Femizid: Protest auf dem Reichstag

Frauenprotest auf dem Berliner Reichstag. Foto: Kristina Wolff.
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Viktoria von Heinz ist extra mit ihrer Mutter Heidi aus der bayerischen Provinz angereist. Die beiden gehören zum Zonta-Club Murnau, jenem internationalen Zusammenschluss berufstätiger Frauen, die sich für benachteiligte Frauen einsetzen. Heidi und Viktoria von Heinz sitzen am schön gedeckten Frühstückstisch im Restaurant Käfer auf dem Dach des Berliner Reichstages. Zusammen mit neun anderen Aktivistinnen. Die PR-Expertin Lillemor Mallau aus Berlin, die sich gegen Gewalt an Frauen engagiert, ist ebenso dabei wie Hellen Langhorst, Mitbegründerin von Femen-Deutschland, die nicht zuletzt mit ihrer spektakulären Störaktion beim Finale von Germany's Next Topmodel 2013 für Aufsehen gesorgt hat. Sie alle unterhalten sich gut. Sie sind aber auch ein bisschen nervös. Denn gleich wollen sie eine Protestaktion durchführen, die eigentlich verboten ist.

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Kristina Wolff, Professorin für Event- und Internationales Kongressmanagement, hat die Frauen zusammengeführt. Die 52-Jährige kämpft seit mehr als einem Jahr intensiv gegen Femizide. Die Statistik des Bundeskriminalamtes ergab für 2018 in Deutschland mehr als 114.000 Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen. Alle zwei bis drei Tage endeten sie tödlich. 122 Frauen wurden 2018 von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Die Taten ziehen sich durch alle gesellschaftlichen Milieus. In zwei Drittel der Fälle waren die Täter deutsche Staatsbürger.

Den Entscheidern aufs Dach steigen!

Im Januar 2019 startete Kristina Wolff auf change.org ihre Online-Petition „Stoppt das Töten von Frauen #saveXX“. Darin fordert sie Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) auf, verschärft gegen tödliche Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Mehr als 79.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet. Viel ist seitdem nicht passiert. Noch immer fehlt es beispielsweise an genügend Plätzen in Frauenhäusern. Und das, obwohl die Bundesregierung 2017 die Istanbul-Konvention des Europarates unterzeichnet hat, die die Staaten verpflichtet, mit allen Mitteln Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Wolff kämpft weiter. Im vergangenen November hat sie gemeinsam mit Terre des Femmes und der Berliner Initiave gegen Gewalt an Frauen einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt hingelegt. 50 schwarz gekleidete Frauen und Männer hielten mit blutrot bemalter Händen Plakate in die Höhe, die an die Getöteten erinnerten.

An diesem Frauentag hat Kristina Wolff eine besondere Aktion organisiert – und zwar an den Ort, an dem die politischen Entscheidungen getroffen werden. Draußen, auf dem Dach des Berliner Reichstages, will sie mit den anderen ihre Stimme für all die Frauen erheben, die getötet wurden, weil sie Frauen sind, für all die Frauen, die aufgrund ihres Geschlechtes um ihr Leben fürchten müssen.

Politische Versammlungen sind in der Bannmeile  des Bundestags nur unter besonderen Bedingungen zugelassen. Aber Kristina Wolff und die anderen sehen den juristischen Konsequenzen relativ gelassen entgegen. „Der Architekt Sir Norman Foster hat den Kuppelentwurf doch mit der Idee verkauft, dass das deutsche Volk seinen Politikern und Politikerinnen auf die Finger schauen kann und soll“, sagt Kristina Wolff. „Wir steigen den Verantwortlichen nun im wahrsten Wortsinn aufs Dach.“ Nach dem Frühstück verschwindet die eine oder andere noch mal in der Toilette, kommt mit rot geschminkten Lippen zurück. Rot sind auch die Kleider, Pullover und Hosen, die sie angezogen haben. Kein Zufall. „Rot steht für Alarm, für Gefahr“, sagt Kristina Wolff. Rot steht auch für das Blut der Getöteten.

Stoppt Femizide! Freiheit für alle Frauen!

Und dann verlassen sie das Restaurant, ziehen auf die Plattform. Es ist kühl. Aber das kümmert jetzt keine. Sie schauen, wo die Security-Männer stehen. Sie suchen einen Ort, an dem sie nicht gleich aufgescheucht werden. Sie warten den richtigen Moment ab. Und dann zeigt sich, dass es gut war, die Aktion im Vorfeld ein paar Mal durchgespielt zu haben. „Stoppt Femizide“ steht auf dem Transparent, das sie entfalten, um sich darauf zu stellen. Jede hält ein Plakat in der Hand. „Freedom for all women“, hält eine Frau in die Höhe. Drei Mal rufen sie: „Keine mehr!“ und lassen sich stellvertretend für die Getöteten auf den Boden fallen, bleiben liegen, auch als die Security-Männer brüllen und handgreiflich versuchen, sie zum Aufstehen zu bewegen.

Irgendwann erheben sie sich. Dann kommt auch schon die Polizei, nimmt das große Tranparent an sich, droht mit Konsequenzen. Kristina Wolff und die anderen Frauen sind einfach nur froh, dass alles so geklappt hat – und wieder ein paar Menschen mehr von dem erfahren haben, was bei uns viel zu wenig Raum in der öffentlichen Debatte einnimmt: Dass es für Frauen keinen gefährlicheren Ort als das eigene Zuhause gibt.

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