Her mit den Piratinnen!

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An die Sache mit dem Geld haben sich Frauen in Deutschland ja schon fast gewöhnt. Schließlich kommt jedes Jahr von neuem die Statistik, die ihnen attestiert, dass sie bei Gehaltsverhandlungen und Berufswahl nichts dazugelernt haben: Der Unterschied zwischen Männer- und Fraueneinkommen liegt stabil bei 23 Prozent. Wird schon noch, denkt sich dann so manche Lohnempfängerin, und klärt eigene oder fremde Töchter vorsorglich über Gewinnerprofessionen auf.

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Und dann schafft es eine Partei ins Berliner Abgeordnetenhaus, deren Fraktion aus 14 Männern besteht – und einer Frau. Schlimmer: Ausgerechnet diese Piratenpartei, deren Name Mütter allenfalls an Vorlesestunden mit „Jim Knopf und die Wilde 13“ erinnert, wird allerorten als frische gesellschaftliche Kraft gefeiert. Sie verkörpere das Bedürfnis der Menschen nach Transparenz und Bürgerbeteiligung, heißt es. Eine Transparenz, die es Männern erlaubt, ganz offen die Ära des Postfeminismus auszurufen, ob selbstbewusst oder verklemmt sei mal dahingestellt. „Für uns ist diese Unterscheidung zwischen Frauen und Männern nicht mehr zeitgemäß, da wir jeden Menschen abseits von seinem Geschlechtsmerkmal als gleichwertig ansehen“, argumentieren sie. Einfacher lassen sich vier Jahrzehnte Kampf um Gleichberechtigung nicht für erledigt erklären. Erledigt im Sinne von: mausetot.

Nun kann es sein, dass sich die Piraten von selbst erledigen, wie schon so manche Protestpartei, die an den Mühen der politischen Detailarbeit gescheitert ist. Für Frauen sollte das trotzdem ein Weckruf sein. Gibt es hier einen zunehmend wichtigen Teil der Welt, in dem die Bewohnerinnen wieder Randfiguren werden? Gehört die Zukunft den Nerds, also den technikverliebten Eigenbrötlern? Verschlafen Frauen gar die digitale Revolution?

Schreiben Männer in der Tradition von Jahrhunderten auch dieses Stück Technikgeschichte weitgehend alleine, hätte das Folgen auf Jahrzehnte hinaus. Denn mit dem Erfolg von Informationstechnologie und Internet, die bald fast alle Lebensbereiche durchdringen, wird der Himmel, von dem Frauen immer die Hälfte haben wollten, gerade wieder neu aufgeteilt. Es geht um Geld, Macht und Einfluss in ihren Wechselwirkungen. Es geht auch um Mitbestimmung: Internet-Kampagnen in der Bürgerbeteiligung, Blogging und Online-Abstimmungen in Wahlkämpfen – noch ist das Ausmaß nicht absehbar, das digitale Kanäle in der politischen Meinungsbildung und Mobilisierung bekommen könnten. Und leider gilt: Frauen bewegen sich in der digitalen Welt, aber sie formen sie nicht.

Verschlafen Frauen gar die digitale Revolution?

In der Nutzung digitaler Medien sind Frauen und Mädchen mittlerweile echte Cracks. In den sozialen Netzwerken, der Plauderei im Internet also, haben sie das andere Geschlecht überholt. Nach Zahlen des IT-Verbands Bitkom vom August sind unter Internetnutzern 74 Prozent der Männer Mitglied in mindestens einer Online-Community, aber 80 Prozent der Frauen. Auch unter Bloggern gibt es erfolgreiche Frauen, rechnet man Mode und Promi-Kommentatorinnen mit ein, sogar viele. Auf dem deutschen Social-Media-Kongress Re:publica hielten Frauen immerhin ein Drittel aller Reden, sagt Tanja Häusler, Mitorganisatorin und Geschäftsführerin des Berliner Blogs Spreeblick. Sie räumt allerdings ein: „Die männlichen Blogs sind lauter.“ Tatsächlich ist gerade die Außenwirkung der aggressiven, professoralen Wortbeiträge von Männern groß. Virtuelle Plätze unterscheiden sich kaum von gepflasterten.

