Zana Ramadani: Geächtet!

Hier protestiert Zana Ramadani (li) gegen Schleierzwang und die Unterdrückung von Musliminnen. Foto: Thorsten Strasas/Demotix
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Wer sich öffentlich mit entblößten Brüsten zeigt, bekommt in Europa mindestens so viel Aufmerksamkeit wie eine Frau unter der Burka. Wir, die deutschen Aktivistinnen von Femen, taten bei unserer ersten Aktion beides gleichzeitig. Und das kam so:

Ich hatte die ukrainische Frauenrechtlerinnengruppe Femen schon länger im Blick. In Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt nur eine Facebook-Gruppe, die über die Aktionen der Ukrainerinnen berichtete. Ich wollte diese Gruppe unterstützen. Ich dachte nicht im Entferntesten daran, mich selbst auszuziehen. Mit meinem Job als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte und meiner Mitgliedschaft in der CDU erschien mir das unvereinbar.

Ich schrieb also eine E-Mail, und es stellte sich heraus, dass Irina, die deutsche Verwalterin der Facebook-Gruppe, ganz allein war. Gemeinsam fragten wir die Ukrainerinnen, ob wir auch in Deutschland etwas unternehmen könnten. Ihre Antwort: Macht und zeigt mal, was ihr könnt.

Und so entstand die Idee, am so genannten Slutwalk in Berlin teilzunehmen, dem Schlampenmarsch. Das Bild der Schlampe besteht nicht nur in der west­lichen Welt, sondern auch in der islamischen. Und es ist unter gläubigen Muslimen in der hiesigen islamischen Community besonders ausgeprägt. Hier gelten Frauen, die sich nicht verhüllen, als Schlampen und Huren, die für alle verfügbar und unrein sind. Deshalb zogen wir uns am 15. September 2012 aus, bemalten Oberkörper und Gesicht mit Ausnahme der Augenpartie mit schwarzer Bodypainting-Farbe und marschierten beim Berliner Slutwalk gegen sexuelle Gewalt mit, „gekleidet“ in aufgemalter Körperburka bzw. Niqab.

Die Botschaft war eindeutig: Es war eine Solidaritätsbekundung mit muslimischen Frauen und sollte auf deren Probleme aufmerksam machen, die auf unseren Plakaten benannt waren: „Fight for women’s liberation from religious oppression“, „Unveil women’s right to unveil“ und „There is war on women“. Es gibt Krieg gegen Frauen.

Ein paar Tage später begann die Hexenjagd der weißen Genderfeministinnen, zunächst im Internet. In Blogs warfen uns Gruppen wie „People of Color“ und „Critical Whiteness“ vor, uns „eine andere Kultur angeeignet“ und „eine ganz neue rassistische Qualität entwickelt“ zu haben. Wir hätten „Blackfacing“ betrieben (eine historische, rassistisch konnotierte Form des Theaters, bei der sich weiße Schauspieler schwarz anmalten, um Stereotype von Schwarzen zu verkörpern).

Die Organisatorinnen des Slutwalks antworteten zunächst so: „keine von uns hatte diese aktion vorort als ‚blackfacing‘ aufgefasst. mensch kann darüber verschiedener meinung sein. wir denken, dass die frauen, die die aktion gemacht haben, einen ‚arabischen hintergrund‘ haben.“ Und sie formulierten die Bitte, „nicht immer gleich mit der ‚rassismus-keule‘ zu kommen“. Auch Terre des Femmes habe es gut gefunden, „wie öffentlichkeitswirksam diese aktivistinnen gegen die weltweite unterdrückung von frauen protestiert haben“.

Leider schlossen sich diese Organisatorinnen des Slutwalks unter dem Druck der Political Correctness später der Meinung an, unsere Aktion sei doch „rassistisch“ gewesen.

Ich entstamme der islamischen Welt, aber anders als die Frauen in Saudi-Arabien kann ich mich zu Wort melden und gegen Verschleierung und Unterdrückung auftreten, ohne mit Bestrafung bis hin zum Tod rechnen zu müssen. Diese Bedrohung schwebte über der Tunesierin Amina Tyler, die sich einige Monate nach dem Slutwalk barbusig fotografieren ließ. Auf ihrem Oberkörper stand in schwarzer Farbe geschrieben: „Fuck your morals“. Das Foto verbreitete sie auf Facebook und schrieb dazu: „Mein Körper gehört mir und ist nicht die Quelle von irgendjemandes Ehre.“ Daraufhin verlangte der islamische Prediger Adel Almi im Fernsehen, Amina Tyler müsse ausgepeitscht und gesteinigt werden.

Das war für uns Anlass für eine Aktion zum von Femen ausgerufenen internationalen „Topless Jihad Day“. Wir schrieben „Fuck your morals“, „Fuck Islamism“ und „Arab Women Against Islamism“ auf unsere Haut und kletterten auf den Zaun der Ahmadiyya-Moschee in Berlin.

Dieses Mal kam die Kritik von muslimischen Frauen, die sich als Feministinnen verstehen. Die muslimische Bloggerin und Rechtsreferendarin Betül Ulusoy stellte sich vor die Moschee und hielt ein Schild in die Luft, auf dem stand: „Kämpfe für mich! Lass mich so sein, wie ich es will, nicht so, wie du es für richtig hältst.“ Auf Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien protestieren Musliminnen mit Sprüchen wie: „Du brauchst mich nicht befreien, ich bin schon frei“ oder „Das Kopftuch ist meine Wahl“.

