Deutschland auf dem Kriegspfad?
Es waren die Kriegserklärungen Deutschlands an Russland am 1. August 1914 und zwei Tage später an Frankreich, mit denen ein lokaler Konflikt auf dem Balkan zum Ersten Weltkrieg eskalierte. Und es war die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai 1945, mit der der Zweite Weltkrieg in Europa beendet wurde. Die Rolle Deutschlands war damals vom Großmachtstreben und der Überzeugung geprägt, Kriege für sich entscheiden zu können.
Die daraus resultierende Selbstüberschätzung führte bis hin zu einem mörderischen Rassenwahn, dem Millionen Zivilisten – Juden, Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainer, Roma und andere als angeblich minderwertig angesehene Menschengruppen – zum Opfer fielen. Die UN-Charta wollte ein solches Inferno für alle Zukunft verhindern. Deutsche Regierungen – auch die heutige – sollten sich daher dem Friedensgebot der UN-Charta in besonderem Maße verpflichtet fühlen. Doch scheint dies nicht der Fall zu sein. Wenn man sich die Aussagen der aktuellen Bundesregierung anhört, bekommt man den Eindruck, dass sich Deutschland wieder einmal auf dem Kriegspfad befindet. Das Klima ist von einer wahren Kriegshysterie und dem Hass gegen Russland erfüllt. Der Eindruck einer Erbfeindschaft wird suggeriert, „Russland wird immer unser Feind sein“, so der deutsche Außenminister Wadephul. Putin ist einer der „schwersten Kriegsverbrecher unserer Zeit“, so Bundeskanzler Merz. Und der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter fordert, den "Spannungsfall" zu erklären, was eine direkte Wehrpflicht nach sich ziehen würde.
Warum haben deutsche Politiker so wenig aus der Geschichte gelernt?
Hier soll keineswegs ein Vergleich des heutigen Deutschland mit dem NS-Regime gezogen werden. Und doch zeigen sich im Handeln der Bundesregierung so viele Parallelen zu den beiden Weltkriegen, dass man sich fragen muss, warum deutsche Politiker offenbar so wenig aus unserer Geschichte gelernt haben. Sind ihnen diese Parallelen nicht bewusst? Und sind sie wirklich überzeugt, dass es keine Alternative gibt zu einem Krieg mit Russland? Ist Krieg wieder legitimes Mittel der Konfliktlösung?
In beinahe täglichen Appellen werden wir von der Bundesregierung und den etablierten Medien auf einen Krieg mit Russland vorbereitet. Und in diesem Krieg ginge es dann wieder einmal um die Ukraine – genau wie bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Hätte man nicht wenigstens dieses dritte Mal den Konflikt um die Ukraine gemäß der UN-Charta durch Verhandlungen lösen können? Wäre das nicht auch im Interesse der Ukrainer, die unsere Politik mit ihrem Blut bezahlen? Nein, einem Putin könne man nur mit Stärke begegnen, so die Parole – auch wenn das eine Ausweitung des Krieges auf Deutschland bedeuten könnte. Liegt hier bei deutschen politischen Eliten wieder einmal ein Hang zur Gewalt und eine gefährliche Selbstüberschätzung vor?
So sehen wir einen Bundeskanzler, der diesen Kriegsvorbereitungen nun höchste Priorität einräumt. Er rühmt sich für seine „Friedensdiplomatie“, verfolgt aber in Wirklichkeit eine Kriegsdiplomatie, indem er sich mit seinen Kollegen anderer EU-Staaten, dem britischen Premierminister, dem ukrainischen Präsidenten und dem Generalsekretär der NATO ausschließlich darüber berät, wie der Ukrainekrieg doch noch gewonnen werden könne. Einen Vorschlag für Friedensverhandlungen hat er nicht – und mit Russland, wie es eine echte Friedensdiplomatie erfordern würde, spricht er schon gar nicht.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius nennt uns sogar bereits ein Datum: 2029, also in vier Jahren soll der Krieg losgehen. Bis dahin, so appelliert er wiederholt, müsse Deutschland „kriegstüchtig“ sein. Das sind keine leeren Worte. Ein enormes Aufrüstungsprogramm wurde beschlossen, und Maßnahmen wurden ergriffen, um alles ohne große bürokratische Hürden schnellstmöglich umzusetzen. Die fortschreitende Deindustrialisierung Deutschlands wird gar als Chance gesehen, weil durch freiwerdende Kapazitäten Panzerfahrzeuge und anderes Kriegsgerät für den bevorstehenden Krieg produziert werden können.
Das Jahr 2029 wird als angepeilter Kriegsbeginn ausgerufen
Der Plan sieht vor, dass sich die Verteidigungsausgaben bis zum Jahr 2029, also bis zum angepeilten Kriegsbeginn, verdreifachen – auf 153 Milliarden Euro (zum Vergleich: Russlands Verteidigungsausgaben liegen in diesem Jahr bei geschätzten 121 Milliarden Euro.) Deutschland soll wieder die stärkste Armee Europas haben. Auch das hatten wir bereits zweimal zuvor – und es ist nicht gut ausgegangen.