Darüber sollten Frauen nachdenken, denn hier geht es um Definitionsmacht. Die Wissensbildung im Internet etwa ist schon Männerterrain. Bei Wikipedia, dem von Nutzern gespeisten Online-Lexikon, stammen auf der englischsprachigen Seite 87 Prozent der Einträge von Männern, in Deutschland mehr als 90 Prozent. Die Wikipedia-Stiftung hat das Problem erkannt. Sie will den Frauenanteil bis 2015 auf 25 Prozent bringen.

Auch in der Informationstechnologie treffen Frauen wenig Gleichgesinnte. Vom einsamen Hacker über die Garagenfirma bis hin zum milliardenschweren Technologiekonzern – alles Männerbastionen. Männer haben federführend das iPhone entwickelt, obwohl man meinen könnte, es sei das perfekte Frauenprodukt: Kein Nutzer muss sich mit technischen Details herumärgern, es ist Mittel zum Zweck und schick dazu. Auch hinter Facebook, dem öffentlichsten Kaffeekränzchen der Welt und Lebensbegleiter der nachwachsenden Generationen, stecken in erster Linie Männer.

In dem Film „The Social Network“, der den Aufstieg des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg abbilden soll, verteilt Zuckerberg in einer Szene in seiner jungen Firma Posten – einer Firma übrigens, die aus einer illegalen Website entstand, auf der Harvard-Studenten den Sexappeal von Kommilitoninnen bewerten konnten. Zuckerberg macht seine Kumpels zum Finanzchef, zum Chefprogrammierer, zum Marketingchef. „Können wir auch irgendwas tun?“, fragen zwei Frauen, die als Groupies dabeisitzen. „Nein!“, sagt der Film-Zuckerberg.

Es macht nachdenklich, dass das Interesse von Mädchen und Frauen an der Informationstechnologie sogar abgenommen hat. In der Informatik sind derzeit deutschlandweit 18 Prozent aller Erstsemester junge Frauen. Der Anteil weiblicher Auszubildender in IT-Berufen ist auf unter zehn Prozent gefallen. Da stimme „die Verkaufe“ nicht, sagt Prof. Barbara Schwarze, die seit Jahrzehnten in Gremien für Frauen in Technologieberufen kämpft. Das Bild „junger Mann vor Schaltschrank“ schrecke Mädchen ab. Dem IT-Verband Bitkom ist erst im Frühjahr dieses Jahres aufgefallen, dass der Frauenmangel überhaupt ein Problem sein könnte – der fehlenden Fachkräfte wegen. Jetzt gibt es eine Task Force. Zweimal hat sie sich bislang getroffen.

In Deutschland gibt es zwar zahllose Initiativen, um Mädchen für Technik zu entflammen. Und dass Mint kein Pfefferminzbonbon ist, sondern für „Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik“ steht, weiß auch schon die eine oder andere. Während aber in der Mathematik jeder zweite Studienanfänger weiblich ist, lehnen viele Frauen gerade die Informatik ab. Nicht, weil ihnen die Arbeit keinen Spaß macht, wenn sie diese denn einmal ausprobieren. Sondern weil sie sich scheuen, von Männern umringt zu sein, „die im Computer wohnen“, wie dies die Informatik-Professorin Sissi Closs formuliert. Viele Mädchen erleben den Nerd als eher langweiligen, ein bisschen kontaktgestörten Typen, der bis spät in die Nacht vor dem Bildschirm sitzt – auch wenn er nicht mehr Gesundheitslatschen, sondern piratisch-korrekt Kapuzenpulli trägt.

Männlich, gebildet, unter 30, oft arbeitslos, so das Profil des typischen Piratenwählers.

