Hilfe für ungewollt Schwangere!

Artikel teilen

„Wir wollen erreichen, dass möglichst viele Schwangere den Weg in das Hilfesystem finden“, erklärt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Start des Hilfetelefons „Schwangere in Not“ am 1. Mai. Rund um die Uhr erhalten Frauen unter der Nummer 0800/40 40 020 anonym, mehrsprachig und barrierefrei eine Erstberatung und werden an Hilfsangebote vor Ort weitervermittelt. Das Hilfetelefon ist, wie das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, beim „Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“ in Köln angesiedelt.

Anzeige

Gleichzeitig tritt ein neues Gesetz in Kraft: Ab jetzt ist die „vertrauliche Geburt“ in Deutschland offiziell erlaubt. De facto wird sie seit Jahren in Kliniken praktiziert: Eine hochschwangere Frau kommt mit Wehen in eine Klinik, gibt einen falschen Namen an und verschwindet nach der Entbindung.

Das Gesetz lenkt die anonyme Geburt jetzt in geregelte Bahnen: Weil laut Bundesverfassungsgericht ein Kind das unbedingte Recht auf Kenntnis seiner Abstammung hat, muss die Mutter ihre Daten hinterlegen. Mit dem 16. Lebensjahr hat das Kind dann das Recht, den Namen der Mutter zu erfahren und sie zu kontaktieren.

Mit dem Recht auf vertrauliche Geburt und dem 24-Stunden-Telefon solle „auch verhindert werden, dass verzweifelte Schwangere ihr Kind heimlich gebären und möglicherweise sogar aussetzen oder töten“, heißt es. Ob das gelingt, muss leider bezweifelt werden.

Sicher wird so manche verzweifelte Schwangere die Angebote annehmen. Was allerdings ein gewisses Maß an Reflektion und Planung verlangt. Gerade die Frauen aber, die ihre Neugeborenen direkt nach der Geburt töten, haben die Schwangerschaft meist ganz aus ihrem Bewusstsein verbannt. Und das oft aus panischer Angst vor dem Kindsvater. Fast immer, so zeigt sich in den bekannt gewordenen Fällen, hat der eine einschüchternde Drohkulisse aufgebaut.

So wie im bisher spektakulärsten deutschen Fall von Kindstötung: Sabine H. aus Brandenburg, Muter von drei Kindern. Sie hatte neun Neugeborene nach der Geburt getötet und die Babyleichen in ihren Blumenkübeln verscharrt. Beim Prozess kam heraus, dass ihr Ehemann als äußerst brutal galt. Ein Zeuge sagte aus, er habe seine Frau nackt an die Heizung gefesselt. Aber was als zentrales Motiv für die Kindstötungen hätte betrachtet werden sollen, spielte beim Prozess und beim Strafmaß für Sabine H. keine Rolle. Der Ehemann wagte zu behaupten, er habe von keiner der neun Schwangerschaften etwas mitbekommen. Das Gericht sah „keine Veranlassung anzunehmen, dass er lügt“. Er wurde lediglich als Zeuge vernommen. Sie wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen die Mütter vor allem um jeden Preis verhindern wollten, dass der Kindsvater mit der Geburt „belästigt“ wird. Das geht bis zur kompletten Verdrängung der Schwangerschaft – bis es zu spät ist.  

EMMA hat schon oft über das Problem berichtet, zuletzt war die „Die Einsamkeit der Mütter“ im Herbst 2008 Thema. „Könnte die anonyme Geburt die Tötung ungewollter Neugeborener verhindern?“ fragten wir Prof. Anke Rohde, die 100 Fälle von Kindstötungen untersucht hatte. Die zweifelte: „Das Problem ist ja gerade, dass die Frauen keinerlei Art von Hilfsangeboten annehmen können. Weil sie das Ganze verdrängen.“

Für so manche verzweifelte Schwangere wird das neue Gesetz zur vertraulichen Geburt dennoch eine Lösung sein. Für andere aber, schrieb EMMA schon damals, „wäre die einzige Lösung dieses traurigen Kapitels das Ende der Abhängigkeit und der Angst der Mütter. Das ist ein langer Prozess und er heißt: Emanzipation.“

www.geburt-vertraulich.de

Artikel teilen
Alice Schwarzer schreibt

Die Einsamkeit der Mütter

Artikel teilen

"Ich hatte Angst vor ihm", sagt sie. Und: "Er wollte schon unser erstes Kind nicht." Aber warum hat sie Nein gesagt, als er sie gefragt hat, ob sie etwa schon wieder schwanger sei? "Das war wegen der Drohung. Wegen dem, was er gesagt hat, was sonst mit mir passiert."

