Alice Schwarzer schreibt

Vor der Kaserne

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Als eines der letzten demokratischen Länder der Welt schließt Deutschland noch immer Frauen vom Dienst an der Waffe aus. Was nicht nur zur Folge hat, dass Frauen in der Bundeswehr keine unbeschränkte Karriere machen können, sondern auch nicht in der Politik. Sie könnten schon rein rechtlich nicht Verteidigungsministerin oder Kanzlerin werden - denn beide hätten die Befehlsgewalt über die Waffen, wovon das weibliche Geschlecht bisher im Namen der "Natur der Frau" ausgeschlossen ist.

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Das soll nun anders werden. Deutschlands Ausschluss der Frauen vom Waffendienst "verstößt gegen die Gleichbehandlung der Geschlechter", befand am 11. Januar der Europäische Gerichtshof. Das finden plötzlich auch der Verteidigungsminister und alle Parteien (außer den Grünen). Dabei waren alle, außer den Liberalen, bisher strikt dagegen gewesen; wenn auch die Front zu bröckeln begann.

Das Argument der "Unweiblichkeit" der Soldatin war bisher den Konservativen vorbehalten, das der "Unemanzipiertheit" führen jetzt die Grünen ins Feld. "Frauen in die Bundeswehr? Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!", dräut der grüne Bundesvorstand: "Mit unseren Vorstellungen von Emanzipation hat dies nichts zu tun. Frauen brauchen eine emanzipierte Gesellschaft ohne Gewalt und Unterdrückung." - Als brauchten Männer die nicht.

Ginge es also nach den ex-pazifistischen, neo-militaristischen Grünen, bliebe Krieg Männersache. Chefsache sozusagen. Dafür haben die Grünen nun das zweite "älteste Gewerbe der Welt" für "emanzipierte Frauen" vorgesehen: das der Prostitution, die für die Grünen ein "Beruf wie jeder andere" ist.

Es ist ein zufälliges aber aufschlussreiches Zusammentreffen, dass die Reformen des Soldatentums und die der Prostitution zur gleichen Zeit diskutiert werden. Dabei plädieren ausgerechnet die Grünen weiter für den Ausschluss von Frauen aus der Armee, aber für die volle Integration der Prostitution in die Gesellschaft. Die Männer in die Kasernen und die Frauen unter die Laternen. Dabei wäre wirkliche Emanzipation das genaue Gegenteil: die Frauen raus aus den Bordellen und gleichberechtigt rein in die Kasernen!

Zur Zeit lässt Verteidigungsminister Scharping einen Plan zur Integration des weiblichen Geschlechts in die Kasernen ausarbeiten (Damentoiletten!). Ab dem l. Januar 2001 wird es dann ernst und der Bund "grundsätzlich in seiner ganzen Vielfalt weiblichen Soldaten offen stehen". Bisher tat er das nur im Sanitätswesen und im Musikkorps, wo zur Zeit 4.300 Soldatinnen Dienst tun (1,3 Prozent der Truppe).

Doch halt, so ganz offen soll die Bundeswehr für die Frauen auch wieder nicht sein. Schon jetzt meldete Scharping "gute Gründe" an, die Frauen auch in Zukunft von "speziellen Bereichen auszunehmen". Dabei denkt er an "Verwendungen, die besondere körperliche Voraussetzungen erfordern, zum Beispiel Kampfschwimmer". - Kampfschwimmer. Ja, können Frauen denn nicht schwimmen? Oder können sie nicht kämpfen? Oder können sie, aufgrund weiblicher Hormone oder anatomischer Eigenheiten, nicht gleichzeitig schwimmen und kämpfen?

Reden wir Tacheles. Hier geht es darum, auf keinen Fall zuzugeben, dass Frauen im Prinzip alles können, was Männer können, im Guten wie im Bösen. Hier soll der kleine Unterschied um jeden Preis gewahrt bleiben. Und hier wollen ein paar letzte kleine, feine Männerbünde frauenfrei bleiben. Die Marine zum Beispiel (Was ist bei den Herren in den schönen Matrosenanzügen eigentlich los, dass sie weltweit Frauen so entschlossen draußen halten wollen?).

Dennoch gibt es eine gewisse Versachlichung der früher hochemotionalisierten Debatte. Vom "zusätzlichen Arbeitsmarkt für Frauen" ist nun die Rede. Das Argument ist richtig, doch geht es um viel mehr. Eine wirkliche Integration von Frauen in die Armee würde das Herz der Männerbünde und den Kern der Geschlechterrollen erschüttern: die Rolle vom Mann als wehrhafter Täter und der Frau als wehrloses Opfer.

