Equal Pay Day: Rote Tasche & Bart!

MIME*Sissies in Aktion.
Artikel teilen

Ach, wenn es doch so einfach wäre, wie in diesem Video des Frauen-Duos „MIME*Sissies“ aus Berlin! Frau klebt sich einfach ein paar borstige Haare ins Gesicht und voilà: Die Gehaltsschere schließt sich! Die fleißige Mitarbeiterin erhält vom Macho-Chef zusätzliches #bartgeld. So lautet der Hashtag zur Protest-Aktion, zu dem die „MIME*Sissies“ und die Macherinnen vom Watch-Salon, dem Blog des Journalistinnenbunds, am 20. März aufrufen: Frauen, klebt euch zum Equal Pay Day Bärte an und postet Fotos davon im Netz!

Anzeige

In dieser kleinen haarigen Aktion steckt ein großer Kern Wahrheit: Dass Frauen in Deutschland, dem Land der „Rabenmütter“, mit einem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 15,83 Euro insgesamt 22 Prozent weniger verdienen als Männer (20,20 Euro), liegt ja tatsächlich auch daran, dass sie sozusagen keine Bartträger sind. 

Frauen arbeiten öfter in schlechter be- 
zahlten Dienst-
leistungsberufen.

„Bereits die Entscheidung für einen bestimmten Beruf und die damit verbundene Branchenzugehörigkeit mit den entsprechenden Verdienstmöglichkeiten und Karrierechancen haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern“, schrieb das Statistische Bundesamt schon im vergangenen Jahr. Die Feststellung gilt in diesem Jahr nicht weniger.

Frauen arbeiten deutlich öfter in schlechter bezahlten Dienstleistungsberufen, also als Verkäuferin oder Friseurin, als Erzieherin oder Krankenschwester. Frauen arbeiten öfter in Teilzeit. Frauen arbeiten seltener in Führungspositionen. Frauen nehmen längere Pausen vom Job, um die Kinder großzuziehen. So manche Frau bleibt selbst im Jahr 2015 einfach ganz zu Hause und verlässt sich in Sachen Lebenshaltungskosten auf die alte Rollenverteilung: Papa ist der Alleinverdiener, Mama kocht. Das heißt, sie ist auf dem Weg in die Sackgasse Altersarmut.

Bemerkenswert an den Zahlen für 2014, die das Statistische Bundesamt in diesen Tagen veröffentlicht hat: Ostdeutschland, wo der so genannte „unbereinigte Gender Pay Gap“ lange Zeit deutlich unter westdeutschem Niveau lag, holt auf. Allerdings im negativen Sinne! Verdienten Frauen in den neuen Bundesländern  2006 nur sechs Prozent weniger (Westdeutschland: 24 Prozent), verdienen sie mittlerweile neun Prozent weniger als Männer (Westdeutschland: 23 Prozent).

„Der Anstieg des Gender Pay Gap in Ostdeutschland lässt sich auf Unterschiede in den Verdienstzuwächsen der einzelnen Branchen zurückführen“, schreibt das Statistische Bundesamt dazu. Das heißt konkret: Die Verdienste im „verarbeitenden Gewerbe“, in dem vor allem Männer arbeiten, sind zwischen 2009 und 2013 stärker angestiegen als die im Gesundheits- und Sozialwesen (11,8 Prozent zu 6,7 Prozent). Statt der einst von Westlerinnen so bestaunten Kranführerinnen: Auch in den neuen Bundesländern streben die Frauen heute stärker in die „Frauenbranchen".

Ostdeutschland
holt auf. Allerdings im negativen Sinne! 

Doch selbst unter der „Voraussetzung vergleichbarer Tätigkeit und äquivalenter Qualifikation“ verdienen Frauen in Gesamtdeutschland pro Stunde sieben Prozent weniger als Männer, belegt das Statistische Bundesamt. „Bereinigter Gender Pay Gap“ heißt das im Fachjargon. Im echten Leben: zu viele Bärte im Spiel. Nicht zufällig sind neuerdings nicht mehr nur die dezenten Dreitagebärte, sondern auch die wuchernden Vollbärte in Mode. Und: Frauen in typischen Frauenberufen verdienen auch deshalb so wenig, weil Frauenberufe insgesamt schlechter bezahlt werden. Und zwar einfach so.

