Gegrüßet seist du, Maria 2.0

Lisa Kötter, Initiatiorin von Maria 2.0: "Ich kann so nicht weitermachen!" - Foto: Friso Gentsch
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Frau Kötter, warum haben Sie Maria 2.0 initiiert?
Lisa Kötter Wir hatten in unserer Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster einen Lesekreis, in dem wir einmal im Monat die Schriften von Papst Franziskus gelesen haben. Und am Morgen unseres Treffens im Januar 2019 hatte ich die TV-Dokumentation „Das Schweigen der Hirten“ gesehen. Da geht es um sexualisierte Gewalt. Die Straftäter werden von der Kirche einfach in andere Städte oder Kontinente versetzt, die sogenannte „geografische Lösung“. Ich wusste natürlich, dass es in der katholischen Kirche unglaublich viel Machtmissbrauch gibt. Jetzt brach das aber auf: Dass es nicht nur Zehntausende Einzelfälle gibt, sondern ein hierarchisches, männerbündisches und völlig intransparentes System, das Täter deckt und Taten begünstigt. Ich hatte also morgens diesen Film gesehen und habe abends gesagt: Ich kann nicht mehr so weitermachen!

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Und wie haben die Frauen im Lesekreis reagiert?
Kötter Wir haben an diesem Abend sehr viel geredet und auch geweint. Und dann ging alles ganz schnell. Im Nu war der Name Maria 2.0 da, wir haben zum Kirchenstreik aufgerufen und einen Offenen Brief an den Papst geschrieben. In diesem Brief haben wir das Ende der Vertuschung gefordert und dass die Kirche uneingeschränkt mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren muss. Außerdem wollen wir ein Ende des Pflichtzölibats und eine Sexualmoral, die sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichtet. Und den Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche.

Sie haben dann die Frauen zum Kirchenstreik aufgerufen. Eine Woche lang, vom 11.–18. Mai 2019 haben Tausende Katholikinnen ihre Dienste in den Gemeinden verweigert. Den Brief an den Papst haben 45.000 Menschen unterschrieben. Hatten Sie mit der enormen Resonanz gerechnet?
Kötter Nein. Wir hatten gehofft, dass wir die Frauen in Münster erreichen. Dass es dann im ganzen Land so explodiert ist, das haben wir in unseren kühnsten Träumen nicht erwartet.

Frau Mesrian, wie sind Sie zu Maria 2.0 gekommen?
Maria Mesrian Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen, die aber sehr frei war. Mein Vater hat unter dem Eindruck seiner Kriegserlebnisse Theologie studiert, wurde dann aber Mediziner. Mein extremes Unwohlsein hat sich 2018 eingestellt, als ich gesehen habe, wie in Köln die Kirche Macht ausübt. Das ist ja hier nochmal sehr speziell. Die deutschen Bischöfe wollten, dass gemischt-konfessionelle Paare gemeinsam zur Kommunion gehen dürfen – was ich für selbstverständlich halte. Aber Kardinal Woelki hat das hintertrieben. Und da bin ich an die Decke gegangen. Gerade war die Missbrauchs-Studie der Bischofskonferenz herausgekommen und ich dachte: Ihr steht mit dem Rücken zur Wand und erlaubt euch gleichzeitig, Menschen von diesem Sakrament auszuschließen! Ich war aber allein und fragte mich, was ich tun könnte. Und dann bekam ich eine SMS: „Maria 2.0 – Frauen treten in den Kirchenstreik!“ Und ich dachte: Ja, genau das ist es!

Da hat sich also etwas Bahn gebrochen, was ohnehin schon schwelte.
Mesrian Wir haben alle schon lange dieses Unwohlsein gespürt, dass wir einerseits emanzipierte Frauen sind und andererseits in dieser Kirche nichts zu melden haben. Nach meinem Theologiestudium war mir klar, dass ich in dieser Kirche nie würde arbeiten können, weil ich Chefs haben würde, die einfach deshalb meine Vorgesetzten sind, weil sie Männer sind. Maria 2.0 war ein Befreiungsschlag. Und ich könnte auch nicht mehr in dieser Kirche sein, wenn der nicht passiert wäre.