Denn der kriegerische Männerbund ist nicht nur machtpolitisch das Herz des Patriarchats wo nichts anderes mehr klappt, wird einmarschiert sondern auch ideologisch gesehen. Er ist identitätsstiftend für die Männlichkeit an sich. Auch darum gehören Frauen in die Armee: um die Geschlechterrollen aufzubrechen und um wirklich teilzuhaben an den Entscheidungen über Krieg und Frieden. Dies logisch zu Ende zu denken, war lange tabu. Nicht nur bei den Männerbünden, sondern auch in so manchen Frauenkreisen, die die Jahrtausende währende Verurteilung von Frauen zur Friedlichkeit leider gründlich verinnerlicht haben. Auch so manche Frauen haben eine fatale Neigung, die männlich-weibliche Arbeitsteilung in Krieg & Frieden - zuhause wie in der Welt - als naturgegeben hinzunehmen.

Doch auch das fängt an zu bröckeln. Die Töchter sehen es schon bedeutend lockerer als ihre Mütter: für sie ist die Bundeswehr einfach ein Arbeitsmarkt wie jeder andere, wo sie so wie ihre Brüder und Freunde Karriere machen können. Dass man - und demnächst auch frau - bei der seit Kosovo "gerechte Kriege" führenden Bundeswehr auch richtig sterben kann, das scheint noch nicht ganz angekommen. Als ich 1979 als Erste öffentlich für einen uneingeschränkten freiwilligen Zugang von Frauen zur Bundeswehr plädierte und übrigens gleichzeitig für die Individuelle Wehrdienstverweigerung da ging ein Aufschrei durch die Nation. Aber "das Flintenweib" hat sich das Denken nicht verbieten lassen, auch wenn es 20 Jahre gedauert hat, bis man dafür nicht mehr abgestraft wird. Denn Gleichberechtigung ist unteilbar.

Selbstverständlich müssen Frauen zu allem Zugang haben, wozu Männer Zugang haben, und dürfen nicht qua Geschlecht ausgeschlossen werden. Wer gegen Armeen und Kriege ist, darf nicht im Namen einer "weiblichen Friedfertigkeit" argumentieren, sondern muss an die Menschlichkeit beider Geschlechter appellieren und Männer vom Antimilitarismus ebenso überzeugen wie Frauen. Das heißt, Männer vor allem. Denn die haben ja bisher auch die Macht, Kriege zu führen.

Ganz und gar tabu scheint heute nur noch die Wehrpflicht für Frauen (angeblich, weil die Abschaffung der Wehrpflicht auch für Männer im Gespräch ist was uns allerdings eine weniger demokratische Berufsarmee bescheren würde). Denken wir also erneut das Verbotene. Wie wäre es mit einer Wehrpflicht für Frauen? Vielleicht würde das ja auch die so bitter notwendige gerechte Teilung der sozialen Pflichten beschleunigen? Oder, besser noch: Sollten nicht Frauen und Männer in Zukunft wählen können zwischen einem Kasernenjahr und einem sozialen Jahr?

Und wo wir gerade bei den Tabus sind: Auch die Prostitution betrifft nicht "nur" die Freier und die Prostituierten. Auch sie ist "identitätsstiftend" für alle Frauen und alle Männer. Auch bei ihr muss es um mehr gehen als nur um soziale Reformen. Das Wichtigste bei der Reform der Prostitutionsgesetze wären Ausstiegshilfen für die Prostituierten - und Strafen für die Freier (siehe das Emma-Dossier in diesem Heft). Denn nicht die Prostituierten, die Freier sind die Wurzel des Übels: Wenn Männer nicht mehr Käufer wären, dann wären Frauen (und Kinder) auch nicht länger Ware.

Jeder dritte deutsche Mann ist heute ein Freier und die anderen könnten es sein. Ihr Freierblick erniedrigt nicht nur die eine Prostituierte, er erniedrigt alle Frauen. Er bleibt nicht aufs Bordell beschränkt, er kriecht auf die Straße, in die Büros, Unis und Schlafzimmer. Männer kaufen Sex und Frauen liefern Sex: Sex für Liebe, Sex für Sicherheit, Sex für Geld. Allein die Existenz der Prostitution macht alle Männer zu (potentiellen) Freiern und alle Frauen zu (potentiellen) Huren.

Aber kann man die Prostitution überhaupt abschaffen? Ist sie nicht das "älteste Gewerbe der Welt"? Nun, auch die Abschaffung der Sklaverei war zu ihrer Zeit unvorstellbar und ist doch Wirklichkeit geworden. Vielleicht werden wir es eines hoffentlich nicht so fernen Tages auch für kaum vorstellbar halten, dass es einmal Männer gab, die sich das Recht nahmen, den Körper und die Seele von Frauen für Geld zu kaufen.

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EMMA Kampagne Frauen beim Militär

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