Aus all diesen Gründen kämpft Frauenministerin Manuela Schwesig derzeit für ein Entgeltgleichheitsgesetz. Aus dem jahrelangen Gerangel um die Frauenquote haben wir gelernt: Das kann dauern. Deshalb am Equal Pay Day erstmal auf eine der über tausend Protestaktionen gehen, die deutschlandweit stattfinden. Das Berufsnetzwerk „Business and Professional Women“ (BPW) stellt auf seiner Internetseite eine Übersicht zur Verfügung. BPW ruft jährlich zum Equal Pay Day auf.

Also: Rote Tasche nicht vergessen. Oder auch Bart ankleben. Nicht nur am Freitag protestieren. Und am Montag den Chef, die Chefin auf eine Gehaltserhöhung ansprechen.

Artikel teilen

Dagmar Deckstein über den Gender Pay Gap

Protest für gleichen Lohn auf dem Berliner Alex. - © Julia Witt
Artikel teilen

Liebe Renate,

Anzeige

das war ja mal eine tolle Nachricht! Du bist jetzt endlich Abteilungsleiterin in deinem Medizintechnischen Labor geworden! Ich kann nur sagen: So engagiert und zielstrebig, wie Du darauf hingearbeitet hast, war es für mich nur eine Frage der Zeit. ­Gratulation!

Aber, das hast Du mir auch geschrieben, ein wenig angefressen seist Du dennoch, weil Du erst kürzlich erfahren hättest, dass Dein Abteilungsleiter-Kollege aus einem anderen Laborbereich 500 Euro mehr im Monat verdient als Du. Du berührst da natürlich ein Thema, das seit vielen Jahren dauerhaft auf der Agenda steht, nämlich die Lohn- und Gehaltsunterschiede von berufs­tätigen Frauen und Männern in Deutschland.

Hochsaison hat das Thema jeden März, wenn wieder mal das „Gender Pay Gap“, mit allerlei Studien unterfüttert, zur Besich­tigung freigegeben wird. Will heißen, Frauen müssen bis Ende März des Folgejahres arbeiten, bis sie einkommensmäßig auf die Bezahlung der Männer im Vorjahr aufgeholt haben.

Die so genannte „unbereinigte Lohnlücke“ – laut Statistischem Bundesamt liegt die nach wie vor bei 22 Prozent – vergleicht den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern und Frauen, und zwar unabhängig von der Qualifikation. Egal, ob sie ein Hochschulstudium abgeschlossen oder die Schule abgebrochen haben; ob sie als Putzfrau oder als Managerin arbeiten. Sie ­besagt nur, dass berufstätige Frauen in Deutschland im Durchschnitt weniger verdienen als berufstätige Männer.

Dass Männer im Schnitt 18 Euro, Frauen aber nur knapp 14 Euro in der Stunde verdienen, heißt aber noch nicht, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Frauen verdienen vor allem deshalb schlechter, weil ihre Berufsbiografien anders verlaufen. Weil sie geringer bezahlte Berufe wählen und seltener Karriere machen. Weil sie oft lange Kinderpausen machen, und danach lieber – oder auch nur aus Not, weil keine Kita-Plätze vorhanden sind – in Teilzeitjobs arbeiten. Wird das berücksichtigt, liegt die so genannte „bereinigte Lohnlücke“ bei maximal acht Prozent – was ich, bei wirklich gleicher Arbeit, immer noch zu viel finde.

Am größten ist die Differenz in Führungspositionen. Da klaffen Gehaltsunterschiede von bis zu 30 Prozent zwischen Männern und Frauen in Führung. Ich hab mich da mal ganz tief hinein­gekniet in all die Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, die ­gerade bei diesem Thema zum immergleichen Ergebnis kommen: Je höher das Gehalt, desto höher der Gehaltsunterschied.

