Alice Schwarzer schreibt

Foltern Frauen wie Männer?

Artikel teilen

Es gibt Tausende von Folterbildern aus Abu Graib. Dennoch wurden bisher vor allem vier Fotos gezeigt: Das erste zeigt ein Opfer auf einem Podest mit einer Kapuze über dem Kopf, das mit seinen abgewinkelten Armen wie der gekreuzigte Christus das Leid dieser Welt symbolisiert - ein Täter ist auf diesem Bild nicht zu sehen. Das zweite Foto zeigt einen nackten Menschenhaufen, der uns an KZ-Bilder erinnert, und hinter dem der feixende Gefreite Charles Graner posiert - vor ihm beugt sich, ihren Unterkörper den Lenden Graners entgegenstreckend, die lachende Gefreite Sabrina Harman über den Körperberg; ihr Körper ist den Nackten näher als dem Uniformierten. Das dritte Foto zeigt stehende, nackte männliche Gefangene mit Kapuzen über dem Kopf - die vor ihnen posierende Gefreite Lynndie England zielt mit einem imaginären Gewehr und einer Zigarette zwischen den Lippen auf die (von westlichen Medien immer unkenntlich gemachten) Genitalien der Männer. Lächelt sie? Das vierte ist das meistpublizierte Bild: Es zeigt ebenfalls England. Sie hält stehend eine Leine in der Hand, die um den Hals eines kriechenden nackten Mannes gebunden ist. Es ist das einzige Bild, auf dem die Agierende sich nicht der Kamera, sondern dem Opfer zuwendet. Ihre Körperhaltung wirkt nicht herrisch, sondern eher unschlüssig, fast marionettenhaft.

Anzeige

Später befragt, warum sie mitgemacht habe, antwortete England: "Mir wurde gesagt: Stellen Sie sich mal dahin. Lächeln. Nehmen Sie die Daumen hoch. Schauen Sie in die Kamera. Hey, lächeln! Sag: Cheese." Wer hat das gesagt? "Meine Vorgesetzten." - Dass es genauso gewesen sein könnte, dafür sprechen die Bilder, die England nicht als Subjekt, sondern als Objekt zeigen. Diese Inzenierungen machen deutlich: Das eigentliche Geschehen ist nicht die Handlung, sondern das Dokumentieren der Handlung, sind die Fotos. Sie sind die Trophäen der Sieger, Beweise der Zerstörung des Gegners - und der Degradierung der eigenen Kameradinnen. Ihre Veröffentlichung multipliziert, auch mit Hilfe der Medien, die Taten ins Endlose.

Alle Inszenierungen folgen klassischen pornografischen Mustern, die uns von de Sade über Pasolini bis Newton (die hechelnden Hunde und die Nackten!) bekannt sind. Zu solchen Szenarien gehören immer auch Frauen (und bei Bildern, die sich an homosexuelle Konsumenten richten, eben feminisierte Männer).

Nein, hier geht es nicht darum zu behaupten, die Soldatinnen seien unschuldig und "auch nur Opfer". Und es geht schon gar nicht darum zu behaupten, Frauen seien von Natur aus nicht zu Bösem fähig. Das Böse ist schließlich keine Frage des biologischen Geschlechts, sondern eine Frage der Macht. Das Böse passiert da, wo die einen mächtig und die anderen ohnmächtig sind - und es den Mächtigen an der Fähigkeit zur Empathie, zum Mitgefühl fehlt. Letzteres ist im Patriarchat, das wir nun mal seit ein paar tausend Jahren objektiv haben, eher traditionell der Part von Männern. Den Frauen wurde der Part von Menschlichkeit und Mitgefühl zugewiesen, Macht und Gewalt waren lange tabu für sie (Darum wurden sie zu Spezialistinnen der verdeckten, psychischen Gewalt). Es geht darum, genau hinzusehen, ganz genau. Fakt ist: Nur zehn Prozent der im Irak eingesetzten US-Soldaten sind weiblich und keineswegs bei allen herzlich willkommen. Dennoch zeigen fast hundert Prozent der veröffentlichten Folterfotos weibliche Akteure. Zufall?

Und dann ist da noch die dritte Frau im Bunde (oder Komplott?). Es ist die Generalin Janis Karpinski. Sie war als Chefin der 800. Militärpolizei-Brigade mit ihren 3.400 SoldatInnen auch zuständig für das Militärgefängnis Abu Graib und gilt heute als der zentrale Sündenbock. Doch die Ein-Sterne-Generalin versichert glaubhaft, ihr sei im August 2003 von dem frisch aus Guantanamo kommenden Zwei-Sterne-General Geoffrey Miller die Befehlsgewalt für das Gefängnis Abu Graib aus der Hand genommen worden mit den Worten: "Diese Häftlinge müssen wie Hunde behandelt werden. Ihnen darf niemals erlaubt werden, sich wie menschliche Wesen zu fühlen."

General Miller ist weiter auf Posten; Generalin Karpinski, die übrigens die einzige Generalin in der US-Army ist, wurde suspendiert. Zufall?

Es drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass hier nicht nur die Gegner erniedrigt werden sollten, sondern auch die Frauen in den eigenen Reihen. Denn ihr Anspruch zur gleichberechtigten Teilhabe in der mächtigsten Institution eines Staates, dem Militär, gefährdet nicht nur männliche Privilegien, sondern verwässert auch den herben Duft des Männerbündischen in den Kasernen.

