Friederike Otto: Wetter-Detektivin

Foto: Geraint Lewis
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Ihre Stimme wird weltweit gehört, wenn es um den Klimawandel geht: Die deutsche Physikerin Friederike Otto, Jahrgang 1982, kann extreme Wetter­Ereignisse deuten, kurz nachdem sie pas­siert sind. Das Hochwasser an Ahr und Erft im Juli 2021, so fanden Otto und ihre Kollegen am 23. August heraus, war zwar auch unter heutigen Umständen ein Extremereignis, wie es statistisch gesehen nur alle hundert Jahre vorkommt. Der menschgemachte Klimawandel hat es aber um einen Faktor 2 wahrscheinlicher gemacht.

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Die extreme Hitzewelle im Nordwesten der USA und an der kanadischen Pazifikküste im Juni 2021, bei der Waldbrände eine ganze Kleinstadt zerstörten, wäre dagegen „ohne den Klimawandel nie ­ mals aufgetreten“, so Friederike Otto. Bei der entsprechenden Studie, die bereits am 7. Juli erschien, war sie die Hauptautorin. Steige die mittlere Tem­peratur der Erde jedoch noch weiter – auf 2 Grad mehr als vor Beginn der Industrialisierung – würden der entsprechenden Region alle fünf bis zehn Jahre extreme Hitze und Brände drohen.

So genau und so schnell können Klimaforscher heute eine Wetterkatastrophe statistisch einordnen und die Rolle des Klimawandels als Mitverursacher berechnen. Dass das überhaupt geht, ist zu nicht geringem Teil der jungen Deutschen zu verdanken, die in Potsdam Physik studiert und in Berlin in Phi­losophie promoviert hat. Ab 2011 war sie in verschiedenen Positionen an der Universität Oxford tätig, heute forscht sie am Grantham­Institut für Klimawandel und Umwelt des Imperial College London. Friederike Otto (verheiratet, ein Sohn) hat die „Attributionsforschung“ (so der Fachausdruck) zwar nicht selbst erfunden. Aber: „Ich habe die Geschwindigkeit erhöht, in der wir Antworten geben.“ Die Zeitschrift nature feierte sie dafür als eine der zehn wichtigsten ForscherInnen des Jahres 2021. Titel ihres Porträts: „Die Wetterdetektivin“.

Wie die Wissenschaftler bei ihren Ermittlungen vorgehen, kann Otto einfach erklären: Sie benutzen Klimamodelle, „wie sie auch jeder Wetterdienst benutzt“, und lassen sie viele Male rechnen – etwa einen typischen Juli an der Ahr berechnen. Dasselbe machen sie dann mit Daten, aus denen die Treibhausgase herausgerechnet sind – so als wären nie massenhaft Kohle, Gas und Erdöl verfeuert worden. Sie simulieren damit eine hypothetische Welt, die es nie gegeben hat. Aus dem Vergleich der beiden Simulationen lässt sich der Anteil erschlie­ßen, den der menschgemachte Klimawandel an einem extremen Wetterereignis hat.

„Wer die Ursachen kennt, weiß, wie er handeln muss“, das macht Friederike Otto auch in ihrem Buch „Wütendes Wetter“ deutlich, das 2019 erschienen ist und sich immer noch sehr gut verkauft. „Hält ein Deich einem Jahrtausendereignis nicht stand, zieht das ganz andere Maßnahmen nach sich, als wenn er unter einem häufig zu erwarten­ den Ereignis zusammenbricht. Ebenso fällt die Reaktion anders aus, wenn die Wahrscheinlichkeit für ein Wetter­Ereignis ab­ statt zunimmt.“

Auch die Kosten, die der Klimawandel mit sich bringt, lassen sich dank der Attributionsforschung besser abschätzen als bisher. Und noch etwas ist der Klimadetektivin wichtig: dass die wahren Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. „Firmen wie Exxon, BP und auch RWE haben pseudowissenschaftliche Studien veröffentlicht, haben Klimaleugner für sich sprechen lassen und Zweifel an der seriösen Klimaforschung gesät.“ So sei viel zu lange abgewartet und viel zu spät umgesteuert worden. Nun aber trauen sich immer mehr Geschädigte, diese Firmen zu verklagen. Sie könn­ten in Zukunft dank Attributionsforschung eher Recht bekommen. „Denn mit unseren Daten kön­nen wir die Beweiskette zwischen Ursache und Schaden schließen.“

Für Friederike Otto, die in Kiel in einem sozial­demokratisch geprägten, lese ­ und diskussionsfreudigen Elternhaus aufwuchs (Lieblingsschriftstellerin zur Schulzeit: Virginia Woolf), ist der Klimawandel vor allem bedrohlich, „weil er die soziale Ungleichheit verstärkt“. Damit das nicht so bleibt, setzt sie sich nun vor allem dafür ein, die Attributionsforschung in den armen Regionen der Erde zu stärken und ihre Ergebnisse dort für den Klimaschutz nutzbar zu machen.

JUDITH RAUCH

Weiterlesen: Friederike Otto: Wütendes Wetter (Ullstein, 10.99 €)

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