Die Frau hinter Kabul Luftbrücke

Im Flugzeug in die Freiheit - Theresa Breuer mit geretteten Afghaninnen.
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Als die Taliban am 15. August 2021 in Kabul einmarschierten, saß die Filmemacherin Theresa Breuer in der Sauna irgendwo in Brandenburg. Kurz zuvor hatte sie in Kabul über zwei Jahre einen Film über Bergsteigerinnen gedreht. Ihr erster Gedanke: „Die sind alle in Lebensgefahr! Die müssen raus!“

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Theresa Breuer jagt nach Berlin und berät sich mit einem Freund: Ruben Neugebauer, der die Seenotrettung „Sea­Watch“ mitgegründet hat und weiß, wie man Rettungsaktionen startet. Der kam auf die Idee, ein Flugzeug zu chartern. Er ist selbst Pilot, hat eine Gulfstream mit zwölf Plätzen besorgt und 60.000 Dollar, finanziert durch Spendengelder aus der Seenotrettung.

Aber die Amerikaner lassen in Kabul keine zivilen Maschinen mehr landen. Etwas Größeres muss her: Ein Airbus 320, gechartert in Ägypten. Auch den hat der erfahrene Neugebauer finanziert und erwirkt prompt via Bundeswehr einen NATO Sign Call, also eine militärische Genehmigung zur Landung.

Ich habe miterlebt, wie sich diese Frauen emanzipiert haben

Der Plan ist, die Bergsteigerinnen, das afghanische Filmteam und 200 weitere Menschen in Not am Rollfeld abzuholen und schnellstmöglich wieder zu verschwinden. Doch am Flughafen herrschen Panik und Chaos. Die Menschen auf Breuers Liste sind gar nicht erst in den Flughafen rein ­gekommen. Also organisiert sie einen Konvoi. Erst am allerletzten Tag, in der Nacht vom 28. auf den 29. August schafft es der Konvoi auf das Rollfeld, 189 Men­schen heben im Airbus ab. Mit der letzten Evakuierungs­-Maschine der Briten verlässt Breuer dann selbst das Land und fasst den Entschluss: Wir können diese Menschen nicht im Stich lassen.

Theresa Breuer ist in der Region bestens vernetzt. Seit 2012 berichtet sie aus dem Nahen Osten, machte Reportagen über Opiumbauern im Sinai, war mit palästinensischen Schmugglern im Westjordanland unterwegs. Seit Anfang 2018 lebte sie in Kabul und drehte den Dokumentarfilm über die Bergsteigerinnen.

Der Film war ein heikles Unterfangen, Frauen werden in den Bergen nicht geduldet. Oft wurden sie von Männern verjagt, einmal sogar mit Steinschleudern. „Für mich ist Afghanistan eine der schlimmsten Gesellschaften, in der eine Frau leben kann. Aber ich habe dort auch die mutigsten Kämpferinnen dieser Welt gesehen!“, sagt sie. Gemeinsam in den Bergen haben die Afghaninnen Freiheit gespürt. Breuer: „Ich habe miterlebt, wie sich diese Frauen emanzipiert haben, wie es in ihren Augen geblitzt hat.“

Dem ersten Rettungsflug folgten viele, die „Kabul Luftbrücke“ war geboren. Die Dokumentarfilmerin macht den Job besser als das Militär, schneller, effizienter. Über 1.400 Menschen hat ihre Luftbrücke bisher rausgebracht (Stand 2. 2. 22). Theresa Breuer verhandelt mit Katar über sichere Escorten zum Flughafen, mietet Safe ­Häuser an, erstellt Fluglisten und chartert Maschinen. Jede Mission wird dem Tag aufs Neue angepasst. Evakuiert wird via Nachbarstaaten wie Pakistan oder Tadschikistan.

Kleiner Wermutstropfen: Die „Kabul Luftbrücke“ funktioniert nur für Menschen, die bereits eine Aufnahmezusage für Deutschland haben und die entweder auf der Menschenrechts­ oder der Evaku­ierungsliste des Auswärtigen Amtes stehen. Ganz oben auf Theresas Liste: Richterinnen, Ärztinnen, Journalistinnen, Sportlerinnen.

Ich tue das, weil ich es kann. Und jetzt kann ich damit nicht aufhören

Breuers Wohnung in Berlin ist inzwischen zum Headquarter für die freiwilligen HelferInnen geworden. Einen Menschen zu retten, kostet die Initiative
zwischen 500 (über Land) bzw. 2.000 US-­Dollar (per Flugzeug). Woher kommt das Geld? „Deutsche Unter­nehmerinnen spenden, Privatleute, Organisationen, die sich den Menschen dort verpflichtet fühlen“, sagt Theresa. Die Not ist groß. „Gerade jetzt, wo sich die Lage im Land durch den Winter noch verschärft. Ich habe Frauen gesehen, die ihre letzten Wintersachen gegen Brot für ihre Kinder getauscht haben.“

Aus der 36-jährigen Journalistin, die sich immer als Beobachterin verstand, ist eine Aktivistin gewor­den. Theresa: „Ich tue das, weil ich das kann. Und jetzt kann ich nicht damit aufhören.“

Information: www.kabulluftbruecke.de/spenden

Theresa Breuer arbeitete auch mit bei der Doku von Thilo Mischke "Afghanistan im Griff der Taliban", die als bestes Reportageformat am 28.9. mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde.

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