Die ebenfalls muslimische Bloggerin Kübra Gümüsay fiel durch zwei Hashtags auf: Mit #SchauHin wollte sie auf die Alltagsdiskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund aufmerksam machen, in ihrem Fall eine bekopftuchte Muslimin. Mit #Ausnahmslos behauptete Gümüsay mit „biodeutschen“ Mädchen, die Übergriffe gegen Frauen während der Silvesternacht 2015/16 würden „von Populist_innen instrumentalisiert“, um „gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen“.

Es ist paradox: Während die Genderfeministinnen generell alle Männer als Täter verdächtigen und anklagen, darf ausgerechnet über muslimische Täter nicht gesprochen werden. Es ist mir unbegreiflich, dass sie ausgerechnet dem muslimischen Mann Rabatt gewähren wollen. Gleichzeitig betonen sie kategorisch die Opferrolle aller Frauen.

Die muslimischen Täter von Köln zu schonen, macht diese Welt nicht besser, schon gar nicht für Frauen. Es muss erlaubt sein, auch über die Herkunft dieser Männer und deren Religion zu diskutieren. Gümüsay aber behauptete bezüglich des Femen-Beitrags zum „Topless Jihad Day“ in der taz: „Letztlich reiten die Femen- Frauen aber nur erfolgreich auf antiislamischen Ressentiments, gebrauchen rassistische und islamophobe Stereotype.“

Antiislamische Ressentiments. Rassismus. Islamophobie. Das sind die üblichen Totschlagargumente, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die Fragwürdiges kritisieren, das mit dem Islam zu tun hat. Demokratisch ist das nicht, Meinungsfreiheit und Diskurs stärkt das auch nicht. Aber vielleicht entspricht das ja dem Demokratieverständnis der Gümüsays und Ulusoys, dessen Qualität sich 2016 nach dem Putsch in der Türkei offenbarte.

Kübra Gümüsay weilte in der Nacht jenes 15. Juli im Land ihrer Vorfahren. Auf Facebook postete sie: „Wir sind in Sicherheit. Schockiert und ungläubig staunend. Bete für die Demokratie.“ Doch die wurde gerade in der Türkei zu Grabe getragen. Der türkische Präsident nannte den Putsch ein „Geschenk Allahs“ und nahm ihn zum Vorwand und Anlass, um nicht nur gegen die (vermeintlich) Verantwortlichen und Beteiligten vorzugehen, sondern gleich allen den Krieg zu erklären, die ihm nicht bedingungslos ergeben folgten, sondern auf demokratische Rechte pochten.

Die Juristin Betül Ulusoy hatte Schlagzeilen gemacht, als sie im Juni 2015 erzwingen wollte, als Referendarin im Bezirksamt Berlin-Neukölln ein Kopftuch tragen zu dürfen. Weil ihr das verwehrt worden war, sprach sie von „Diskriminierung“. In Berlin müssen jedoch alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst (LehrerInnen, PolizistInnen, RichterInnen) am Arbeitsplatz und im Dienst auf jegliche religiöse Symbole verzichten. 13 Monate später machte die „Kopftuchjuristin“ Ulusoy erneut Schlagzeilen. Nach Erdoğans „Gegen-Putsch“ schrieb sie auf Facebook einen Kommentar, der folgendermaßen übersetzt wurde: „Alles hat einen Segen. Jetzt können wir ein wenig Dreck säubern. Jeder kriegt seine Strafe.“

Ulusoy arbeitete damals in der Senatsgesundheitsverwaltung. Hatte ihr menschenverachtender Post Konsequenzen für sie? Meines Wissens nicht. Etliche „Biodeutsche“ verloren in den vergangenen Monaten ihren Arbeitsplatz wegen ähnlicher volksverhetzender Parolen. Zu Recht. Betül Ulusoy aber, die Diskriminierte, durfte weitermachen.

In der Debatte um Frauenrechte im Islam zeigen nicht nur hiesige Genderfeministinnen, sondern auch selbst ernannte muslimische Feministinnen ein bemerkenswertes Maß an Ignoranz und Kurzsichtigkeit. Sie alle führen ein sehr westliches Leben. Mag sein, dass ihre Wandlung – auch die in der Kleiderwahl – unter den gegebenen Voraussetzungen einer freiwilligen Entscheidung entsprang. Aber wie viele „Freiwillige“ sind das im Verhältnis zur islamischen Gemeinschaft weltweit, in der sich kaum jemand, am wenigsten eine Frau, auf Menschenrechte, Demokratie, Gleichberechtigung berufen kann?

Wieso setzen sich diese Wendehals-Kopftuchfrauen nicht dafür ein, dass Frauen, die dieses Zeichen eines politischen Bekenntnisses nicht mehr tragen wollen und deren Leben deshalb bedroht ist, ein Recht auf Asyl erhalten? Sie verweigern bedrohten Frauen die Solidarität. Das ist der tatsächliche Verrat unter Frauen. Und der kann bereits damit beginnen, dass man schweigt.