Anzeige

Nadja N. bekommt das Kind nachts um 4.30 Uhr auf der Toilette. Er schläft nebenan auf dem Sofa. "In meinem Kopf habe ich überhaupt nichts mehr mitgekriegt. Der Gedanke war nur: Was machst du jetzt?" Als er sie wenig später fragt, woher das Blut auf der Toilette käme, ­behauptet sie, sie hätte eine Fehlgeburt gehabt. Er befiehlt ihr sauberzumachen – und fährt zur Arbeit.

Sprachlosigkeit. Angst. Verdrängung. Sprachlosigkeit in der Beziehung; Angst vor dem Mann, dem Erzeuger des Kindes; Verdrängung der Schwangerschaft und bevorstehenden Geburt. Fast immer sind es Hausfrauen oder ganz junge Mädchen. Und immer sind sie gnadenlos einsam.

Bis 1998 galt für solche Fälle der 2001 abgeschaffte § 217, nach dem bei unehe­lichen Kindern der so genannte "Kindsmord", also die Tötung direkt nach der Geburt, als "erweiterte Abtreibung" mit "nicht unter drei Jahren" bestraft wurde. Heutzutage wird Kindsmord wie der Mord oder Totschlag eines Erwachsenen bzw. eigenständig lebenden Kindes ­bestraft. Nadja N. hat zehn Jahre Gefängnis bekommen.

Genau wie Sabine S. Auch die 40-jährige Wissenschaftlerin, Ehemann Ingenieur, sitzt im Gefängnis. Sie ist Mutter von drei Kindern und redet eloquent und bewusst. Wie also konnte es zu einem solchen Akt der Hilflosigkeit kommen?

"Mein Mann hat gesagt, wenn ich ihm noch einmal eine Schwangerschaft verheimliche, schmeißt er mich raus!" Sabine S. wird wieder schwanger, von ihrem Mann. Es ist keineswegs ein Geheimnis im Ort, dass sie schwanger ist. Und er? "Es ist unwahrscheinlich, dass man eine Schwangerschaft nicht mitbekommt", sagt sie heute.

Sie bekommt das Kind tagsüber in der Badewanne, wo sie zuvor eine Nagelschere und Desinfektionsmittel bereit gelegt hat, sie ist schließlich Wissenschaftlerin. Danach irrt sie in der Dämmerung mit dem Neugeborenen durch den Ort. Der Arzt? Da ist alles dunkel. Die Kirche? Sabine S. befürchtet, dass das Kind über Nacht stirbt, wenn es nicht gleich entdeckt wird. Sie kehrt nach Hause zurück und setzt sich mit dem eingewickelten Kind aufs Sofa. Sie wartet.

Endlich dreht sich der Schlüssel im Schloss. Der Mann öffnet die Wohnzimmertüre, wirft einen Blick – und schließt die Türe wieder. Sabi­ne S.: "Da hat es bei mir Klick gemacht. Stromausfall." Als sie wieder zu sich kommt, "bin ich mit der Hand am Hals des Kindes".

Sabine S. versteckt die Leiche in der Tiefkühltruhe im Keller. In den Wochen darauf geht sie immer wieder dorthin und steht stundenlang neben dem Gefrierschrank … Ein halbes Jahr später bittet sie ihren Mann, Fischstäbchen aus der Kühltruhe im Keller zu holen. Er geht runter – und sagt wieder nichts. Sieben Wochen später verständigt er die Polizei. Sabine S. bekommt zehn Jahre Gefängnis. Ihr Mann wird noch nicht einmal angeklagt.

Nie haben sie etwas gemerkt, diese Männer. Und fast immer sind die Frauen, die es tun, zwar auffallend eingeschüchtert, aber gleichzeitig "ganz normal". So wie die 44-jährige Hausfrau mit Mann und drei erwachsenen Kindern im sauerländischen Wenden – deren Sohn im Mai 2008, als die Eltern in Urlaub sind, drei Säuglingsleichen in der Tiefkühltruhe entdeckt. Oder die 35-jährige Mutter im sächsischen Erfurt 2007: zwei Babyleichen im Gefrierschrank. Oder Sabine H. 2005 in Brandenburg: neun Babyleichen vergraben in Blumenkübeln auf dem Balkon und auf einem Grundstück der ­Eltern. Die bei Ent­deckung 39-jährige Mutter, die drei Kinder liebevoll großgezogen hat, gesteht, zwischen 1988 und 2004 neun Neugeborene umge­bracht zu haben. Der als brutal bekannte Ehemann, der seine Frau auch schon mal nackt an die Heizung fesselte, wurde lediglich als Zeuge vernommen. Er sagte aus, er habe von allen neun Schwangerschaften nichts mitbekommen, die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder sah "keine Veranlassung anzunehmen, dass er lügt".

