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Diversity: „Aus dem Ruder gelaufen!“

Thomas Sattelberger über das Ende von "Diversity" - Foto: Wolfgang Maria Weber
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Beim Berliner Christopher Street Day haben sich in diesem Jahr viele Unternehmen als Sponsoren zurück­gezogen, beim Kölner CSD ist FORD zum ersten Mal nicht mehr dabei. Begründung: Die Mutter-Unternehmen aus den USA hätten das bisherige Engagement in Sachen Diversity verboten. Was sagen Sie dazu?
Thomas Sattelberger Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend deshalb, weil es zeigt, dass Unternehmen nicht zu den Werten stehen, die sie öffentlich mit ihrem Engagement bekundet haben. Sie haben also „Regenbogen-Washing“ betrieben. Lachend, weil ich denke: Etliches an Fehlentwicklung wird korrigiert. Man darf nicht ausblenden, dass vor allem in den USA, aber auch in Deutschland die Debatte zum Thema Diversity Maß und Mitte verloren hat. Da ist was aus dem Ruder gelaufen.

Wo zum Beispiel?
Im Leistungssport, wo Transmänner plötzlich in US-Frauenteams antraten. In Deutschland, wo männliche Gewalttäter nach dem Selbstbestimmungsgesetz mühelos ihr Geschlecht ändern konnten. Insbesondere an den Hochschulen ist die Sache aus dem Lot geraten, als das Thema Transrechte wichtiger wurde als Frauenrechte. Der sogenannte „Queerfeminismus“ macht ja das Frausein zu einer Beliebigkeit. Frauenrechte werden von dieser Bewegung mit Füßen getreten. Und traditionelle Frauenverbände wie Terre des Femmes wurden ideologisch gedreht. Mächtige Frauenverbände wie der Deutsche Frauenrat haben nicht gegen­gehalten. Da mache ich ihnen einen großen Vorwurf. Die hysterisch geführte Trans-Debatte über­lagert das Thema der Frauen. Dabei geht es ja beim Thema „Trans“ nur um einen Bevölkerungsanteil im Promille-Bereich. Während es beim Thema Frauen um leicht über 50 Prozent geht, also die Mehrheit der Bevölkerung. Gleichberechtigung ist zudem auch noch verfassungsrechtlich garantiert. Das heißt aber überhaupt nicht, dass ich nicht auch für die Rechte der Transsexuellen eintrete.

Ihr alter Arbeitgeber, die Telekom, hat einen „Transgender Guide“ herausgegeben. Darin empfiehlt Telekom zum Beispiel, die Arbeitskollegin nicht mit „Frau ­Müller“ anzuschreiben, weil man nicht weiß, ob sie sich überhaupt als Frau identifiziert. Da dürften sich doch 98 Prozent der MitarbeiterInnen fragen, was das soll.
Wenn das eine offizielle Verlautbarung der Deutschen Telekom war, dann ist das überaus dümmlich. Das hätte es zu meinen Zeiten nicht gegeben. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mögen sich allerdings im Stillen fragen, was das soll, sprechen es aber nicht aus, weil sie wissen, dass das sozial nicht erwünscht ist. Der Konformitätsdruck ist extrem hoch und da müssen sie erstmal gegenhalten.

Wie funktionieren diese sogenannten „Diversity, Equity, Inclusion“-Programme, kurz: DEI, denn eigentlich?
Das kann zum Beispiel eine Schulung sein: Man zeichnet verschiedene kulturspezifische oder geschlechtsspezifische Kommunikationsstile per Video auf und diskutiert anschließend, was sie jeweils bei einem selbst auslösen. Das wäre eine fortschrittliche Art, sich mit Stereotypen auseinander zu setzen. Aber es gibt auch sektenhafte Schulungsprogramme, in denen Menschen bloßgestellt werden. Die erinnern an die Zeiten von Mao Tse Tung, in denen die Menschen öffentlich bekennen mussten, welche Irrtümer sie begangen haben. Es hängt von der Qualität der jeweiligen Zuständigen ab, wie so ein Programm gestrickt ist.

In den USA streichen nun reihenweise große Unternehmen ihre Diversity-Programme und ihre Frauenförderung. In Deutschland hat der Software-Riese SAP gerade seine Frauenquote eingestampft. Waren all diese Maßnahmen nur Lippenbekenntnisse?
Ja und nein. Für René Obermann, meinen CEO damals bei der Telekom, kann ich sagen: Der war vom Thema richtig überzeugt! Das war der eine oder andere DAX-Vorsitzende auch. Andere haben es aber eher als Zwang betrachtet. Und unter Zwang macht man Lippenbekenntnisse. SAP hat aus meiner Sicht überreagiert. Die hätten sagen können: „Wir streichen die Quoten für alle Geschäfte, in die die USA involviert sind“. In der Diversity-Schwemme haben sich viele CEOs naiv gesonnt. Aber jetzt haben wir mit Trump eine Zeitenwende.

