten.
Doch die Akten blieben unter blieben Verschluss, obwohl Donald Trump vor seiner Präsidentschaft lautstark gefordert hatte, sie zu öffnen. Für den Fall seines Wahlsieges versprach er, die Namen der Täter öffentlich zu machen. Doch kaum war Trump selbst Präsident, wollte er von seinem Wahlversprechen nichts mehr wissen. Nun waren es die Demokraten, die die Republikaner vor sich hertrieben. Die Opfer, über 1.000 Frauen, wurden zum Spielball der politischen Ränkespiele. Doch die wehrhaften Opfer hatten nicht vor, sich das gefallen zu lassen.
Über 1.000 Frauen wurden zum Spielball der politischen Ränkespiele
„Präsident Trump, hören Sie auf, mit unserem Leid Politik zu machen!“ forderte zum Beispiel Jena-Lisa Jones, eine der als Mädchen von Epstein missbrauchten Frauen. Und ihre Mitkämpferin Lisa Phillips klagte: „Die meisten Opfer wagen es immer noch nicht zu sprechen, denn die beteiligten Täter sind mächtig. Und wie wir wissen, werden sie geschützt.“
An diesem 17. November wiederholten die Frauen, womit sie seit Wochen gedroht hatten: „We know their names!“ Wir kennen ihre Namen! Sollten die Abgeordneten gegen die Öffnung der Akten stimmen, drohten die Protestierenden, würden sie eine eigene Liste mit den Namen der Täter veröffentlichen. Die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene – eine der ersten RepublikanerInnen, die Trump die Gefolgschaft verweigert hatte – hatte angekündigt, die Namen im Kongress vorzulesen. Das wirkte. Am 18. November wagt es nur noch ein einziger Republikaner gegen die Öffnung der Akten zu stimmen.
Vier Wochen haben die Behörden nun Zeit, die dunklen Geheimnisse, die sich in den Epstein-Files verbergen, ans Licht zu holen. Bei EMMA-Redaktionsschluss war noch nicht öffentlich, welche Namen auftauchen würden – und welche Informationen trotz alledem geschwärzt würden. Doch eins ist klar: Die Entscheidung ist schon jetzt ein gewaltiger Sieg für die Opfer!
Das bekannteste dieser Opfer und ganz sicher eins der mutigsten kann diesen Sieg nicht mehr feiern. Virginia Giuffre starb am 27. April 2025. Einen Monat zuvor war ihr Auto bereits mit einem Bus kollidiert. Womöglich der erste Versuch, ihrem Leben ein Ende zu setzen. "Sie hat ihr Leben durch Suizid verloren, nachdem sie ein Leben lang Opfer von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung war“, teilte ihre Familie mit. „Am Ende wurde der Tribut des Missbrauchs so hoch, dass es für Virginia unerträglich wurde, sein Gewicht zu ertragen."
Doch bevor Virginia Giuffre mit 41 Jahren offenbar Selbstmord beging, hinterließ sie als Vermächtnis ein Buch, in dem sie ihre ganze Geschichte erzählt: „Nobody‘s Girl“. Das Grauenvollste an dieser Geschichte sind jedoch nicht die sexuellen Übergriffe, die das Mädchen in den zwei Jahren in Epsteins Fängen erdulden musste. Zum Beispiel durch Prinz Andrew, der sich von der Minderjährigen nahm, was er wollte (und inzwischen kein Prinz mehr ist). Oder ein „bekannter Ministerpräsident“, der sie so brutal misshandelte, dass sie danach aus allen Körperöffnungen blutete: aus Mund, Vagina und Anus. „Noch tagelang fiel mir das Schlucken schwer.“ Auch Epstein selbst wurde immer brutaler und verlangte harte SM-Praktiken.
Alles entsetzlich. Doch das Erschütterndste an Virginia Giuffres Missbrauchs-Geschichte ist, wie früh sie begann. Der Vater missbraucht und vergewaltigt seine Tochter und „leiht“ sie an einen Nachbarn aus. Als die Mutter das bemerkt, wird aus der liebenden eine sadistische Mutter, die die Tochter mit dornigen Rosenzweigen schlägt. Als Virginia älter wird, betäubt sie ihrem Schmerz mit Alkohol, Drogen und falschen Freunden. Die Eltern bringen die renitente Tochter in einem Heim unter, das wegen seiner katastrophalen pädagogischen Konzepte später geschlossen werden wird.
Virginia flüchtet unzählige Male, wird von einem LKW-Fahrer vergewaltigt und landet bei ihrer Flucht vor ihm ausgerechnet in den Fängen von Ron Eppinger, Betreiber eines Zwangsprostituierten-Rings. Als die Polizei sie schließlich aufgabelt und nach Hause bringt, schlägt der Vater der „Hure“ ins Gesicht. Er bringt sie nach Mar-a-Lago, dem Anwesen von Donald Trump, wo er als Gärtner arbeitet, und wo nun auch seine Tochter als Hilfskraft jobben soll. Dort wird die 17-jährige Virginia von Ghislaine Maxwell rekrutiert, die ein Gespür für verletzte und bedürftige Mädchen hat.
Giuffre: Viele von uns wurden als Kinder sexuell missbraucht, viele waren arm
„Mir und vielen jungen Frauen wurde vorgeworfen, dass wir in Epsteins Höhle zurückkehrten, obwohl wir wussten, was er von uns wollte. Manche haben gefragt: Wie könnt ihr euch über Missbrauch beschweren, wenn ihr doch einfach hättet wegbleiben können?“ schreibt Virginia Giuffre und erklärt: „Diese Haltung missachtet zutiefst, was so viele von uns schon durchgemacht hatten, bevor wir Epstein trafen, und wie gut er darin war, Mädchen zu erkennen, deren Verletzungen sie angreifbar machten. Mehrere von uns waren als Kinder sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden; viele von uns waren arm oder sogar obdachlos.“
Zwei Jahre geht das Martyrium, dann lernt Virginia 2002 bei einer „Massage-Schulung“ in Thailand den Kampfsport-Trainer Robert Giuffre kennen. Sie heiratet ihn und bekommt mit ihm zwei Söhne - und eine Tochter. „Als ich meiner Tochter in die Augen blickte, wusste ich, dass ich etwas tun musste, um zu verhindern, dass andere Mädchen das Gleiche erleiden wie ich. Nicht lange danach begann ich zu kämpfen.“
Virginia Giuffre sagt aus gegen Prinz Andrew, Staranwalt Alan Dershowitz und den Fotografen Jean-Luc Brunel. Sie kämpft für längere Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch und ermutigt andere Epstein-Opfer, ebenfalls zu sprechen. In einem ihrer zahllosen Interviews erklärt sie: „Ganz gleich, wie schwach wir Opfer von sexuellem Missbrauch uns auch fühlen, gemeinsam sind wir stark!“
Doch obwohl die Frauen-Front gegen das Täter-Kartell immer stärker wird, wird Virginias Kraft am Ende nicht reichen. In ihrer Autobiografie offenbart sie, was nach dieser Geschichte eigentlich kaum verwundert: Sie wird von ihrem eigenen Mann misshandelt. Nach der Trennung lässt er ihr das Sorgerecht für die drei Kinder entziehen. Es liegt nahe, dass Virginia Giuffre diesen Schlag nicht verwunden hat.
Ihren Mitkämpferinnen hat sie dennoch Mut gemacht. Auf einem der Schilder, die die Frauen am Tag vor der Entscheidung des Senats in die Kameras hielten, steht: „Stand strong for Virginia!“
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