Doch jetzt endlich war ein Staats­anwalt nicht länger bereit, darüber hinwegzusehen. Ralph Reiter in Landshut, zuständig für den Fall Nadja N., verurteilte auch den Vater: zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis, davon viereinhalb Jahre wegen "Totschlag durch Unterlassung" und ein Jahr wegen "sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung" (Der Mann hatte seine Frau zum Oralverkehr genötigt und, als sie nicht mehr wollte, durch Schläge zum Weitermachen gezwungen).

Oft sei das Problem, so Staatsanwalt Reiter, dass den Vätern nicht bewiesen werden könne, dass das Kind noch hätte ­gerettet werden können. Im Fall Nadja N. jedoch sei der Vater "unmittelbar nach der Geburt anwesend gewesen und habe noch die Geburtsspuren gesehen". Dieses Urteil ist ein Präzedenzfall, der Hoffnung macht. Hoffnung darauf, dass zukünftig auch die Väter zur Verantwortung gezogen werden.

Doch kehren wir zurück zu den Müttern, ihrer Einsamkeit und Angst. Zwei, drei Dutzend Fälle von Kindstötung werden in Deutschland im Jahr bekannt. ExpertInnen schätzen die wahre Anzahl jedoch auf ein paar hundert. Was kann man tun? Würden Babyklappen oder die anonyme Geburt helfen?

Es gibt heute 70 Babyklappen in Deutschland, wo Mütter ihr Neugeborenes heimlich ablegen können. Und auch die anonyme Geburt wird, obwohl das Recht darauf noch nicht verankert ist, in Deutschland ab und an praktiziert. Könnte das also die Tötung ungewollter Neugeborener verhindern?

Die Psychologin Prof. Anke Rohde glaubt nicht daran. Sie hat hundert Fälle von Kindstötungen im Raum Bonn unter­sucht und sagt: "Das Problem ist ja gerade, dass die Frauen keinerlei Art von Hilfs­angeboten annehmen können. Weil sie das Ganze verdrängen." Die Not scheint so groß, dass die Frauen keinen Ausweg sehen.

Die erschütternden Gespräche mit Nadja N. und Sabine S. liefen vor einigen Monaten in der Reportage "Wir sind doch Kinder" auf 3sat in der Sendung "Scobel". Der Journalist Manfred Karremann hat die Frauen im Gefängnis besucht. Und er hat auch mit Ehemännern von Kindsmörderinnen gesprochen. Karremann zu EMMA: "Ich kann mir inzwischen gut vorstellen, wie so etwas passieren kann."

Eines ist klar: Der einzige wirkliche Schutz, den es für ein Neugeborenes gibt, wäre die Akzeptanz durch die Mutter – und ihre Stärke, ein eventuell bedrohtes Kind zu schützen. Darum wäre auch die einzige Lösung dieses traurigen Kapitels das Ende der Abhängigkeit und Angst der Mütter: Mütter, die nicht einsam sind; Mütter, die reden, wenn sie Probleme haben; Mütter, die gehen können, wenn Männer sie erpressen oder bedrohen. Mütter, die es im Konfliktfall auch wagen, ein ungewolltes Kind zur Adoption freizugeben – ohne Angst vor der "Schande". Das ist ein langer Prozess und er heißt: Emanzipation.

Ein kurzer Prozess könnte die Wiedereinführung des § 217 sein, aber diesmal nicht eingeschränkt auf die Tötung "unehelicher", sondern für alle Neugeborenen. Der alte § 217, der im 19. Jahrhundert ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, ging davon aus, dass nur ledige Mütter Probleme haben. Wie wir sehen, ist das ein Irrtum. Doch die juristische Unterscheidung im alten Recht zwischen "Kindsmord" – also der Tötung eines Neugeborenen, direkt nach der Geburt und noch bevor sein Leben beginnt – und der Tötung eines ­bereits eigenständig ­leben­den Kindes oder Erwachsenen war richtig. Es war falsch, diesen Paragraphen ersatzlos abzuschaffen.

Ein neuer § 217 muss her, der diese einsamen und verzweifelten Mütter nicht auch noch für Jahrzehnte ins Gefängnis schickt. Das nutzt nämlich niemandem. Es schützt nicht zukünftige ungewollte Neugeborene vor einer solchen Tat. Es schafft kein Unrechtsbewusstsein in der Gesellschaft, das existiert schon. Und vor allem: Es öffnet den Täterinnen nicht die Augen für ihre Tat, denn die verdrängen entweder weiter oder sterben vor ­schlechtem Gewissen, so wie Nadja N. und Sabine S.

Übrigens: In den meisten Fällen sind die Frauen, die ein Neugeborenes nicht leben lassen, schon Mütter – und fast immer gute Mütter. Doch in der Regel gehen sie dann ins Gefängnis, und ihre Kinder bleiben bei dem Vater zurück. Bei dem Mann, der wegguckt, schweigt, droht. Und in den meisten Fällen auch schlägt.

Weiterlesen
 
Zur Startseite