Je länger ich mich mit dem Thema und seinen wissenschaftlich hinauf- und hinunterdeklinierten statistischen Einflussfaktoren beschäftige, desto überzeugter bin ich, dass die meist eher am Rande diskutierten „soziologischen Ansätze“ die treffendsten sind. Dazu muss ich Dir mal ein paar Sätze aus einer Studie des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW zum „‚Gender Pay Gap‘ in Führungspostitionen der Privatwirtschaft“ zitieren, die trotz ihres verklausulierten Wissenschaftssprech der Wahrheit sehr nahe kommen. Da heißt es:

„Die historischen, im Modernisierungsprozess gewachsenen ­Zuständigkeiten der Frau für die Familien – und des Mannes für die Erwerbstätigkeit führen auf der Mikroebene zu entsprechenden geschlechtsspezifischen verinnerlichten Orientierungen und ‚Präferenzen‘ bei der Berufswahl sowie zu diskriminatorischen Praktiken auf dem Arbeitsmarkt … Eine dieser Stereotypen ist der ‚gender status belief‘, also die Vorstellung, dass ein Geschlecht (das männliche) dem anderen überlegen ist, womit Männern eine stärkere Machtstellung und mehr Privilegien zugesprochen werden. Mit diesen ‚gender status beliefs‘ gehen auch geschlechtsspezifische Vorstellungen über berufliche Statuspositionen einher sowie Implikationen bezüglich der Überlegenheit des einen ­Geschlechts über das andere. Dies führt zu Ungleichheiten in der Arbeitswelt: Männern wird unter ansonsten gleichen Bedingungen eine höhere berufliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit zugeschrieben als Frauen. Mit dieser Zuschreibung gehen unterschiedliche Berufschancen und Einkommenshöhen einher; letzteres deshalb, weil das Einkommen die erwartbaren Leistungen des Arbeitnehmers widerspiegelt.“

Die immer noch weitgehend männlich dominierte Arbeitgeber-Unternehmen erwarten also von Männern einfach eine höhere, bessere Leistung und bezahlen sie schon deswegen blind höher. Was natürlich angesichts der guten und besseren Leistungen, die Frauen im Beruf erbringen, vollkommener Bullshit ist. Aber ein auf zäher Tradition fußender Bullshit.

Ich glaube, ich habe Dir schon mal geschrieben, dass mir bis heute der Hals schwillt, dass erst 1977 der Paragraph 1356 im Bürgerlichen Gesetzbuch abgeschafft wurde, in dem es hieß: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“  Bis vor diesem historisch ­betrachtet noch nicht mal Wimpernschlag in der Menschheitsentwicklung brauchten Ehefrauen die Zustimmung ihres ­Ehemannes, wenn sie eine Erwerbsarbeit aufnehmen wollten, welchselbige sie dem Arbeitgeber bei der Einstellung schriftlich vorzulegen hatten.

Die Frau als Dazuverdienerin.

Was glaubst Du, liebe Renate, wie schnell sich solche sogar in Gesetze gegossene Geschlechterrollen-Stereotype aus dem kollektiven Bewusstsein verflüchtigen? Das dauert. In diesem gesellschaftlichen Reptilienhirn ist immer noch die Frau als kleine „Dazuverdienerin“ gespeichert, auch wenn die Daten und Fakten über besser und bestausgebildete Frauen, erfolgreiche Teamleiterinnen und Unternehmensführerinnen das Großhirn in einer ganz anderen Sprache ansprechen.

Also, liebe Renate: Geh hin zu Deinem Institutsleiter, handle Dir weitere 500 Euro Monatsgehalt heraus. Weil Du es Dir wert bist. Und mir erst recht!

In diesem Sinne: Allerherzlichste Grüße an Dich

Deine

Dagmar

 

Weiterlesen
 
Zur Startseite