Nun wird auch wieder die Wehrerfassung aller wehrdienstfähigen Männer eingeführt. Noch ist sie freiwillig, doch sobald nötig, soll laut Verteidigungsminister die Wehrpflicht erneut aktiviert werden. Zudem sollen Brücken und Straßen im Schnellverfahren verstärkt werden, um schweren Panzern und Kriegsgerät die Möglichkeit zu geben, ungehindert nach Osten vorrücken zu können. Schüler sollen zunehmend mit Blick auf einen Kriegsdienst erzogen werden. Auch Krankenhäuser sollen umgerüstet werden, um auf einen möglichen Krieg vorbereitet zu sein. Und um die rechte Stimmung zu erzeugen, präsentieren sich der Bundeskanzler und sein Verteidigungsminister in voller Kampfausrüstung auf Panzern, auf Kriegsschiffen und in Kampfflugzeugen.
Um all dies zu finanzieren, hat die neue Bundesregierung erneut Hunderte Millionen Euro an neuen Krediten aufgenommen – man ist geneigt, von Kriegskrediten zu sprechen. Um parlamentarische Mehrheiten zu sichern, wurde das bereits abgewählte Parlament ein weiteres Mal einberufen. CDU/CSU, SPD, die Grünen und FDP stimmten dafür, und die LINKE hat dies durch ihr Verhalten überhaupt erst ermöglicht. Hatten wir nicht auch früher schon eine solche parteiübergreifende Solidarität, um einen Krieg vorzubereiten?
Der Bundeskanzler behauptet, Russland führe bereits Krieg gegen uns
Besonders beunruhigend sind die wiederholten Behauptungen des Bundeskanzlers, wonach Russland bereits einen Krieg gegen uns führe. Das klingt verdächtig nach einem Vorwand, um einen Gegenschlag Deutschlands zu rechtfertigen. Plant der Bundeskanzler einen Präventivkrieg? Wurde nicht im Juni 1941 ähnlich argumentiert, als die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfiel – trotz eines bestehenden Nichtangriffspakts? Immerhin scheint sich Deutschland bereits an einer schleichenden Stationierung von NATO-Truppen in der Ukraine zu beteiligen.
Auch die Nennung des Jahres 2029 als möglicher Kriegsbeginn sollte uns nachdenklich stimmen, denn im Januar jenes Jahres würde die Präsidentschaft Donald Trumps enden. Will man etwa auf einen neuen amerikanischen Präsidenten warten – in der Hoffnung, dass dieser die Kriegspläne der europäischen NATO-Staaten unterstützt?
Dabei wird verschwiegen, dass ein Krieg mit Russland mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in eine nukleare Auseinandersetzung münden würde, wobei dann eh sämtliche Aufrüstungsmaßnahmen und Kriegsvorbereitungen sinnlos wären – denn alles könnte dann schon nach wenigen Stunden vorbei sein. Dass Merz keine Angst vor einem Atomkrieg zu haben scheint, deutet eher auf einen gefährlichen Realitätsverlust des Bundeskanzlers hin.
Sollte eine Regierung nicht alles tun, um einen Krieg zu verhindern?
Sollte eine verantwortungsvolle deutsche Regierung nicht alles daransetzen, einen Krieg zu verhindern, anstatt ihn durch Kriegsvorbereitungen noch zu provozieren? Sie ist dazu übrigens eigentlich durch das Grundgesetz und die UN-Charta verpflichtet. In der betonten die Gründerstaaten, sie seien „fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“.
Strebt das wiedervereinte Deutschland nun erneut nach globaler Größe und militärischer Macht?
Heute spielt Deutschland – ungeachtet aller völkerrechtlichen Bedenken – in den beiden gefährlichsten Kriegen der Gegenwart die Rolle des Waffenlieferanten. Für die Ukraine ist Deutschland im Begriff, nach dem Rückzug der USA, zum größten Waffenlieferanten zu werden. Im Falle Israels ist Deutschland der zweitgrößte Waffenlieferant.
Mit seiner Kriegspolitik befindet sich Deutschland auf gefährlichen Abwegen. Es ist eine Politik, mit der das Land seine Zukunft verspielt. Zunehmend verliert es an internationaler Bedeutung – wirtschaftlich, technologisch und diplomatisch. Eine Zerschlagung der Ukraine würde Deutschland Milliarden Euro kosten, und einen Krieg – selbst einen Kalten Krieg – mit Russland könnte es sich nicht leisten; er könnte den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands bedeuten.
Auch die Überheblichkeit, mit der Deutschland China begegnet, ist Ausdruck unüberlegter Selbstüberschätzung. Wir sollten nicht versuchen, uns wie eine Großmacht zu verhalten, denn wir sind keine – und werden auch keine werden.
Schon bald könnten wir mit unserer Kriegspolitik auch allein dastehen, denn Frankreich und Großbritannien stehen kurz vor dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch mit unvorhersehbaren Konsequenzen auch für Deutschland.
MICHAEL VON DER SCHULENBURG
Dieser Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen E-Book „Nie wieder Krieg – die Charta der Vereinten Nationen“. Hier zum Download!
DEMO FÜR FRIEDEN
Die Initiative „Nie wieder Krieg – die Waffen nieder!“ ruft für den 3. Oktober gemeinsam mit Friedensorganisationen zu einer bundesweiten Demonstration an zwei Orten in Berlin und Stuttgart auf: "Gegen die Hochrüstung. Gegen die Mittelstreckenwaffen. Gegen die innere Militarisierung. Gegen die Bedrohungslüge. Für die Beendigung aller Kriege – insbesondere in der Ukraine und im Mittleren Osten." Mehr zu den Demos hier!