Männerbund Stasi

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Das "Ministerium für Staatssicherheit" der DDR, allgemein als "Stasi" bekannt, war in den Hochzeiten seiner Macht ein Geheimbund von besonderer Anziehungskraft - vor allem für Männer. Denn die Stasi führte den Geheimkrieg um den Sieg des Sozialismus allein.
Die Stasi konnte sich verstehen als die eigentliche revolutionäre Garde, keine Hilfstruppe, sondern eine Eliteeinheit, von der Sieg oder Niederlage des DDR-Sozialismus abhing. Diese weltrevolutionäre Mission, die in den Lehrbüchern der Arbeiterklasse und ihrer Partei zugeschrieben wurde, ruhte auf ihren breiten Schultern und machte sie übermächtig.
Telefon, Auto, Wohnung, Studium, guter Posten im Berufsleben - all dies konnte die Stasi rasch und sicher verschaffen - und außer ihr eben niemand. Sie hatte alles in ihrer Hand, was das Land zu bieten hatte, konnte verweigern oder zuteil werden lassen, was stete Mangelware war, einschließlich exklusiver Gehälter, Einkaufsund Urlaubsmöglichkeiten. Sie hatte alle Mittel, zu erpressen und zu bestechen und für den Notfall die Drohung mit dem Stasi-Knast bei der Hand. Dabei unterlag sie keinerlei öffentlicher Kontrolle und keinen zivilen Rechtsnormen.
Dieses Dunkel, gepaart mit beinahe unbeschränkter Macht, hatte durch aus auch eine erotische Komponente - gerade für jene Art von Männern, die den Geheimbund suchten, um sich stark und sicher zu fühlen. Wer bei der Stasi war, hatte seine besonderen Möglichkeiten, mit dem anderen Geschlecht umzuspringen, sein Männer-Mütchen an ihm zu kühlen - und reichlich Gelegenheit, mit dem eigenen Geschlecht zu verkehren. Aber zunächst das Kapitel: die Stasi und die Frauen.
Beispiel l: Einer jungen Zeichen-Lehrerin wird unter dem Vorwand, sie plane, die DDR zu verlassen, von der Volkspolizei der Ausweis abgenommen . Wenig später kommt ein Herr in ihre Wohnung, erzählt, er habe eine Siebdruckerei (Vorsicht vor Leuten, die etwas drucken dürfen!) und bietet ihr Aufträge für Druckvorlagen an. Er gibt sich sehr großzügig, lässt einen hohen Vorschuss da, lädt sie zum Essenein. Man schläft miteinander.
Man fährt dann öfter zusammen in die Interhotels, und merkwürdigerweise sind zufällig gerade "BRD-Bürger" dort zu Gast, mit denen sich zu unterhalten der großzügige Herr der - immer noch ahnungslosen - Lehrerin nahe legt. Sie erwacht erst, als er sie nach Leipzig gebracht hat, um sie einer zwielichtigen "Dame" vorzustellen, die sie einkleiden und ihr ein Zimmer besorgen soll, wo sie ausgesuchte Messegäste empfangen kann.
Jetzt erst stellt sie Fragen und erfährt, dass sie sich als "geeignet" erwiesen habe und ihren Ausweis natürlich umgehend zurückbekommen könne, wenn ... Die junge Frau flieht in ihre Wohnung und wird dort täglich von Besuchen - nun auch anderer netter Herren -, von Anrufen (Vorsicht vor Leuten, die einem ein Telefon besorgen können!) und allerart mysteriösen Zwischenfällen heimgesucht.
Eines Tages ist die Wohnung verwüstet, die Wände sind mit obszönen Sprüchen und Zeichnungen bedeckt. Natürlich findet die Polizei keine Spuren. Bald darauf hält man ihr Akt-Fotos vor, die ihr Freund gemacht hat, und die bei dem Einbruch verschwunden sind: Sie habe die Absicht gehabt, die Fotos zu verkaufen, leugnen wäre zwecklos ... Sie verlässt ihre Wohnung, um unterzutauchen, um sich als Tramperin mit wechselnder "Bleibe" den unnachgiebigen Herren zu entziehen. Wenig später ist sie reif für die Psychiatrie.