Am 25. Oktober 2014 wurde Reyhaneh Jabbari im Iran hingerichtet. Sie wurde 26 Jahre alt und verbrachte die letzten sieben Jahre ihres Lebens im Gefängnis. 2009 hatte ein Gericht sie zum Tode verurteilt, weil sie den Mann erstochen hatte, der sie vergewaltigen wollte; es handelte sich dabei um einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter. Mit Femen demonstrierte ich daraufhin am 27. Oktober vor der iranischen Botschaft in Berlin. Wir trugen ein Kopftuch oder eine Henkerskutte, und auf unsere Oberkörper hatten wir „Fuck Sharia“, „Murder“ und den Namen der Hingerichteten geschrieben.
Dies war die emotionalste Aktion, an der ich je beteiligt war. Auch ein Onkel von Reyhaneh Jabbari war gekommen und schubste mit Tränen in den Augen einen Polizisten von mir weg. Er wollte sich bedanken, dass wir seine Nichte und die anderen Hingerichteten nicht vergessen hatten.

Wo aber waren die kopftuchtragenden Frauen, die sich als muslimische Feministinnen verstehen? Während ich etliche Hämatome und Schürfwunden davon­trug, mit den anderen Aktivistinnen sechs Stunden in der Zelle saß (weil angeblich die Erfassung unserer Personalien so lange dauerte) und an den folgenden Tagen mit etlichen Gewaltandrohungen bis hin zu Bildern von abgetrennten Köpfen leben musste, blieben die Kopftuch-Aktivistinnen inaktiv. Sie versteckten sich, sie drückten sich vor ihrer Verantwortung als Feministin, die sie doch sein wollen.

Und als im Iran Models verhaftet wurden, die auf Instagram Fotos gepostet hatten, auf denen sie kein Kopftuch trugen? Kein Wort von den „feministischen“ Kopftuchmuslimas. Nicht ein einziges. Ignorieren sie die vielen Berichte im Netz und in den Zeitungen, wonach Frauen im Iran, in Afghanistan, Saudi-Arabien und Pakistan verprügelt, gesteinigt, vergewaltigt, missbraucht werden, weil sie gegen irgendeine vorgestrige Bestimmung verstoßen haben?

Wenn sich im Iran inzwischen Frauen den Schädel rasieren, um damit auch gegen den Zwang zur Verhüllung ihres Haars zu demonstrieren, wie kann eine Frau wie Khola Maryam Hübsch, muslimische Bloggerin, Journalistin und Tochter eines deutschen zum Islam konvertierten Schriftstellers, behaupten, Muslimas trügen den „Schleier der Freiheit“? Hidschab und Chimar (ein langes Kopftuch, das Schulter und Oberkörper bedeckt) sollen freiwillig getragen werden? Auch der Tschador im Iran? Aus Überzeugung? Der Niqab in Saudi-Arabien und im Irak? Die Burka in Afghanistan, Pakistan und in den vom selbst ernannten Islamischen Staat (IS) besetzten Gebieten?

Nachdem kurdische Soldaten im August 2016 die Terroristen des IS aus Manbidsch in Nordsyrien vertrieben hatten, gingen Bilder von lachenden Männern um die Welt, die sich den Bart abrasierten, und von freudigen Frauen, die sich eilig des Niqabs entledigten. Sie alle waren offensichtlich glücklich darüber, sich nicht mehr dem mit brutaler Gewalt durchgesetzten religiösen Zwang beugen zu müssen. Gibt es einen schreienderen Gegenbeweis für die Behauptung, Frauen verhüllten sich freiwillig?

Der Zwang ist offensichtlich. Und wenn die stolzen Kopftuchträgerinnen hierzulande sich das endlich eingestehen könnten, dann müssten sie sagen: Ich nehme das Ding ab, als Feministin kann ich gar nicht anders. Und wie kann es eine Muslimin, die ihren Glauben so sehr liebt, ertragen, dass das religiöse Symbol mit Zwang durchgesetzt wird? Hat das noch etwas mit Religion zu tun?

Diese ignoranten Kopftuchfrauen sind Teil einer Islamistenlobby, der es gelungen ist, die Solidarität nicht nur linker Feministinnen zu erschleichen. Alle sind sie den muslimischen Fake-Feministinnen von Gümüsay bis Ulusoy auf den Leim gegangen.

Es ist erstaunlich, was heute alles als Feminismus durchgeht: Sogar Mohammed soll Feminist gewesen sein, der eine Aufgabenverteilung als rechtens erklärte, die vielleicht damals sinnvoll war, die aber Feministinnen heute bekämpfen: Der Mann versorgt die Frau finanziell, im Gegenzug bedienet sie Papi, wenn er nach Hause kommt.

Die heiligen Texte seien ein Quell für Gendergerechtigkeit, heißt es unbeirrt, aber dieser Geist sei den patriarchalischen Interpretationen alter Männer zum Opfer gefallen. Die gleichberechtigte Rolle der Frau zu Lebzeiten des Propheten sei durch die vorwiegend männliche Erzähltradition unsichtbar gemacht worden. Die Ideale des Propheten hätten sich deshalb verflüchtigt.

Deshalb ist zwischen Islam und Feminismus eine Wahl erforderlich. Stattdessen springen die weißen Genderfeministinnen denen bei, die am schnellsten und lautesten „Rassismus!“ rufen. Sie lassen die Ewiggestrigen mit ihrem Beharren auf die überhaupt nicht feministische Tradition durchkommen.