Wieso haben Sie sich Maria 2.0 genannt?
Kötter Maria ist uns ja als Vorbild auf einen unerreichbaren Sockel gestellt worden. Was sie ist, kann keine Frau auf dieser Welt erreichen: Sie ist Jungfrau und Mutter. Im Januar 2019 haben wir geschrieben: „Frauenlob wird gerne von Kirchenmännern gesungen, die aber allein bestimmen, wo Frauen ihre Talente in der Kirche einbringen dürfen. In ihrer Mitte dulden sie nur eine Frau: Maria. Auf ihrem Sockel. Da steht sie. Und darf nur schweigen. Holen wir sie vom Sockel! In unsere Mitte.“

Dass Maria Jungfrau gewesen sein soll, ist ja inzwischen als Übersetzungsfehler entlarvt.
Kötter Richtig. Sie war eine junge Frau. Und sie muss unglaublich mutig gewesen sein, denn sie stand zu ihrer Schwangerschaft, für die sie hätte gesteinigt werden können.
Mesrian Wir definieren das Bild auch auf Basis von historischen Quellen neu, die besagen, dass Maria in der ersten Gemeinde eine große Rolle gespielt hat. Wie Frauen in den frühen Gemeinden ja überhaupt eine wahnsinnig große Rolle gespielt haben. Das muss man einfach mal geraderücken.
Kötter Überhaupt ist es ja erstaunlich, wie viele Frauen im Neuen Testament erwähnt werden. Jesus ging mit Frauen ja auf Augenhöhe um. Im Nachhinein wurden einige von ihnen dann fälschlicherweise zu Männern gemacht.

Wie viele sind Sie zwei Jahre nach dem Start von Maria 2.0 eigentlich?
Kötter Das können wir nicht so genau sagen. Maria 2.0 ist ja kein Verband, sondern eine Graswurzelbewegung. Es gibt Gruppen in ganz Deutschland. Unser Prinzip ist: „Wer handelt, entscheidet“, und das funktioniert sehr gut. Wir haben einen großen Zulauf auch von älteren und sehr alten Frauen. Das ist sehr bewegend. Da gibt es Berge von Verletzungen. Man muss sich vorstellen: Die Frauen durften früher zum Teil nicht zur Taufe ihrer Kinder, weil sie nach der Geburt noch unrein“ waren. Und wie viele wurden, weil sie ungewollt schwanger waren, in unglückliche Ehen gedrängt. Das kommt jetzt alles hoch.
Mesrian Was wir sagen können: An unserem Sternmarsch am 8. März 2020 zum Kölner Dom haben etwa 1.000 Frauen teilgenommen, an unserer digitalen Demo im Dezember 2020 waren 15.000 Menschen online dabei. Der Offene Brief an den Papst hat 45.000 Unterschriften. Wir haben zwei Standbeine: Die Kirchenpolitik und die Spiritualität, die wir entwickeln und feiern. Wir machen hier in Köln zum Beispiel Gottesdienste, in denen Frauen predigen. Wir sind inzwischen international vernetzt. Wir haben das Catholic Women’s Council mit ins Leben gerufen, in dem rund 30 Frauengruppen aus aller Welt Mitglied sind. Die Zoom-Konferenzen mit indischen oder afrikanischen Theologinnen sind unglaublich bereichernd. Es heißt ja immer, die Katholikinnen in diesen Ländern seien „noch nicht so weit“. Das stimmt nicht! Die sind total feministisch und radikal – da würden unsere Bischöfe Reißaus nehmen! Mit ihnen zusammen planen wir einen feministischen katholischen Kongress.

In welchem Verhältnis steht Maria 2.0 eigentlich zu den organisierten Katholikinnen in der kfd?
Mesrian Wir begreifen uns und die kfd als rechte und linke Hand. Da, wo wir sehr frei sind, hat die kfd die Verbandsstruktur mit ihren Einschränkungen, aber auch ihrer Kraft, personell wie finanziell. Und wir machen ja viele Aktionen gemeinsam, wie zum Beispiel die Menschenkette um den Kölner Dom im September 2019 oder der Sternmarsch am 8. März 2020.

Sie waren als Maria 2.0 eingeladen, am Synodalen Weg teilzunehmen, haben aber abgelehnt. Warum?
Kötter Das hat zwei Gründe. Erstens hatte der damalige Vorsitzende Marx noch vor Beginn des Synodalen Weges zum Thema Frauen in alle Ämter gesagt: Man kann ja über alles reden, aber hinter Johannes Paul II. können wir nicht zurück. Der hatte ja 1997 die Priesterweihe für Frauen kategorisch abgelehnt. Zweitens hätten wir für die Dauer des Synodalen Wegs, der insgesamt zwei Jahre geht, die Füße stillhalten müssen. Wir wären, wie bei Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber, in einer Art Friedenspflicht gewesen. Und das wollten wir nicht.

Sie stoßen also mit Ihrer Forderung nach dem Zugang von Frauen zu allen Ämtern bisher auf taube Bischofsohren.
Mesrian Wir stellen ja auch die Systemfrage. Wir hinterfragen ein System, in dem Macht unkontrolliert ausgeübt wird – von Männern. In dieses hierarchische System sollte eigentlich keine Frau hineingeweiht werden. Es geht um Demokratie und Transparenz.

