Dagmar Deckstein über den Gender Pay Gap

Protest für gleichen Lohn auf dem Berliner Alex. - © Julia Witt
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Liebe Renate,

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das war ja mal eine tolle Nachricht! Du bist jetzt endlich Abteilungsleiterin in deinem Medizintechnischen Labor geworden! Ich kann nur sagen: So engagiert und zielstrebig, wie Du darauf hingearbeitet hast, war es für mich nur eine Frage der Zeit. ­Gratulation!

Aber, das hast Du mir auch geschrieben, ein wenig angefressen seist Du dennoch, weil Du erst kürzlich erfahren hättest, dass Dein Abteilungsleiter-Kollege aus einem anderen Laborbereich 500 Euro mehr im Monat verdient als Du. Du berührst da natürlich ein Thema, das seit vielen Jahren dauerhaft auf der Agenda steht, nämlich die Lohn- und Gehaltsunterschiede von berufs­tätigen Frauen und Männern in Deutschland.

Hochsaison hat das Thema jeden März, wenn wieder mal das „Gender Pay Gap“, mit allerlei Studien unterfüttert, zur Besich­tigung freigegeben wird. Will heißen, Frauen müssen bis Ende März des Folgejahres arbeiten, bis sie einkommensmäßig auf die Bezahlung der Männer im Vorjahr aufgeholt haben.

Die so genannte „unbereinigte Lohnlücke“ – laut Statistischem Bundesamt liegt die nach wie vor bei 22 Prozent – vergleicht den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern und Frauen, und zwar unabhängig von der Qualifikation. Egal, ob sie ein Hochschulstudium abgeschlossen oder die Schule abgebrochen haben; ob sie als Putzfrau oder als Managerin arbeiten. Sie ­besagt nur, dass berufstätige Frauen in Deutschland im Durchschnitt weniger verdienen als berufstätige Männer.

Dass Männer im Schnitt 18 Euro, Frauen aber nur knapp 14 Euro in der Stunde verdienen, heißt aber noch nicht, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Frauen verdienen vor allem deshalb schlechter, weil ihre Berufsbiografien anders verlaufen. Weil sie geringer bezahlte Berufe wählen und seltener Karriere machen. Weil sie oft lange Kinderpausen machen, und danach lieber – oder auch nur aus Not, weil keine Kita-Plätze vorhanden sind – in Teilzeitjobs arbeiten. Wird das berücksichtigt, liegt die so genannte „bereinigte Lohnlücke“ bei maximal acht Prozent – was ich, bei wirklich gleicher Arbeit, immer noch zu viel finde.

Am größten ist die Differenz in Führungspositionen. Da klaffen Gehaltsunterschiede von bis zu 30 Prozent zwischen Männern und Frauen in Führung. Ich hab mich da mal ganz tief hinein­gekniet in all die Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, die ­gerade bei diesem Thema zum immergleichen Ergebnis kommen: Je höher das Gehalt, desto höher der Gehaltsunterschied.

Je länger ich mich mit dem Thema und seinen wissenschaftlich hinauf- und hinunterdeklinierten statistischen Einflussfaktoren beschäftige, desto überzeugter bin ich, dass die meist eher am Rande diskutierten „soziologischen Ansätze“ die treffendsten sind. Dazu muss ich Dir mal ein paar Sätze aus einer Studie des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW zum „‚Gender Pay Gap‘ in Führungspostitionen der Privatwirtschaft“ zitieren, die trotz ihres verklausulierten Wissenschaftssprech der Wahrheit sehr nahe kommen. Da heißt es:

„Die historischen, im Modernisierungsprozess gewachsenen ­Zuständigkeiten der Frau für die Familien – und des Mannes für die Erwerbstätigkeit führen auf der Mikroebene zu entsprechenden geschlechtsspezifischen verinnerlichten Orientierungen und ‚Präferenzen‘ bei der Berufswahl sowie zu diskriminatorischen Praktiken auf dem Arbeitsmarkt … Eine dieser Stereotypen ist der ‚gender status belief‘, also die Vorstellung, dass ein Geschlecht (das männliche) dem anderen überlegen ist, womit Männern eine stärkere Machtstellung und mehr Privilegien zugesprochen werden. Mit diesen ‚gender status beliefs‘ gehen auch geschlechtsspezifische Vorstellungen über berufliche Statuspositionen einher sowie Implikationen bezüglich der Überlegenheit des einen ­Geschlechts über das andere. Dies führt zu Ungleichheiten in der Arbeitswelt: Männern wird unter ansonsten gleichen Bedingungen eine höhere berufliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit zugeschrieben als Frauen. Mit dieser Zuschreibung gehen unterschiedliche Berufschancen und Einkommenshöhen einher; letzteres deshalb, weil das Einkommen die erwartbaren Leistungen des Arbeitnehmers widerspiegelt.“

Die immer noch weitgehend männlich dominierte Arbeitgeber-Unternehmen erwarten also von Männern einfach eine höhere, bessere Leistung und bezahlen sie schon deswegen blind höher. Was natürlich angesichts der guten und besseren Leistungen, die Frauen im Beruf erbringen, vollkommener Bullshit ist. Aber ein auf zäher Tradition fußender Bullshit.

Ich glaube, ich habe Dir schon mal geschrieben, dass mir bis heute der Hals schwillt, dass erst 1977 der Paragraph 1356 im Bürgerlichen Gesetzbuch abgeschafft wurde, in dem es hieß: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“  Bis vor diesem historisch ­betrachtet noch nicht mal Wimpernschlag in der Menschheitsentwicklung brauchten Ehefrauen die Zustimmung ihres ­Ehemannes, wenn sie eine Erwerbsarbeit aufnehmen wollten, welchselbige sie dem Arbeitgeber bei der Einstellung schriftlich vorzulegen hatten.

Die Frau als Dazuverdienerin.

Was glaubst Du, liebe Renate, wie schnell sich solche sogar in Gesetze gegossene Geschlechterrollen-Stereotype aus dem kollektiven Bewusstsein verflüchtigen? Das dauert. In diesem gesellschaftlichen Reptilienhirn ist immer noch die Frau als kleine „Dazuverdienerin“ gespeichert, auch wenn die Daten und Fakten über besser und bestausgebildete Frauen, erfolgreiche Teamleiterinnen und Unternehmensführerinnen das Großhirn in einer ganz anderen Sprache ansprechen.

Also, liebe Renate: Geh hin zu Deinem Institutsleiter, handle Dir weitere 500 Euro Monatsgehalt heraus. Weil Du es Dir wert bist. Und mir erst recht!

In diesem Sinne: Allerherzlichste Grüße an Dich

Deine

Dagmar

 

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