Beispiel 2: Eine junge Genossin hat eben ihr Philosophiestudium beendet und einen Band mit Gedichten bei einem knallroten DDR-Verlag untergebracht; diese Gedichte zeugen, wie sie selbst später sagt, von ihrer einstigen naiven Sozialismus-Gläubigkeit.
Kurz vor dem Erscheinungstermin des Bandes kommen zwei Herren zu ihr, die sich als Mitarbeiter der Staatssicherheit vorstellen und mit ihr über ihre beruflichen und politischen Perspektiven reden wollen. Sie schlagen ihr vor - da sie ja nun als Dichterin Zugang zu Künstlerkreisen habe -, gelegentlich mit ihr "Kaffee zu trinken" und über dies und das zu plaudern, was von Interesse für die Behörden sei. Sie rechnen so fest mit ihrer Zusage, dass sie noch dreimal kommen und sich abschlägigen Bescheid holen, bevor sie aufgeben - nicht ohne eine Drohung zu hinterlassen: "Sie glauben doch nicht, dass Sie hier ohne uns etwas werden können." Die Dichterin nimmt's als albernen Wutanfall beleidigter Beamter, womit sie das Kapitel für abgeschlossen hält.
Nun ruft der Verlagsdirektor an, ihr Buch könne aus technischen Gründen nicht erscheinen; sie glaubt's. Viel später erfährt sie, dass die längst gedruckten Bände im Verlagskeller verschimmeln. Von nun an beginnt ihr schöner Glaube zu bröckeln. Bis man ihr schließlich auf dem Treppenflur auflauern und sie ohrfeigen wird, auf dass sie endlich begreife: Man will sie als Dichterin nicht haben, man will sie nun überhaupt nicht mehr haben, nachdem sie ihr Buch mit Tonbandprotokollen im Westen veröffentlicht hat. Man lässt sie plötzlich reisen; sie flieht nach Amerika - "in der Bundesrepublik bin ich nicht weit genug weg" - und alpträumt von Ost-Berliner Treppenfluren.
Zwei authentische Geschichten von Stasi-Opfern der eher alltäglichen, jedenfalls unspektakulären Art; es gibt andere. Immerhin illustrieren die Bespiele ein wichtiges Charakteristikum der ehemaligen Behörde: Sie ist ein Brennpunkt der Virilität in einer entmannten Gesellschaft. Hier können sich all jene männlichen Antriebe austoben, die in der sozialistischen Planwirtschaft ansonsten brachliegen würden.
Hier - und beinahe nur hier - kann Mann etwas unternehmen, hier kann Mann etwas wagen und riskieren und erleben, hier gibt es wirkliche Strapazen, wirkliches Grauen, das entgolten wird durch handgreifliche Macht über Menschen. Die Stasi gibt der enthemmten Männerseele Nahrung. So, wie die Westmänner einander wirtschaftlich "in den Griff bekommen", so hat die Stasi ihr eingeschüchtertes Volk im Griff.
Die Ehre eines Geheimbundes, Rache gegen Verräter, heilige Verschworenheit, Schicksalsgemeinschaft - so viel Wilder Westen ließ sich mit einiger Phantasie im Dienste der DDR-Sicherheit erleben. Überhaupt: ein Schicksal, eine Lebensdimension, die im eher kleinkarierten sozialistischen Alltag die große Ausnahme war, eine Art Krieg im Frieden, obendrein ohne das Risiko, dabei draufzugehen. Selbst Schicksal spielen für andere, die den Armen und Fingern der Geheim-Macht zum Spielzeug wurden, aber auch: ein Schicksal erleiden, sich mit Schuld plagen, mit Skrupeln, den eigenen Abgründen gründlich zu begegnen - auch dies war ein Privileg der Geheimdienstler ...