Schon das Laissez-faire der Fürsprecher von Multikulti in den Achtzigerjahren war ein Fehler, weil man damit auch abgeschottete Parallelgesellschaften zuließ. Nebenbei pflegte dieses Multikulti-­Verständnis eine irritierende Form des „positiven“ Rassismus, zum Beispiel diese: Linke Autonome brechen das Markenzeichen von der Kühlerhaube eines bekannten Kapitalistenfahrzeugs. Der Besitzer des Mercedes beklagt sich lautstark, er fühle sich diskriminiert – als Türke. Die Täter entschuldigen sich, bringen den Stern zurück.

Die Ungleichheit in muslimischen Gesellschaften als kulturelle Freiheit oder Folk­lore zu dulden ist nicht nur eine ­falsche Toleranz, sondern in Wahrheit Gleichgültigkeit. „Türkinnen tragen Kopftücher“, behauptet der Fernsehsender Pro7 in einem gemeinsamen Werbespot mit der deutschen Sektion der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). Dann wendet sich eine Blondine, die Ex-Moderatorin Charlotte Würdig, in einer Art Hidschab der Kamera zu, zeigt Haar, Gesicht, Hals und Beine und sagt: „Ich auch. Ist doch hübsch.“ Und weil’s international sein soll, folgt noch der Satz: „Enjoy difference. Start tolerance.“

Wie weltoffen! Wie liberal! Aber für welches Lebensmodell fordert die verkleidete TV-Blondine noch gleich Toleranz? Für das bereits hinreichend beschriebene Leben, das sich hinter Kopftuch und Schleier verbirgt? Verbergen muss.

Hübsch ist das nicht, das Leben der Frauen in einer muslimischen Familie, das offenbar weder die verkleidete Moderatorin noch die jungen Genderfeministinnen kennen. Das liegt daran, dass sie nicht unter die Menschen gehen, für die zu sprechen sie vorgeben. Es ist, als trügen sie Scheuklappen. Weil sie nur zu Hause sitzen, wo sie bloggen und sehr viel Hass verbreiten. Ihr beliebtestes und wirksamstes Mittel ist der Vorwurf des Rassismus, mit dem sie alle Menschen etikettieren, die wie ich die islamische Welt auch nur ansatzweise hinterfragen oder Probleme ansprechen. Das Wort Nazi ist in diesem Zusammenhang übrigens ebenfalls oft zu hören.

Damit decken sie, die doch vorgeblich für Freiheit, Gleichheit und Gleichberechtigung kämpfen, gerade jene, die für Unfreiheit und Ungleichheit sorgen und Frauenrechte missachten. Sie verraten Frauen in islam(ist)ischen Ländern ebenso wie in Europa, die sich nicht selbst für ihre Befreiung einsetzen können. Indem sie Gepflogenheiten und Sitten dulden, denen sie selbst sich niemals unterwerfen würden und die nicht nur mit unserer Gesellschaftsordnung, sondern mit universellen Menschenrechten nicht vereinbar sind. Ihre moralische Eitelkeit und überheb­liche Arroganz sind stärker als die Empathie mit den Opfern des Islamismus.

Genderfeministinnen kämpfen für die Rechte von Menschen aller denkbaren sexuellen Orientierungen (sogar Extra­toiletten in öffentlichen Einrichtungen für Transgender sind einen Streit wert), verschließen aber vor der Unterdrückung muslimischer Frauen die Augen.

Genderfeministinnen tragen eine Mitverantwortung dafür, dass Opfer von ­sexuellen Übergriffen schweigen, weil sie den Rassismusvorwurf und die Nazikeule fürchten. Zum Beispiel in Kassel: Über mehrere Wochen in der ersten Jahreshälfte 2016 hatten Männer arabischer Herkunft Mädchen auf dem Weg zur Schule in der Tram oder im Bus bedrängt und an Po, Brust und in den Schritt gefasst. Dann, endlich, vertrauten sich drei der Jugendlichen ihrer Lehrerin an. Auf ihre Frage, warum sie so lange geschwiegen hatten, erhielt sie folgende Antwort: „Wir möchten nicht, dass Flüchtlinge diskriminiert werden. Wir möchten keine Menschen pauschal beschuldigen und auf keinen Fall böses Blut schüren.“ Das ist eine falsch verstandene Political Correctness, die junge Frauen auch bei weißen Genderfeministinnen lernen, die zu viel Verständnis für „kulturelle Eigenheiten“ aufbringen. Wieso sollten wir den Taten dieser Männer nachsichtiger begegnen als üblicherweise? Feminismus geht anders.

Weil sie bei muslimischen Männern so viel Verständnis aufbringen, sind die Gender- und die Kopftuch-„Feministinnen“ auch mitverantwortlich für die wachsende Zahl von Anhängern der Rechtspopulisten. Otto Normalverbraucher wagt es nicht mehr, seine Sorgen und Ängste zu formulieren oder gar eine eigene Meinung zu vertreten, weil er fürchtet, als Nazi oder Rassist beschimpft zu werden. Warum aber soll man in Deutschland nicht der Meinung sein dürfen, nicht leben zu wollen wie Muslime in den Staaten, in denen der Islam Staatsreligion ist und die Scharia Recht ist? Warum soll man sich nicht Sorgen machen um Frau und Töchter, wenn junge arabische Flüchtlinge an der Kaufhalle herumlungern und anzügliche Bemerkungen von sich geben? Damit ist ja nicht gesagt, dass alle Muslime Vergewaltiger sind. Und es ist auch nicht gesagt, dass es unter Deutschen keine solchen gäbe.