Trump setzt Unternehmen unter Druck, ihre sogenannten DEI-Programme einzustellen. Viele Unternehmen von Coca Cola bis Boeing sind dem gefolgt.
Es ist ja immer so: Wenn Interessengruppen ihr Thema in einem Übermaß pushen, dann kommt irgendwann der Rückschlag. Das hat man schon bei Hillary Clinton gesehen. Die hat verloren, weil sie die gesamte Industrie-Arbeiterschaft außer Acht gelassen hat, die überwiegend aus weißen Männern besteht. Und Trump nutzt das schamlos aus, indem er an den alten Stolz dieser Männer appelliert und die industrielle Vergangenheit und die alte Männer-Kultur wieder heraufbeschwört. Und das kann er auch, weil die Demokraten die Wegbereiter exzessiver gruppenidentitärer Diversity waren.

Sie haben 2010 als Personalchef der Telekom eine 30-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen eingeführt. Da waren Sie Pionier. Dann kam der Begriff „Diversity“ und hat die Frauenförderung abgelöst.
Nicht bei mir! Ich habe immer wieder gesagt: Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir unter diesem Begriff „Diversity“ die besondere Rolle der Frauen, die ja die Hälfte der Bevölkerung aus­machen und Verfassungsrang haben, nicht mit benachteiligten Minderheiten vermischen. Frauen sind zwar benachteiligt, aber sie sind keine Minderheit! Aber die Personaler dieser Republik – wohlgemerkt: die dummen! – haben das Konzept „Diversity“ tumb aufgegriffen. 

Warum?
Weil es ihnen die Möglichkeit gab, dem Thema Frauenquote und Gleichberechtigung zu entkommen, indem sie Progrämmchen auf viele verschiedene Gruppen verteilt haben. Wenn du sagst, es geht ja nicht nur um die Frauen, sondern auch um die Migranten, die internationalen Fachkräfte, die Homosexuellen, die Transsexuellen, die Menschen mit Behinderung … Je mehr Gruppen du hast, umso besser kannst du vernebeln oder den Fokus verlieren. Natürlich hatte ich auch eine Beauftragte für Diversity. Aber wir haben immer eine ganz spezifische Förderung für Frauen gemacht, die nicht für andere Gruppen gegolten hat. Zum Beispiel: Zwei Frauen teilen sich einen Führungsjob. Auch weibliche Führungskräfte in Teilzeit bekommen einen Dienstwagen oder natürlich die Quote in Form der öffentlichen freiwilligen Selbstverpflichtung. Das ist eine ganz spezifische Frauenpolitik.

Wie ist das in anderen Unternehmen gelaufen?
Der Frauenquote konnten sie nicht entkommen, weil sie dann per Gesetz verordnet wurde. Ab 2016 trat das erste Führungspositions-Gesetz in Kraft, das für börsennotierte Unternehmen eine 30-Prozent-Frauen-Quote für die Aufsichtsräte vorschrieb. 2021 folgte dann das FüPoG II, das auch eine Quote für die Vorstände vorsah. 

Die Unternehmen mussten sich selbst „Zielgrößen“ für den Frauenanteil auf der Führungsebene geben. Einige gaben sich dreist die „Zielgröße Null“.
Genau. Und viele Unternehmen haben mangelnde Konsequenzen beim Frauenanteil in der Führung dann einfach mit einer breit gefächerten Diversity-Politik kaschiert: einfach Theaterpolitik, andere nennen es Symbolpolitik. Ich habe übrigens immer skeptisch gesehen, dass einige Frauen­verbände – Frauen-Eliten-Verbände wie Fidar (Frauen in die Aufsichtsräte, Anm. d. Red.) – sich immer nur auf Top-Managerinnen kapriziert haben. Frauenverbände, die eher die Basis vertreten haben – wie zum Beispiel der Landfrauenverband mit fast einer halben Million Mitgliedern – haben beklagt, dass sie in der ganzen Debatte überhaupt nicht auftauchen. Ich habe immer gesagt: Es kann nicht nur darum gehen, eine Frauenelite zu schaffen. Es ist wie im Sport: Wir brauchen nicht nur den Spitzensport, sondern auch den Breitensport. Und wenn wir nicht von beiden Seiten kommen, dann fehlt uns nicht nur die Basis für die Spitze, sondern auch die Glaubwürdigkeit. Und die Malaise in Deutschland ist, dass Frauen an der Basis eigentlich komplett außen vor sind. Um die sollte sich dann die Gewerkschaft kümmern.