Dass solche Bilder außerdem westliche Frauen dem traditionellen Frauenhass arabischer und islamistischer Männer noch stärker ausliefern, ist vermutlich eine willkommene Nebenerscheinung. Dabei sind die Soldatinnen nichts als Statistinnen in pornografischen Inszenierungen. Und dass die Gefreite England von dem Gefreiten Graner schwanger wurde, gehört dazu. Zweifellos haben die Akte der Folterungen und der Konsum der Folterbilder das sexualisierte Klima in der Truppe zusätzlich erhitzt. Es wäre aufschlussreich, Herkunft und Ausmaß der pornografischen Prägungen der Soldaten zu erforschen, ihren Pornokonsum an der Heimat- und Kriegsfront. Dass sie in Abu Graib ihnen vertraute Bilder nachstellten, ist unübersehbar.

Und eine solche Flut von Folterbildern allein aus diesem einen Gefängnis deutet darauf hin, dass die Bilder keineswegs nur zum Privatvergnügen unter Soldaten gemacht, sondern auch für den florierenden internationalen Pornomarkt produziert wurden. Wir wissen ja spätestens seit Bosnien und dem Kosovo, dass die Bilder von Vergewaltigungen, Folterungen und Tötungen im Krieg ein Millionengeschäft auf dem Pornomarkt sind.

Doch da ist der eine, der nicht mitgemacht hat. Ja, mehr noch: der zum Widerstand geschritten ist. Joseph Darby, der nachts und anonym einem Vorgesetzten die CD mit den von Graner gesammelten Folterbildern unter der Tür durchschob. Joseph Darby, der in seiner Einheit als "Sonderling" galt, also als einer, der nicht mitmachte bei den Boygames. Er kommt aus ärmlichen Verhältnissen in Pennsylvania und ging zur Army aus Perspektivelosigkeit, wie die meisten. Zu erforschen, was ihm die Kraft gab, sich dem Bösen entgegenzustellen, wäre wegweisend. Übrigens: Joseph Darby gilt keineswegs als Held. Er musste untertauchen, weil er gefährdet ist in Amerika.

Und die beiden Frauen, die mitgemacht haben? Die eine, Gefreite Sabrina Harman, hat einen Vater, der in der Pathologie arbeitet und seinen Kindern am Feierabend Fotos von zerstückelten Leichen zu zeigen pflegte. Die andere, Gefreite Lynndie England, ist ein eher burschikoser Typ und ging zur Army, um sich das Geld für das Studium der Meteorologie zu verdienen. England galt als nettes, patentes Girl, das zuhause noch nie unangenehm aufgefallen war. Sie ist eher typisch für die Art von Frau, die versucht, sich in Männerbünden anzupassen. Und: Sie ist die Braut des Haupttäters Graner.

"Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort", soll sie kurz vor Auffliegen des Skandals am Telefon zu ihrer Mutter gesagt haben. Jetzt ist sie im vierten Monat schwanger und will nach dem Prozess, der sie zusammen mit sechs weiteren erwartet, nach Hause gehen und sich "auf mein Baby freuen". Dass der Vater Sadist Graner ist, scheint sie nicht zu stören.

Der Druck in dem männlichsten aller Männerbünde ist enorm hoch für die seit einigen Jahren eindringenden Frauen. Entweder diese Frauen "vermännlichen" sich, wie England, oder sie bleiben sichtbar Frauen und laufen verstärkt Gefahr, selber Opfer zu werden. Die Vergewaltigungsraten innerhalb der US-Army steigen seit dem Eintritt der Frauen kontinuierlich. Das ist in anderen Armeen nicht anders.

Und Hauptakteur Charles Graner? Er scheint der in der Wolle gewaschene Sadist in der Truppe gewesen zu sein. Der Gefängniswärter hatte sich schon zuhause im Frieden einschlägig profiliert, sowohl seinen Gefangenen wie seiner Ex-Frau gegenüber, die sich wegen seiner Gewalt von ihm scheiden ließ. Für einen wie ihn ist der rechtlose Zustand des Krieges ein gefundenes Fressen. Und wenn dann noch von oben die Order zum Foltern dazu kommt - wie es in der US-Army im Irak ja offensichtlich der Fall war - dann eröffnet das so einem ungeahnte Möglichkeiten. Aber Sadisten wie Graner sind in der Minderheit, auch in der US-Army. Die Mehrheit macht mit, weil Gelegenheit Diebe macht, es zum guten Ton gehört, ein gewisser Gruppendruck herrscht. Und weil Folter jedem Krieg immanent ist.

Der Krieg der Amerikaner im Irak ist weder ein Verteidigungskrieg, noch ein rechtlich legitimierter Angriffskrieg, im Gegenteil: Er verstößt grob gegen das internationale Völkerrecht. Warum also sollten seine SoldatInnen, die ja selbsternannte HerrInnen über Leben und Tod sind, sich an das Recht halten? Um einen solchen Krieg dem eigenen Volk schmackhaft zu machen, muss der Gegner zunächst enthumanisiert und dämonisiert werden. Beides ist im Vorlauf des Irak-Krieges im Übermaß geschehen. Das Bush-Regime ist nicht gegen Menschen aufmarschiert, sondern gegen Teufel. Es wäre naiv, unter solchen Vorzeichen von der siegenden Truppe Einfühlsamkeit und Menschlichkeit gegenüber dem besiegten Volk zu erwarten. Denn die sind ja verachtenswerte Gegner, denen die Gerechten das Heil bringen. Oder auch das Unheil. Ganz nach Laune.

Doch wer sich im Jahr 2004 Sorgen macht um die "Unweiblichkeit" der Frauen, die an solchen Kriegen beteiligt sind, kann beruhigt werden: Noch sind diese Frauen Lichtjahre entfernt von einer wirklichen Gleichberechtigung und damit Gleichheit in der Armee. Nur der Starke kann zum triumphalen Täter werden, die Frauen aber sind noch schwach.

Artikel teilen
 
Zur Startseite