Für mich gehört zum Feminismus, alle Probleme offen anzusprechen. In Deutschland ist es erlaubt, darüber zu streiten, wie wir leben wollen und wie nicht. Wir, Frauen und Männer, müssen die Bevormundung durch die Political Correctness brechen. Wir müssen uns davon befreien und uns trauen, Wahrheiten auszusprechen, ohne vorher das Bekenntnis ablegen zu müssen, kein Nazi zu sein, nicht xenophob und für offene Grenzen. Wir müssen das Eindeutige unzweideutig aussprechen. Und das beginnt bei Kopftuch und Verschleierung: Sie sind kein Ausdruck von Freiheit, sondern von Unfreiheit! Weil eine Frau sich verstecken soll, um als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht als sexueller Reiz, als fleischgewordene Versuchung. Wer das nicht verstehen will, gehört nicht hierher; wer es nicht verstehen will, betreibt ein gegen unsere freie Gesellschaft gerichtetes Spiel – und eines gegen die Interessen der Frauen.

Zana Ramadani

Der Text ist ein ­gekürzter Auszug: "Die verschleierte Gefahr – Die Macht der muslimischen Mütter und der ­Toleranzwahn der Deutschen" (Europa Verlag, 18.90 €).

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Die Parteien müssten sich trauen!

Necla Kelek, Zana Ramadani und Lale Akgün debattieren. - Foto: Bettina Flitner
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Ist die Integration gescheitert?
Necla Kelek Ja und Nein. Deutschland hat einerseits ganz große Erfolge zu verzeichnen: Wir haben fast 16 Millionen Migranten in Deutschland und die Mehrheit von denen gehen hier ihren Weg. Aber es gibt eben auch eine Gruppe, die mit den Werten der Freiheit nicht klarkommt und versucht, ihre traditionellen Vorstellungen in einer abgeschotteten Gesellschaft zu leben. Und das ist nur bei Muslimen der Fall. Bei den Spaniern, Portugiesen oder Griechen, die ja in der gleichen Zeit und aus den gleichen Gründen nach Deutschland gekommen sind, ist keine Parallelwelt entstanden.

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Wie hoch schätzt du den Anteil dieser Integrationsunwilligen?
Kelek Ich würde sagen: die Hälfte. Das ist in Deutschland genauso wie in den muslimischen Ländern: Die Muslime sind in zwei große Gruppen geteilt. Die eine Hälfte hat sich schon immer europäisch und säkular gesehen. Und die andere Hälfte will hier auf dem Ticket der Religionsfreiheit ihre Traditionen leben.

Lale, du hast in einem früheren Gespräch darauf hingewiesen, dass es diese Probleme in den 60er Jahren so gar nicht gab.
Lale Akgün Das Problem ist nicht die Religionsfreiheit. Das Problem ist der politische Islam, der sich Anfang der 1980er- Jahre etabliert hat. Die Etappen sind bekannt: Die Machtergreifung von Khomeini, der Militärputsch in der Türkei, der Einmarsch der Russen in Afghanistan. Und daraufhin die Unterstützung der Islamisten durch die USA, die den so genannten „Grünen Gürtel“ um die kommunistischen Länder gelegt haben. Das heißt, sie haben die Islamisten unterstützt, damit die wiederum die Sowjetunion unter Druck setzen. So ist es dann ja auch passiert. Dieser politische Islam hat sich mit der Gründung der aus der Türkei und den arabischen Ländern gelenkten Islamverbände auch in Deutschland niedergeschlagen und Fuß gefasst. In den 60er und 70er- Jahren war die Haltung der Leute noch eine ganz andere. Da haben höchstens mal die anatolischen Bäuerinnen ihr traditionelles Kopftuch getragen. Mitte der 80er kam ich dann in Köln zum ersten Mal an einer Demo vorbei, wo Frauen ein Schild hochhielten: „Mein Kopftuch ist meine Ehre!“ Wenn bestimmte Gruppen sich heute nicht auf unsere Gesellschaft einlassen, dann muss man ganz klar sagen: Das ist von bestimmten Kreisen, nämlich dem politischen Islam, genauso gewollt! Die wollen in den westlichen europäischen Ländern ein „Bollwerk“ errichten – und sie wollen das Kopftuch als Zeichen ihrer Macht und ihres Einflusses.

Zana, du bist die Tochter muslimischer Eltern aus Mazedonien und bei den Femen aktiv. Einer der drei großen Fights, die die Femen ausfechten, ist der gegen den religiösen ­Fundamentalismus.
Zana Ramadani Ich habe selber unter den „Werten“, die der Islamismus vermittelt, ­gelitten – und leide immer noch darunter. Seit einigen Tagen habe ich mal wieder gar keinen Kontakt zu meinen Eltern, weil ich mich als „schlechte Tochter“ erwiesen habe. Zuerst habe ich einen Deutschen geheiratet – und jetzt lasse ich mich auch noch wieder von ihm scheiden. Diese Haltung ist einfach drin: Dass wir Frauen weniger wert sind, dass wir kuschen müssen, dass wir uns „weiblich“ benehmen müssen, dass wir keine Sexualität haben dürfen. Das konnte ich schon als Kind nicht akzeptieren. Doch es wird leider auch in meinem Herkunftsland schlimmer: Dadurch, dass der Islamismus in Mazedonien immer aggressiver wird, geht die Entwicklung zurück. Wenn ich vor zehn Jahren bei meiner Familie zu Besuch war, habe ich keine Frau mit Ganzkörperverschleierung gesehen. Jetzt laufen da unheimlich viele Frauen komplett verschleiert rum. Die Männer werden zum Teil von den Moscheen dafür bezahlt, wenn ihre Frauen voll verschleiert rumlaufen.