Der Unterschied ist nur: Früher hätte so einer Briefmarken gesammelt oder Züge der Bundesbahn katalogisiert, heute hingegen zieht der eine oder andere in Weltkonzernen die Fäden, neuerdings – siehe Piraten – auch in politischen Parteien. Viele Frauen haben keine Lust auf diese Männerwelt. Auch weil sie spüren, dass sie dort unerwünscht sind. „Wenn Sie einmal gelesen haben, was es im Internet für Kommentare von Männern gibt, wenn wir um Frauen in bestimmten Informatikfeldern werben, dann ignorieren Sie die das nächste Mal lieber“, sagt die Soziologin Schwarze. Hinter Postfeminismus verbirgt sich auch Frauenhass.

Tatsächlich waren es angry young men, die in Berlin überdurchschnittlich für die Piraten gestimmt haben. Männlich, gebildet, unter 30, oft arbeitslos, so das Profil des typischen Piratenwählers. Freiheit im Netz und anderswo, totale Transparenz, so das Programm. Während die Grünen mit ihrer Sorge um die Natur einst gerade bei Müttern ankamen, die SPD bei Frauen in sozialen Berufen punktet, sich die Union die wachsende Klientel von Frauen an den Schaltstellen mittelständischer Betriebe zunutze macht, gibt es nicht viele Piratenslogans, die speziell Frauen anziehen. Freiheit und Mitbestimmung jederzeit und überall – aber nur, solange man Lust hat? Frauen wissen, dass das Leben oft mehr Verantwortung als Lust für sie bereithält: für die Kinder, den Job, den Haushalt, die Eltern, die Freunde. Für ein Leben in Einheit mit dem Computer fehlt ihnen schlicht die Zeit. Und Unverbindlichkeit ist ihnen ein Gräuel, weil sie die Organisation des Alltags erschwert. Doch wenn aus dem Pirat ein Parlamentarier, aus dem Technikfreak der Angestellte eines IT-Konzerns oder ein Unternehmer mit Personalverantwortung wird, erledigt sich das Problem mit der Unverbindlichkeit meist von selbst.

Es hilft nichts, die Frauen müssen sich trauen! Oder wollen sie im Ernst ein Leben in einer Welt riskieren, deren Strukturen von technik- und detailverliebten, auf totale Transparenz zielenden Nerds geprägt sind? Nein, gerade auch die als typisch weiblich kategorisierten Eigenschaften müssen her, wenn die digitale Welt eine für alle mit Produkten für alle werden soll: für Junge und Alte, für Arme und Reiche, für Frauen und Männer. Darin sind sie doch stark, viele Frauen: Kommunizieren und zuhören, verschiedene Kulturen verstehen, das Fremde akzeptieren. Sie haben oft Einfühlungsvermögen, Mit- und Bauchgefühl, Inspiration und Instinkt. Jeder Software, jeder technischen Entwicklung kommt das zugute. Tausende Informatikerinnen wissen, wie viel Spaß Technik machen kann. Nur leider bleiben viele von ihnen so im Hintergrund wie die weiblichen Parteigängerinnen bei den Piraten.

Zudem geht in der IT-Industrie sogar das besonders gut, was sich viele Frauen vom Job erhoffen: Das Home-Office ist akzeptiert. Teilzeitarbeit klappt, weil Entwicklungsprojekte ohnehin aufgeteilt werden müssen. Wer wissen will, wie es geht, kann zum Beispiel bei Sissi Closs nachfragen, die seit 25 Jahren das IT-Unternehmen Comet in München leitet und den Frauenanteil dort nach eigenem Bekunden mühelos und ungeplant stabil bei 60 Prozent hält. Sie bietet flexible Arbeitszeiten, Teamarbeit, flache Hierarchien, dafür naturgemäß weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Illusionen darf sich natürlich keine Frau machen. Auch in dieser Branche gilt: Wer richtig was werden will, kommt am Vollzeitjob nicht vorbei.

Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und Chefin vom Dienst der Süddeutschen Zeitung. Der Text erschien zuerst in der SZ und ist dem Buch "Die Piratenpartei. Alles klar zum Entern?" entnommen.

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