Fünf Jahre "Nein heißt Nein!"

Foto: Imago/Christian Mang
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Was genau hat sich durch die Reform des Sexualstrafrechts geändert?
Die Reform war ein Paradigmenwechsel. Vor der Reform war es so: Wenn ein Täter eine Frau vergewaltigt hat, war das nur dann strafbar, wenn sie sich für den Täter sichtbar körperlich gewehrt hat. Die Realität, die ich aus meiner langjährigen Beratungsarbeit sehr gut kenne, zeigt aber: Frauen wehren sich häufig nicht so. Und mit der Reform ist der Gesetzgeber der Realität gefolgt.

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Können Sie Beispiele nennen?
Eine Frau hat über Jahre Häusliche Gewalt erlebt. Sie wird von ihrem Mann verprügelt, zwei Stunden später verlangt er Sex mit Sexualpraktiken, die sie nicht will. Sie wehrt sich nicht, weil sie Angst hat, dass er sie wieder schlägt. Ein anderes Beispiel: Eine Frau fällt in Schockstarre, weint und murmelt immer wieder: „Lieber Gott, lass mich hier raus!“ Das galt vor „Nein heißt Nein“ nicht als Vergewaltigung. Seit der Reform ist es ausreichend, dass die Frau ihren Willen bekundet. Verstößt der Täter gegen diesen „erkennbaren Willen“, macht er sich strafbar.

Etta Hallenga berät seit drei Jahrzehnten Frauen, die Opfer von Sexualstrafteten wurden. Foto: Bettina Flitner
Etta Hallenga berät seit drei Jahrzehnten Frauen, die Opfer von Sexualstrafteten wurden. - Foto: Bettina Flitner

Als Vergewaltigung gilt nun auch, wenn das Opfer „nicht zur Willensbildung fähig ist“. Zum Beispiel, wenn eine Frau total betrunken ist.
Richtig. Und auch der Überraschungseffekt ist nun von Gesetz erfasst. Früher war es nicht strafbar, wenn der Täter zum Beispiel der Frau in der Bahn oder in der Disco unter den Rock gegriffen hat. Da konnte sich die Frau gar nicht wehren, weil der Übergriff total überraschend kam. Und nach der Logik des Gesetzes konnte der Täter dann eben nicht wissen, dass das Opfer nicht angefasst werden wollte.

Wie hat sich „Nein heißt Nein“ ausgewirkt?
Die Diskussion, die im Vorfeld der Reform geführt wurde und medial sehr breit gelaufen ist, hat dazu geführt, dass sehr viel mehr Frauen in Erwägung ziehen, eine Anzeige zu machen. Ob sie das dann auch tun, ist nochmal eine andere Frage. Aber ihr Bewusstsein, dass ihnen Unrecht getan wurde, ist gestiegen. 

Von GegnerInnen der Reform wurde ja behauptet, die Zahl der Anzeigen würden explosionsartig steigen. Zeit-Redakteurin Sabine Rückert erklärte zum Beispiel: „Was eine Vergewaltigung ist, entscheidet eine Frau am nächsten Morgen.“
Die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung ist nur leicht gestiegen. Denn die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ ist ja unverändert. Und was sich leider auch nicht geändert hat, sind die Vergewaltigungsmythen: Wollte sie es nicht doch? Sucht sie nur eine Ausrede, um ihrem Mann beizubringen, dass sie fremdgegangen ist? Oder auch: Sie hat keine Verletzungen, dann kann es ja nicht so schlimm gewesen sein! Das ist immer noch in den Köpfen, und deshalb hat sich leider auch in den Gerichten nicht allzu viel geändert. Denn letztlich kommt es bei „Aussage gegen Aussage“ immer noch darauf an, wie das Gericht das Geschehen bewertete und wem es letztlich glaubt.

Frauen müssen nach einer Anzeige ein bis zwei Jahre warten, bis das Verfahren beginnt

Gibt es noch weitere Gründe dafür, dass Frauen nicht anzeigen?
Immer wieder höre ich von Frauen: „Ich will dem nicht das Leben kaputtmachen.“ Und ein ganz entscheidender Grund ist die Verfahrensdauer. Wenn der Beschuldigte nicht in Untersuchungshaft sitzt, kann es ein bis zwei Jahre dauern, bis das Verfahren beginnt. Ich habe gerade eine Klientin, die seit drei Jahren auf den Beginn des Verfahrens wartet. Und in dieser Zeit können die Frauen mit der Tat nicht abschließen. Sie können zwar eine Therapie machen, die sie stabilisiert, aber das Tatgeschehen aufarbeiten können sie nicht, weil das von der Verteidigung als Beeinflussung ausgelegt werden könnte.

Mit der Reform ist auch ein neuer Straftatbestand geschaffen worden: die sexuelle Belästigung. Seither werden jährlich rund 13.000 Fälle angezeigt.

Genau. Da geht es zum Beispiel um Täter, die Frauen an die Brust gefasst haben oder ihnen einen Kuss aufgezwungen haben. Zum Beispiel in Kneipen oder auch auf Betriebsfeiern. Dagegen setzen sich die Frauen jetzt zur Wehr. Zu mir in die Beratung kommen sie dann, wenn es zum Beispiel darum geht, wie der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin damit umgeht. Oder wenn durch die sexuelle Belästigung alte, manchmal noch schlimmere Erlebnisse hochkommen. Gerade hatte ich eine Frau, die gesagt hat: „Früher habe ich mich nicht gewehrt, aber jetzt gehe ich zur Polizei!“ 

Etta Hallenga von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf war eine der Diskutantinnen beim Panel "Recht & Gerechtigkeit" auf der Veranstaltung "50 Jahre Frauenbewegung" des FrauenMediaTurm am 11./12. September in Köln. Hier die Aufzeichnung:

 

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