Wenn man diese Verhältnisse kritisiert, so wie ihr das tut, handelt man sich sehr schnell den Vorwurf ein, man sei rassistisch oder islamophob.
Akgün Dieser Vorwurf läuft bei mir ins Leere. Wir – also mein Mann, der Religionslehrer ist, und ich – sind überzeugte Muslime und dazu aktiv in der muslimischen Gemeinde Rheinland. Wir sind eine völlig unabhängige Gemeinde mit überwiegend jungen Mitgliedern, die einen liberalen Islam leben. Aber ab und zu kommt der Vorwurf, ich sei eine Nestbeschmutzerin.

Und wie gehst du damit um?
Akgün Darüber kann ich nur lachen. Was ist das für ein Verständnis von Loyalität, wenn man das, was man für richtig hält, nicht aussprechen darf?

Kelek Der Vorwurf, ich würde in Deutschland eine Islamophobie schüren, kommt daher, dass ich den Islam an sich kritisiere. Und damit haben sehr viele, auch liberale Muslime, große Probleme. Sie sagen, die Integrationsprobleme lägen an der ökonomischen Situation oder an der Bildungsferne der Menschen. Ich aber glaube, das hat mit den konservativen Strukturen des Islam zu tun. Denn der offizielle Islam erlaubt keine Zweifel, keine Fragen, keine Wissenschaftlichkeit. Mir wird immer gesagt: „Lassen Sie die Religion in Ruhe! Wenn Sie das nicht tun, kriegen Sie Ärger!“ Das kann bis zur Fatwa gehen.

Wie es gerade dem deutsch-ägyptischen Autor Hamed Abdel-Samad passiert ist.
Kelek Zu mir hat ein Milli-Görüs-Sprecher gesagt: „Wenn Sie nicht mehr an den Islam glauben, dann tun Sie das. Aber reden Sie nicht darüber!“ Und er gab mir zu verstehen, wenn ich nicht aufhöre, dass andernfalls auch gegen mich eine Fatwa ausgesprochen werden müsste.

Akgün Hat er das wirklich gesagt?

Kelek Wortwörtlich. Auf der Islam-Konferenz.

Ramadani Aus meinem Kulturkreis kommen halt Beschimpfungen wie Schlampe, Hure und so weiter.

Akgün und Kelek Das Übliche …

Ramadani Aber dank meiner Herkunft kann ich in Deutschland islamkritisch sein, ohne dass gleich die Nazikeule kommt – sei es von linken Gruppierungen oder Muslimen. Und weil ich diese Möglichkeit habe, sehe ich mich in der Pflicht, diese Kritik zu äußern.

Lale, was sagst du denn zu der Hoffnung deines Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, dass es bald eine Tagesschausprecherin mit Kopftuch gibt?
Akgün Ich hoffe, dass es stimmt, was er nachträglich dazu gesagt hat: Das sei nur ein Scherz gewesen. Wenn eine Frau privat meint, sie müsste das Kopftuch tragen, dann ist das ihre Entscheidung. Aber eine Tagesschausprecherin hat eine ganz andere Symbolkraft. Die Tagesschau muss neutral bleiben. Ganz wie die Schule.

Es wird ja immer gesagt, das Kopftuch sei ein religiöses Zeichen. Ist es nicht eher ein politisches Symbol?
Kelek Unbedingt! Weil die VerfechterInnen des Kopftuchs immer die Gesellschaft in Männer und Frauen teilen wollen. Sicher gibt es auch Frauen, die aus ganz persön­lichen Gründen das Kopftuch tragen wollen. Aber wir können das ja in Ägypten oder ­Tunesien beobachten: Die Frau signalisiert mit dem Kopftuch, dass sie nicht Teil der Öffentlichkeit ist. Sie ist jetzt solange da, um ihrer Religion an die Macht zu verhelfen. Sie hat nicht das Recht, die öffentlichen Parks und Plätze für sich zu nutzen. Der Mann beherrscht die Öffentlichkeit, er ist die Öffentlichkeit, die Frau ist seine Privatheit. Das war übrigens ein großes Verdienst von Atatürk: Dass er Plätze wie den Taksim-Platz zu Bürger-Plätzen gemacht hat, wo die Familien – also auch Frauen ohne Kopftuch und Kinder – auch abends spazieren gehen konnten. Das war vorher nicht üblich. Ich habe als Kind in Istanbul von dieser Öffnung sehr profitiert. Wir gingen nach dem Abendessen immer am Bosporus spazieren und einen Tee trinken. Damals hat außer älteren Damen niemand ein Kopftuch getragen.

Ramadani Ich kann das Kopftuch so lange nicht akzeptieren, wie Millionen Frauen auf der Welt unter der Verschleierung leiden. Sollte es diesen brutalen Kopftuchzwang eines Tages nicht mehr geben, bin ich auch bereit, eine Lehrerin mit Kopftuch zu akzeptieren. Aber davon sind wir doch Jahrhunderte entfernt! Im Übrigen leiden ja nicht nur Frauen unter dem Kopftuch, sondern auch Männer, die gar nicht wollen, dass sich ihre Frau verschleiert, die aber unter dem enormen Druck nicht wagen, dem etwas entgegenzusetzen.