Wo schon nicht im Hellen, Produktiven, so ließ sich bei der Behörde doch im Dunkeln, Destruktiven dem Leben einiges abgewinnen, da war dann natürlich auch Masochismus im Spiel, Lust an der eigenen Schlechtigkeit, deren Gebot es ist, das Liebste zu verraten, zu zerstören, zu vertreiben. In der Behörde wimmelte es von Männern, deren ungelebte produktive Energien zu einer traurigkomischen Schlechtigkeit verkommen sind.
Und der Stasi und die Männer? Hier ein Beispiel: Der junge Mann aus der DDR, der am 12. November 1987 die Frankfurter Oper anzündete, und über dessen Motiv das Gericht und die Presse lange und vergeblich rätselten (er selbst gab vor Gericht immer wieder zum Besten, ihm sei die eigene Tat völlig rätselhaft), vertraute mir eine beinahe unglaubliche Stasi-Story an.
Ich besuchte Michael W. wenige Tage nach seiner Verurteilung zu sieben Jahren Haft in der Vollzugsanstalt Schwalmstadt. Hier erzählte er mir, dass er genau dies - eine langjährige Haftstrafe - mit der Brandstiftung bezweckt habe, um seinen gegnerischen Verfolgern zu entkommen. Er sei von der Stasi beauftragt, eine militärische Untergrundorganisation mit aufzubauen, eine Terrorgruppe, die der Bundesrepublik empfindliche Schläge versetzen könne. Dafür habe er Tamilen angeheuert, die ihrer Nationalitätenkonflikte wegen unverdächtig seien, einen so "naheliegenden" Auftraggeber zu haben.
Den ersten Kontakt habe er im Ostberliner Gefängnis Rummelsburg geknüpft, als Mitgefangener getarnt. In den Tamilen Bibu habe er sich verliebt, der aber habe ihn "verraten", als er ihn später bei den "Tamil-Tigers" in Sri Lanka aufsuchte. Er habe ihn "hinrichten" müssen; nun verfolgten ihn Bibus Rächer, vor denen er in den sicheren Knast geflohen sei.
Weshalb nicht zurück in die DDR? Diesen Vorschlag weist Michael W. weit von sich. Denn es sei schließlich ein ehernes Prinzip: Nie die Spur ins eigene Nest zu legen.
Egal, was an dieser - mit vielen glaubhaften Details ausgeschmückten - Geschichte wahr und was erfunden ist: W.s Erzählungen und seine Briefe aus dem Strafvollzug geben ein Paradebeispiel jener unheilvollen Verquickungen spätpubertärer, männerbündlerischer, gewaltverbrecherischer, sexualneurotischer Phantasien, die zu einem gewissen Maße wohl bei jedem Stasi-Mann im Spiele waren.
Gemeint ist zum Beispiel die Art, wie W. von jenem großen Geheimnisvollen erzählt, der sein Lehrer war, in mancherlei Hinsicht. Hier lernte er Wagner lieben, hier keimten seine homosexuellen Neigungen, hier wurde er in die höheren Weihen des "Systems" eingeführt, von dem er später aus dem Gefängnis berichtet: "Ja, mein kleiner Spatz, ich habe etwas aufgebaut, in das man ohne meine Genehmigung nie eindringen kann. Es ist etwas, das man nicht lahm legen, unterbinden oder gar abbrechen kann; es ist ein System, das sich durch unendlich viele Sicherungen schützt, die auf den leisesten Verdacht von Feigheit, Faulheit, Betrug und Lüge reagieren und bei Bedarf jedes menschliche Hindernis aus dem Weg räumen ..."
Gemeint ist eine bestimmte "schwüle" Mentalität von Männern, zu der auch die folgende, von W. erzählte Geschichte passt: Einmal, als er längst bei der "Truppe" gewesen sei, habe es ein anderer gewagt, ihm sein Mädchen zum Tanz zu entführen, woraufhin er mit den "Jungs" angerückt sei, um den Nebenbuhler zu entkleiden und ihn nackt und gefesselt auf den Bahnhofsplatz zu setzen ...
Stasi-Männer sind also solche, die von Staatswegen dazu legitimiert waren, ihre perversen, sexuellen und Macht-Phantasien Wirklichkeit werden zu lassen. Im Dienste der Arbeiterklasse, versteht sich.

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