Aber damit würden die Frauen auf Macht verzichten, die sie noch gar nicht haben.
Mesrian Wir müssen natürlich die Frauen würdigen und respektieren, die diese Berufung spüren. Da es für Männer möglich ist, müssen Frauen natürlich auch Zugang zu geweihten Ämtern haben. Aber da dieses System Missbrauch Vorschub leistet, müssen wir darüber nachdenken, wie wir diese Ämter verstehen. Wir müssen über andere Möglichkeiten des pastoralen Handelns nachdenken. Es gibt viele Alternativen zum Priesteramt. In der Schweiz befasst sich zum Beispiel die Junia-Initiative mit diesen Alternativen. Die Frage ist: Was braucht der Mensch? Und nicht: Was braucht die Hierarchie? Wir müssen uns parallel immer mit diesem Machtsystem auseinandersetzen. Es ist gerade in Köln so klar zu sehen, was unkontrollierte Macht bewirkt. Sie bewirkt Willkür. Und sie reagiert autoritär auf jede Form von Kritik. Und sie fährt gerade eine ganze Kirche vor die Wand.
Kötter Das Priesteramt bleibt eine Überhöhung der Person. Die Frage ist ja: Wer hat euch eigentlich beauftragt, irgendwelche Menschen zu weihen? Ich sehe diesen Auftrag nicht. Jesus hat ihn jedenfalls nicht erteilt, auch wenn es von der römischen Kirche so interpretiert wird.

Was muss Ihrer Meinung nach jetzt in der katholischen Kirche passieren?
Kötter Ich erwarte eine große Erschütterung über den großen Scherbenhaufen, der da liegt. Ich erwarte, dass die Kirche aufhört, die Menschen zu bevormunden und ein Bekenntnis dazu, dass uns die Sexualität von Menschen nichts angeht, solange sie nicht gewalttätig ist und kein Machtmissbrauch stattfindet. Der Gott, an den ich als Christin glaube, ist kein Kontrollfreak. Und wir brauchen auch in dieser Kirche demokratische Strukturen. Zum Beispiel sollten Priester und Priesterinnen gewählt und abgewählt werden können. Das System wird von Angst zusammen gehalten. Wir bekommen viel Post von Menschen, die uns von Missständen berichten. Und die dann bitten, ihren Namen oder gleich den Sachverhalt nicht zu nennen, weil sie für die Kirche arbeiten. Wenn ihr Name bekannt würde, wäre das für sie eine existenzielle Bedrohung.

Was fordern sie zum Umgang mit dem sexuellen Missbrauch?
Mesrian Der Staat müsste die Akten beschlagnahmen, die die Kirche immer noch zurückhält und die Taten von außen ganz objektiv mit einer Art Wahrheitskommission aus Juristen, Historikern und Psychologen aufklären. Die Kirche kann sich nicht selbst den Prozess machen. Wir sehen gerade wieder in Köln: Das scheitert phänomenal! Und es scheitert auf dem Rücken von Betroffenen. Wir reden über Clans in Berlin, aber wir haben hier selbst eine Paralleljustiz. Der Rücktritt eines Woelki nützt uns nichts, wenn man nicht das ganze System in Frage stellt, das das alles begünstigt.
Kötter An die offizielle Zahl der Verbrechen, der Straftäter und der Betroffenen kann man ja mindestens zwei Nullen dranhängen. Viele melden sich gar nicht, aus verschiedensten nachvollziehbaren Gründen. Zum Beispiel, weil sie damit bereits übelste Erfahrungen gemacht haben oder weil sie wissen, dass die Kirche gleich mit Kanonen zurückschösse, vor allem, wenn hohe Würdenträger involviert wären. Sei es als Täter oder Vertuscher.

Sie beide kritisieren die katholische Kirche so fundamental, dass die Frage naheliegt: Was hält Sie überhaupt in dieser Kirche?
Kötter Vor dem Start von Maria 2.0 habe ich immer gesagt: Die katholische Kirche ist meine Heimat, die lasse ich mir nicht wegnehmen. Ich habe aber in den letzten zwei Jahren sehr viele Menschen kennengelernt und viel erfahren, das mein Heimatgefühl erkalten lässt. Und inzwischen frage ich mich sogar, ob ich aus Gewissensgründen nicht gehen muss.
Mesrian Ich bleibe, weil ich merke, dass ich als Mitglied der Kirche ein größeres Gewicht und eine stärkere Stimme habe. Und weil ich in der internationalen Vernetzung mit Frauen merke, wie wichtig wir für diese Frauen sind und wie wir sie inspirieren. Deshalb trete ich nicht aus, sondern lege weiter den Finger in die Wunde.

Das Interview führte Chantal Louis.

WEITERLESEN: Lisa Kötter: Schweigen war gestern. Maria 2.0 – Der Aufstand der Frauen in der katholischen Kirche (Droemer Knaur)

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