Akgün Es gibt viele Gründe, ein Kopftuch zu tragen: Tradition, Geschichte und so weiter. Aber der Balkan ist ein sehr gutes Beispiel. Dass auch dort jetzt Burkas und Niqabs auftauchen, die es da vorher nicht gab, das zeigt doch, dass es da um eine ­politische Entwicklung geht.

Gibt es Parteien, die eine konstruktive Integrationspolitik haben?
Ramadani Ich habe das Gefühl, dass ich in unserem CDU-Kreisverband die Quoten-Migrantin bin. Aber jetzt werde ich denen zu unbequem, denn ich benenne ja die Probleme, die wir mit dem Islamismus haben. Das hatten sie sich so nicht vorgestellt. Einige der Herren hätten gern, dass ich die CDU wieder verlasse. Aber ich bin gemein und bleibe.

Kelek Ich beobachte, dass quasi alle Parteien einen Konsens haben, dass man nicht zu kritisch mit dieser Gruppe konservativer Muslime umgehen darf. Da gibt es ein regelrechtes Redeverbot. Die Grünen sprechen ja gar nicht von Integration, sondern von „Multikulturalität“. Das finde ich fatal, weil die hier lebenden Migranten die Integration aus eigener Kraft gar nicht schaffen. Mit dieser Haltung macht man sich zum Werkzeug des ­politischen Islam. Das gilt auch für die FDP mit ihrem Es-kann-jeder-machen-was-er-will-Liberalismus. Die SPD sehe ich auch sehr kritisch. Die spricht von „Partizipation“. Aber die Voraussetzungen für eine echte Teilhabe sind doch bei vielen noch gar nicht vorhanden. Die CDU spricht zwar von Integration, ist aber sehr zurückhaltend. Sie hat offenbar große Angst vor dem Vorwurf des Rassismus und lässt sich da von den anderen Parteien einschüchtern. Und die angeworbene Braut/Bräutigam muss bereits im Heimatland einen Deutschkurs besuchen und mindestens 300 Worte Deutsch beherrschen.

Akgün Was ich bei allen Parteien problematisch finde, ist, dass sie die Diskussion um die Integrationspolitik viel zu stark über die Differenz führen. Da geht es immer wieder vor allem um ethnische Unterschiede und unterschiedliche Religionen. Ich habe immer ­gesagt: Wir brauchen keine Islamkonferenz! Islam und Integration sind zwei Paar Schuhe. Wir müssen überlegen, wie wir Chancengleichheit schaffen können, und wie wir Rassismus und Diskriminierung abschaffen können. Es wird ja immer gefragt: Warum hat sich die zweite oder dritte Generation Migranten so viel schlechter integriert als die erste? Dabei stimmt das überhaupt nicht. Was ich erlebe, ist nicht der fehlende ­Integrationswille, sondern ein Gefühl des ­Zurückgewiesenwerdens. Phänomene wie Kanak Sprak, die massenhafte Auswanderung von jungen Türken und Aussiedlern in die Länder ihrer Eltern oder das neue Wort „colored“. Von Solingen und den NSU-Morden wollen wir erst gar nicht anfangen.

Kelek Mir scheint, dass die CDU am ehesten eine Art konstruktive Integration setzt, während die anderen Parteien sagen: Was ist denn schon deutsch? Was ist denn schon europäisch? Ich aber habe eine Vorstellung davon, was ein Europäer ist. Und ich erwarte von den Parteien, dass sie ihr Land und europäische Werte auch vertreten. Das müssen wir Bürgerinnen und Bürger von ihnen einfordern!

Akgün Die Parteien müssen alle aus der Defensive rauskommen!

Was sagst du denn dazu, Lale, dass Kanzlerkandidat Steinbrück Yasemin Karakaşoğlu in sein Kompetenzteam geholt hat – eine offensive Vertreterin des Kopftuchs und muslimischer Parallelwelten?
Akgün Kein Kommentar.

Hast du in Sachen Integrationspolitik eigentlich Verbündete in deiner Partei, Lale?
Akgün Natürlich gibt es in meiner Partei Menschen wie mich, die meinen, dass wir es langsam mal wagen sollten, kritische Worte gegen den politischen Islam und bestimmte Islam-Verbände zu sagen. Aber es gibt auch in der SPD, so wie auch in allen anderen Parteien, die Angst, als ausländerfeindlich oder islamophob dazustehen. Ich finde: Wenn man eine Partei ist, muss man auch Partei ergreifen. Die anderen, die Islamisten, zögern nicht. Die wissen genau, was sie wollen, und die marschieren schnurstracks auf ihr Ziel zu. Und gerade diese unentschlossene Haltung der Parteien hat in der Bevölkerung eine totale Unzufriedenheit mit der Integrationspolitik hervorgerufen. Zum Beispiel hätte das rassistische Buch von Sarrazin niemals so viel Zuspruch bekommen, wenn es nicht völlig übereifrig von vielen Politikern abgelehnt worden wäre. Man hätte über das Buch diskutieren müssen.

Das beobachten wir ja auch in anderen Ländern: Der Grund für den Zulauf vieler Menschen zu populistischen Rechten ist, dass ihr berechtigtes Unbehagen mit dem poli­tischen Islam und dessen Folgen von der ­Politik nicht ernst genommen wird.
Kelek Die SPD ist in dieser Sache total gespalten. Sarrazin kommt ja aus der SPD. Und Heinz Buschkowsky, der auch sehr kritisch ist, kommt auch aus der SPD. Es gibt schon eine Menge Einzelpersonen, die eine Veränderung wollen. Aber die Mehrheit – und auch die Mehrheit der türkischen Migranten in der SPD verhindern eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam.

