Diese Eva ist Gustav

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Wenn eine Mittzwanzigerin namens Eva, die ihr Abitur mit Elfriede Jelinek und Charles Bukowski bestritten hat, sich Gustav nennt, dann ist zu vermuten, dass sie sich dabei etwas denkt. Als die Wienerin Eva Jantschitsch, die in diversen gemischtgeschlechtlichen "Kollektiven" an ihrem Computer Elektro-Pop komponierte, feststellte, dass man ihren kompositorischen Anteil gemeinhin zu ignorieren pflegte, dachte sie: "Ich beanspruche Subjektstatus, aber fühle mich wieder und wieder auf das Objekthafte zurückgeworfen." Anders gesagt: "Alle spielten Instrumente, jeder von uns komponierte und arrangierte. Ich machte den Fehler, dass ich zusätzlich ab und an sang. Fortan wurde ich plötzlich ausschließlich als Sängerin kommuniziert, während die anderen die Musiker, die Programmierer, die Laptop-Magier waren. Das hat mich dermaßen beleidigt, dass ich beschloss: wenn, dann nur noch alleine Musik zu produzieren." 

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Da Eva Jantschitsch ohnehin der Ansicht war und ist, dass das "Geschlecht konstruiert ist", man also "die Behauptung 'Mann' und 'Frau' nicht zulassen sollte" und dass sie als Frau auf der Bühne ohnehin "nur ein Konzept" ist, lag es nahe, dieses Konzept in ihrem Sinne zu verändern. Der Name Gustav bot sich an, denn Eva hatte damit frühe Erfahrungen: Sie war der dritte und letzte Versuch ihrer Eltern gewesen, einen männlichen Nachfolger zu zeugen. "Mein Vater nannte mich nach der Enttäuschung in der Gebärklinik zwei Jahre lang Gustav. Gustav – der Sohn, den er nie hatte. Erzogen worden bin ich dann aber trotzdem in Röcken." 

Zur musikalischen Erziehung von Gustav/Eva gehört der Geigenunterricht, später kommt das Klavier hinzu. Mit 16 gründet Eva, die in Graz aufwächst, ihre erste Band. Sie heißt EKG, und die drei Buchstaben stehen für die Namen der drei weiblichen Mitglieder Eva, Katrin und Gudrun. Textprobe: "Männer machen's mit System/Männer pinkeln nur im Stehn". Die Töne des Trios verhallen allerdings im Proberaum.

Nach dem Abitur beginnt Eva eine Lehre im Fotogeschäft ihrer Eltern, bricht aber nach kurzer Zeit ab. Ein Versuch als Visagistin scheitert, nachdem sie dem Rondo Veneziano derart rote Backen schminkt, dass sie "danach nie wieder einen Job bekommen hat". Schließlich wird es ein Studium in Digitaler Kunst. Für die Vertonung ihrer Videos verwendet sie zunächst die Musik anderer. "Aber irgendwann habe ich mir gedacht, dass ich sie ja auch selber am Laptop produzieren könnte." Eine gute Idee. Ein paar Jahre später feiern die Feuilletons Eva bzw. Gustav als "Retterin des kritischen Indie-Pop".

Ihr erstes Album "Rettet die Wale", auf dessen Cover ein Wal in einem kitschig-alpinen Bergsee paddelt, erscheint 2004. Die Kritiken sind hymnisch. Denn Gustav löst – neben der Vereinigung von weiblich & männlich – noch einen weiteren vermeintlichen Dualismus auf: den zwischen Kopf und Körper. Die "Laptop-Liedermacherin" kombiniert intellektuelle Texte ("Gingen wir richtig in der Annahme/Dass die Vereinzelung verzweifelt?/Dass die verinnerlichten Sichten/Stets an Verkörperungen scheitern?") mit gefühlvoller, manchmal sogar tanzbarer Musik und erreicht so mit ihren Botschaften nicht nur Hirne, sondern auch Herzen.

"Jetzt kommt der stark geschminkte Junge/und die Sängerin per Losentscheid/Des greisen Moderators Zunge/Zu jedem Übergriff bereit" textet sie zu schnellen Elektro-Rhythmen. Und auf ihrem zweiten Album "Verlass die Stadt" lässt sie eine österreichische Trachtenkapelle zu folgenden Sätzen dudeln: "Mach aus den Städten Schutt und Asche/Ich will nie wieder Sonnenschein/Ein Menschenleben weg genügt nicht/es müssen Gottesleben sein".

Gustavs Gesellschaftskritik an Globalisierung oder Geschlechterrollen kommt cool daher, aber nicht kalt. Ihre Abgründigkeit steht im Dienste der Aufklärung. "Egal, wie verschlüsselt die Texte auch sein mögen, sie basieren doch stets auf gesellschaftspolitischen Themen", sagt Gustav. "Jeder hat doch im Wesentlichen nur zwei, drei Themen, an denen er sich abarbeitet", findet die Musikerin. Ihre sind: "Feminismus, Geschlechtsidentität, -konstruktion und -zugehörigkeit". Und das sei in der Tat harte Arbeit, weil "Männer sich mit ihrer Männlichkeit inhaltlich nicht auseinandersetzen". Vielleicht ist es Rache, dass das Thema Liebe in Gustavs poetischen Loops nie eins ist. "Sie interessiert mich einfach nicht." 

Auch Gustavs Interesse am kommerziellen Erfolg hält sich in Grenzen. Der Hype um ihre Person, der nach "Rettet die Wale" losbrach, war ihr suspekt, und zu einem Zweitalbum drängen lassen mochte sie sich schon gar nicht. "Den schnellen Nachfolger, die Einhaltung der empfohlenen Schritte – das alles durfte es auf keinen Fall geben." Auch nicht mit dem Argument ihrer Freundinnen, dass es in der Musikszene doch "so wenig Frauen" gebe. Stattdessen machte sie ein Theater-Revue-Projekt mit der Truppe SV Damenkraft für das Burgtheater oder gründete vorübergehend das Damen-Akkordeon-Duo "Agenda Lobkov".

Im Jahr 2008 erscheint die Nachfolge-CD dann doch noch, und tatsächlich gibt es für Album Nr. 3 immerhin schon einen Arbeitstitel – "Hallo Knallo". Sicher ist , dass sie auch auf diesem Werk wieder sämtliche Instrumente selbst spielen, dass sie komponieren, programmieren, produzieren wird. 

"Kann man diese Explosion von Aufmerksamkeit mit einem Datum, einer Person in Zusammenhang bringen?", wurde Eva/Gustav jüngst gefragt. Die Antwort war eindeutig. "Mit mir, würde ich sagen."

 

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