Lange hieß es, dass diverse Teams erfolgreicher arbeiten, weil viele verschiedene Perspektiven einfließen. Jetzt gibt es Studien, die sagen: Das stimmt gar nicht. Wie sehen Sie das?
Es gab ja immer das Mantra: Es gibt einen „Business-Case“. Das heißt: Es rechnet sich für ein Unternehmen, Teams divers aufzustellen, weil sie effizienter und vor allem finanziell erfolgreicher arbeiten. Auch ich habe daran 2010 geglaubt. Doch dieses Mantra ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Warum haben Sie sich damals so stark für Frauen­förderung eingesetzt?
Ich habe immer von vier „Cases“ gesprochen: Neben dem Business-Case gab es vor allem den ethisch-moralischen Case, also die Frage von Fairness und Gerechtigkeit. Dann den Reputa­tions-Case. Und den Rekrutierungs-Case. Denn den Fachkräfte-Mangel gab es ja schon damals. Und ich würde immer noch sagen: Drei dieser vier Cases sind stark und stabil. Nur der Business-Case ist angeknackst.

Kann man sagen: Wenn ich in einem Unternehmen die Frauen nicht hochkommen lasse, verliere ich Talente. Wenn ich aber jedes Team zwanghaft durchquotiere, verliere ich auch Talente?
Ja. Deshalb machen kluge Menschen, die Teams zusammensetzen, ja auch kein Dogma aus dem Thema Diversität. Ich hatte immer die Einschätzung, dass individuell – unterschiedliche Erfahrungshintergründe in einem Team hilfreich sind, mal ganz unabhängig von Gruppen-Identitäten.

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Stimmt es denn, dass der alte oder auch der junge weiße Mann in den Unternehmen abgehängt ist? Kommt inzwischen tatsächlich nur noch die sprichwörtliche „schwarze lesbische Frau mit Behinderung“ zum Zuge?
Ich kenne Unternehmen, in denen Männer in den ganz bewegten Zeiten kaum noch eine Chance hatten, befördert zu werden. Das sind aber meist Unternehmen, die eine unkluge Führung hatten oder haben. Mir war immer klar: In einem Technik-Ressort bei der Telekom mit sieben Prozent Frauen in der Führung muss ich anders handeln als in einem Marketingbereich, wo die Frauen vielleicht sogar in der Mehrheit sind. Aber wenn du als Unternehmen die Frauenförderung verschlafen hast und jetzt eine wilde Aufholjagd startest, dann verliert ein solches Unternehmen oft die Differenziertheit.

Nun werden die DEI-Programme in großem Stil abgeräumt. Kann es sein, dass da gerade das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird und die Frauenförderung mit weggeschwemmt wird?
Diese Sorge kann man durchaus haben. Aber nicht nur in Bezug auf Frauen, sondern auch in Bezug auf benachteiligte Minderheiten.

Wenn Sie heute CEO eines Unternehmens wären – was würden Sie in der jetzigen Situation tun?
Ich würde die Gender-Sternchen abschaffen sowie alles, was direkt oder indirekt kulturell manipuliert, auch im Umgang mit Kunden und Lieferanten. Sprache ist ja ein mächtiges Werkzeug. Ich weigere mich bis heute, mit Gender-Sternchen zu schreiben. Ich habe aber schon vor 30 Jahren erklärt, dass wir nicht „Liebe Mitarbeiter“ schreiben, sondern „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“.

Und was noch?
Ich würde eine Einheit schaffen für Frauenförderung und Diversity, also die beiden Bereiche zwar unter einem Dach organisieren, sie aber sprachlich und inhaltlich trennen. Und ich würde gleichzeitig klar machen, dass es da Prioritäten gibt: Die Gleichberechtigung der Frau hat Verfassungsrang. Das hat für mich eine andere Qualität. Ganz anders sieht es bei Diskriminierung aus. Der Schutz davor ist ein Menschenrecht.

Sie selbst sind offen homosexuell. Sie würden doch vermutlich auch für eine Atmosphäre sorgen wollen, in der homosexuelle MitarbeiterInnen sich wohl ­fühlen.
Natürlich. Deshalb braucht es Ombuds-Leute als Ansprechpartner und muss ein Unternehmen Netzwerke fördern. Aber ich würde Quoten für andere Gruppen als Frauen, also für Minderheiten wie Homosexuelle, ablehnen. Grundsätzlich ist für mich die Grenze da erreicht, wo Maß und Mitte verloren geht, wo es auch in der Belegschaft nicht mehr nachvollziehbar wird. Wo das im Einzelfall ist, kann man pauschal nicht sagen. Da muss einfach das menschliche Urteilsvermögen walten.   

Das Interview führte Chantal Louis.

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