Idil Baydar: Der Alptraum

© Max Schröder
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Die Frau ist ein Alptraum. Sie trägt Trainingsanzüge aus Polyester, die nur notdürftig den viel zu massigen Körper zusammenhalten. Mit einer fahrigen Geste streicht sie sich immer dann, wenn sie sich sprachlich verausgabt hat, die blondierten Strähnen aus dem Gesicht. Sie tut es mit wulstigen Fingern, die Grübchen haben, wo bei andere Gelenke sitzen. Jilet Ayse ist 18 Jahre alt, sie strebt einer Ehe mit Ayak Ahmed entgegen, der gefälschte Adidas-Anzüge verkauft und seiner Jilet ab und zu den Hintern versohlt – was diese in Ordnung findet, weil: „Das ist ein Mann!“

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Ich kann kein Grammatik, aber
du kannst kein Vermehrung.

Jilet Ayse ist momentan die vermutlich größte Zumutung in der deutschen Comedy-Szene. Cindy aus Marzahn ist dagegen ein Ausbund an Biederkeit. Jilet ist das Alter Ego der Künstlerin Idil Baydar. Ihre türkischen Eltern hatten nach ihrer Ankunft im so genannten Gastland neben vielen anderen guten Einfällen noch diesen: ihr Kind auf eine Waldorfschule zu schicken. Dort hat man der kleinen Idil nicht nur beigebracht, ihren Namen zu tanzen, sondern auch, an ein Märchen zu glauben und das ging so: Alle Menschen sind gleich – Dunkle und Helle, Dicke und Dünne, Männlein und Weiblein –, solange sie sich gleichermaßen anstrengen, das zu werden, was ihnen zu werden eingegeben ist. Und irgendwie ist es ja in diesem Fall auch gut gegangen, denn Idil ist ein „integrierter“ Star, eine Youtube-Ausgründung, die jetzt, quasi durch die Hintertür des leistungsdarwinistischen Internets, mit einer Bugwelle von 1,5 Millionen Klicks in die Institutionen der deutschen Abendunterhaltung schwemmt. Seit zwei Jahren läuft ihre Show „Deutschland, wir müssen reden!“ in der Berliner „Bar jeder Vernunft“ – auf keiner postmigrantischen Bühne also, sondern in einer Bastion bürgerlicher Witzbildung. 

Jilet Ayse verkörpert die polternde Übertreibung jeden Klischees, die sich die besorgte Pegida-Anhängerin von einer lernbereiten Rütlischülerin macht. Sie ist laut, ungebildet und voller rückständiger Ansichten. Ab und zu schnappt sie ein Schimpfwort auf, mit dem man die Deutschen ärgern kann. Nazi zum Beispiel. Einfach deswegen, „weil klappt“! Ein anderer Witz geht so: „Alle nennen mich Salafist. Ich bin abends schlafen gegangen, morgens muss ich mich distanzieren.“ In einer Apothekenzeitschrift, so eröffnet sie ihre Show, habe sie kürzlich gelesen: „Deutschland stirbt aus!“ Eine Minute lang habe sie sich gefreut („Plötzlich hatte ich eine Zukunft!“), dann sei sie in Todespanik verfallen. „Wer bitteschön soll jetzt unser Hartz IV bezahlen?“ 

Ihr Publikum befindet sich im Prozess einer öffentlichen Meinungsbildung, ist live dabei, wie sich erst ein „Ihr“ bildet und dann ein „Wir“, das diesem „Ihr“ antwortet. Das „Wir“, sagt Idil Baydar, habe sich seit 9/11 zu einem Konglomerat von Menschen fremdländischer Herkunft verdichtet, die bisher wenig mehr als ihren Minderheitenstatus miteinander teilten. Der Islam ist das neue Bindemittel zwischen Türken, Libanesen, Marokkanern, Sudanesen, Palästinensern und neuerdings auch Syrern, aber auch das zwischen deren Kindern wie Idil Baydar. Trotzdem, sagt sie, habe es „noch keinen migrantenfreien Tag“ in ihrem Leben gegeben, keine Schonzeit, in der nicht der Grad ihrer Integration gemessen würde. Mit „Integration“, sagt Idil Baydar, sei ja weder ein Anfang noch ein Ende markiert. „Sie ist einfach etwas, das nicht aufhört.“

Wie schwierig es ist, einen so differenzierten Gedanken öffentlich zu entfalten, konnte man in der Sendung von Markus Lanz beobachten. Dort hatte Idil Baydar auf die rhetorischen Entgleisungen im Zusammenhang mit den so genannten „Dönermorden“ hingewiesen. „Wer ist denn hier ermordet worden, ein Döner?“, fragte sie. Lanz wiegelte ab: „Das sind ganz einfache mediale ­Reflexe. Da braucht man immer ‘ne knackige Überschrift.“ 

Apropos Döner-
morde: Ist da ein Döner ermordet worden?!

In ihrer Show geht es also darum, einer verwirrten Wählerschaft die richtigen Fragen zu stellen. Etwa: Wieso erwarten wir von einer hochrassistischen Gesellschaft, dass sie keine Rassisten hervorbringt? Lanz hatte es ja eben vorgemacht. „Ihre Eltern sind türkische Einwanderer?“, fragte er. „Ja“, antwortete Idil, deren Mutter aus einfachen Verhältnissen und deren Vater aus der Mittelschicht stammt. „Sicher?“ Ein Scherz. Natürlich.

Was macht Jilet Ayse zu einer derartigen Erfolgsfigur? „Ich verdrehe die Rollen, denn eigentlich sollen wir Türken ja die Hilfsbedürftigen sein. Und nun stellt sich da eine Jilet hin und sagt: ‚Sag mal, du hast ein großes Problem, du vermehrst dich nicht. Wir sind jetzt auf Augenhöhe. Ich kann kein Grammatik, aber du kannst auch kein Vermehrung.‘“ 

Idil Baydar hatte die Waldorfschule geschmissen und ihr Abitur erst mit 28 Jahren gemacht. In der Zwischenzeit hatte sie ein bisschen „Rumtreiberei“ betrieben: Hip-Hop, Hörspiel, Theater, aber so richtig angekommen sei sie nicht. Schließlich habe sie es in die Jugendarbeit gezogen. Und irgendwann fing sie an, die, zu denen sie ein liebevolles Verhältnis entwickelt hatte, zu parodieren. Ihre Mutter erkannte das Talent ihrer Tochter sofort, lachte und lachte und lachte und schaltete die Kamera ein. Bald wollte die ­Bild­zeitung dann etwas vom werberelevanten Erfolg der türkischen Ulknudel abhaben, indem sie ihre Youtube-Videos teilte. 

Für viele Jugendliche ist Idil ein Idol. „Nicht unbedingt wegen dem, was ich sage, sondern weil ich damit erfolgreich bin.“ 

Wo hat Jilet eigentlich ihren schicken Trainingsanzug her? „Alles H&M. 9 Euro 90 jedes einzelne Teil!“ Ein Seebeben von einem Lachen türmt sich in Idils Brustkorb auf. „Ich wünsche mir, dass H&M mich eines Tages anruft und sagt: Bitte, Frau Baydar, wir bezahlen Sie, wenn Sie nicht mehr unsere Sachen tragen. Dann würd’ ich sagen: Ok, geh ich zu C&A.“

Katharina Teutsch

Mehr zum Thema
http://idilbaydar.de
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