Akgün Buschkowsky hat aus der Perspektive des Bürgermeisters eines Problembezirks wie Neukölln vieles richtig beschrieben. Und er setzt auf Bildung. Das finde ich gut. Aber seine Sicht ist manchmal zu sehr auf Neukölln verengt. Er sieht immer nur die Probleme und nicht, dass 20 Kilometer weiter völlig arrivierte Migranten leben.

Ramadani Wir haben in der CDU auch eine Menge Speichellecker, die die Probleme in der Integrationspolitik genau sehen, sich aber nicht trauen, das auszusprechen.

Kelek Ich finde, dass in den Parteien heute sehr viel über das Thema Islamismus und Integrationspolitik diskutiert wird. Es gibt doch keinen Tag, in dem in der Zeitung nicht was über Integrationspolitik steht. Da ist Deutschland viel weiter als zum Beispiel England oder Frankreich.

Wenn die Politik so gar nichts tut, um dem politischen Islam und seiner Agitation etwas entgegenzusetzen, lässt sie dann nicht auch die Mehrheit der hier lebenden Musliminnen und Muslime im Stich?
Kelek Genau so ist es! Ich fühle mich als ­liberale Muslimin im Stich gelassen.

Akgün Da gibt es einen Wahrnehmungsfehler. Man denkt, jeder Muslim müsste ein streng gläubiger Mensch aus dem ­Moscheeverein sein. Jemand hat mir mal gesagt: „Wenn ich Migranten begegnen will, muss ich doch in den Moscheeverein gehen. Woanders treffe ich die doch nicht!“ Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Einerseits wird also in den Parteien mehr über das Problem geredet. Andererseits ist der organisierte politische Islam weiterhin auf dem Vormarsch. Obwohl man ja im Ausland sieht, wohin das führt.
Akgün Das Problem ist: Die deutsche Geschichte hängt wie ein Damoklesschwert über der Politik. Es wagt ja kein Politiker zu sagen: „Leute, es wäre toll, wenn ihr euch alle als Deutsche fühlen würdet!“

Ist die deutsche Fremdenliebe nicht eine Spielart des Rassismus, also nur die andere Seite der Medaille Fremdenhass? Die anderen in ihrer Herkunft einschließen, so dass sie nie dazugehören, sondern immer „die Anderen“ bleiben?
Akgün Genau, das ist Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen. Wenn die Medien über Musliminnen berichten, haben die immer ein Kopftuch auf.

Dabei konnten wir der großen Studie des Innenministeriums entnehmen, dass 80 Prozent der hier lebenden Musliminnen noch nie ein Kopftuch getragen haben und selbst die Hälfte derer, die sich als „streng gläubig“ bezeichnen, ebenfalls nicht.
Kelek Eben. Das ist eine Minderheit! Aber über deren Rechte wird gesprochen: Warum darf die arme Frau nicht Lehrerin werden? Dass es eine Mehrheit der Muslime gibt, die das Kopftuch auch ablehnen, weil es ein bestimmtes Gesellschafts- und Geschlechterbild symbolisiert, davon ist nie die Rede. Hinzu kommt, dass es keine Selbstkritik bei den Muslimen gibt. Wer ausschert, wird nicht öffentlich gestützt. Da halten auch die Liberalen, die eigentlich gegen das Kopftuch sind, mit den Islamverbänden zusammen. Denen ist die gemeinsame Front gegen die Deutschen wichtiger als die Kritik in den ­eigenen Reihen.

Ramadani Das ist furchtbar. Deshalb höre ich auch nicht auf, den Islamismus laut und öffentlich zu kritisieren.

Akgün Die Politiker haben Angst, dass sie sich gegen die Mehrheit der Muslime stellen, wenn sie zum Beispiel das Kopftuch kritisieren. Diese Ängste muss man ernstnehmen. Deshalb muss man immer wieder aufklären und allen klarmachen, dass der politische Islam nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland repräsentiert. In Wahrheit sind es nur 10 bis 15 Prozent.

Necla, du versuchst, den liberalen Muslimen, die ja bis dato nicht organisiert sind, eine Stimme zu geben. Im Mai dieses Jahres habt ihr die „Kritische Islamkonferenz“ veranstaltet. Werdet ihr gehört?
Kelek Es war kein Zufall, dass diese Konferenz genau jetzt stattgefunden hat. Innerhalb der liberalen Türkischstämmigen rumort es schon lange. Zeitgleich gibt es in der Türkei diese Protest-Bewegung. Den Leuten reicht es einfach! Ich sehe das an meiner eigenen Familie. Als ich mit meinem Bruder und meiner Schwägerin im Urlaub war, haben sie mitten im Ramadan tagsüber am Strand gegessen und Alkohol getrunken. Da habe sogar ich gesagt: „Muss das denn sein?“ Und meine Schwägerin hat gelacht und geantwortet: „Leb du deinen Islam in Deutschland. Wir wollen hier endlich tun und lassen, was wir wollen. Wir wollen uns von der AKP unser Leben nicht mehr kaputtmachen lassen. Wir haben die Schnauze voll!“

Das Gespräch führten Alice Schwarzer und Chantal Louis

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