Pierre Foldes: Der Humanist

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Im Grunde hätte Pierre Foldes es einfach und bequem haben können. Dann hätte er jetzt in seinem Pariser Vorort eine gutgehende urologische Praxis, die von alten Männern mit Prostata-Problemen besucht würde, und er würde jeden Abend pünktlich um 18 Uhr seinen fünf Kindern über den Kopf streichen. Stattdessen ist die Ambulanz des Urologen und Chirurgen überfüllt mit afrikanischen Frauen, die klitorisverstümmelt sind und von denen er kein Honorar verlangt. Doktor Foldes bekommt Morddrohungen von islamischen Fundamentalisten, weil er diesen Frauen zu etwas Unerhörtem und für immer verloren Geglaubtem verhilft: zu Lust.

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Seit 25 Jahren engagiert sich der 52-jährige Franzose mit dem mächtigen Körper und der sanften Stimme für die ,Medecins du Monde'. Auf seinen Reisen durch Afrika und Asien begegneten ihm die verheerenden Folgen der Genitalverstümmelung: schmerzende Narben, eiternde Wunden, gefährliche Geburten. Eines Tages stellt ihm in Burkina Faso eine Patientin die Schlüsselfrage: "Doktor, wieso können Sie uns denn nicht reparieren?" 

Diese Frage lässt Foldes nicht mehr los. "Ich habe in Büchern nachgelesen und nichts gefunden", erzählt er. "Während die Medizin heutzutage das kleinste Problem mit dem Penis erforscht und gelöst hat, hatte niemand je versucht, die Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung zu beheben. Dabei ist das technisch gar nicht so kompliziert."

Foldes, der in Saint-Germain-en-Laye, 30 Kilometer westlich von Paris, praktiziert, schritt zur Tat. Er kombinierte seine chirurgische Erfahrung mit seinem Wissen über den Penis ("Die Klitoris ist ihm sehr ähnlich") und entwickelte ein Operationsverfahren: Nur ein kleiner Teil der Klitoris liegt außen, der viel größere - rund zehn Zentimeter - im Inneren des Körpers. Foldes durchtrennt die Sehnen, die das Lustorgan im Inneren halten und holt einen Teil davon an die Oberfläche. So entsteht eine neue Spitze, deren Nerven empfindsam sind.

"Niemand hätte je gedacht, dass die Klitoris wiederherstellbar ist", sagt Marc Ganem, Präsident der .Societe Francaise de Sexologie Clinique' und Chef eines Ärztekomitees, das Foldes Arbeit begutachtete. "Foldes Idee ist genial!" 

Das kann Fatou nur bestätigen. Die heute 29-Jährige Malinesin hatte ihren ersten Sex mit 16 - und nichts gespürt. Der Gynäkologe, den sie erstaunt konsultierte, sagte: "Das ist kein Wunder, Mademoiselle. Sie sind beschnitten worden." 

Fatous Freundin Marie hatte es im Schulunterricht begriffen, als ihre Lehrerin die weiblichen Genitalien an die Tafel zeichnete. Marie hob den Finger: "Aber Madame", sagte sie, "das da habe ich nicht." Marie lernte, beim Sex zu simulieren. Sie wurde schwanger und hatte eine sehr schwere Geburt, wegen ihrer Verstümmelung. Fatou guckt sogar Pornos, um dieses wundersame Körperteil aus der Nähe zu sehen, das ihr fehlt. "Und dann", erzählt die heute 29-Jährige triumphierend, "habe ich eines Tages Doktor Foldes im Fernsehen gesehen!"

Fatou wurde am 10. März operiert, Marie zwei Tage später. Fatou feiert dieses Datum wie eine Wiedergeburt. "Ich habe das Gefühl: Jetzt bin ich wieder ein vollständiger Mensch!" Einmal hat sie seitdem mit einem Mann geschlafen. Das tolle Gefühl, von dem ihre Freundinnen so schwärmen, hat sie (noch?) nicht so richtig empfunden. "Aber das ist nicht schlimm. Ich hab's nicht eilig." Marie hat es seither "noch nicht wieder probiert. Es fühlt sich an, als ob ich wieder Jungfrau wäre. Deshalb möchte ich mich jetzt für eine wirklich wichtige Geschichte aufsparen."

Aissa, 22, und vor neun Monaten operiert, hat jetzt ein erfülltes Liebesleben. "Es ist ganz anders als vorher. Manchmal muss ich mich kneifen, so schön ist es!" "Man darf nicht glauben, dass das alles nur eine technische Frage ist", erklärt Doktor Foldes. "Die Frauen sind auch im Kopf verstümmelt. Sie haben eine Erfahrung gemacht, die man mit einer Vergewaltigung vergleichen muss. Es dauert manchmal lange, bis die Frauen sich ihren Körper zurückerobern." 

Foldes' Praxis ist chronisch überfüllt. 200 Frauen hat er in den vergangenen acht Jahren eine neue Klitoris gegeben, während viele seiner Pariser Kollegen ihren verstümmelten Patientinnen immer noch erzählen, da könne "man eben nichts machen". Die Operationen, die Foldes bis vor kurzem unentgeltlich durchführte, nehmen inzwischen ein Drittel seiner Zeit ein, und die Anfragen werden immer mehr. Es sind vor allem Frauen in den Dreißigern, die auf der Suche nach ihrer verlorenen Lust zu ihm kommen. Die um die Vierzig konsultieren den Arzt eher wegen ihrer schmerzhaften Narben. Inzwischen hat der Chirurg durchgesetzt, dass die Krankenkasse die Kosten für die Heilung der Genitalverstümmelungen übernimmt.

An die Drohungen der islamischen Fundamentalisten hat sich Pierre Foldes gewöhnt. Und er hat nicht vor, sich von ihnen einschüchtern zu lassen. Im Gegenteil: Er gibt seine Operationstechnik an Kolleginnen weiter, fliegt zu Demonstrationen vor Chirurginnen in die USA. Und wenn er nach Afrika reist, trifft er sich dort mit Regierungsmitgliedern, um sie vom Kampf gegen das brutale Ritual zu überzeugen. "Wir müssen reden und handeln", sagt der französische Arzt. "Wenn wir schweigen oder untätig bleiben, machen wir uns zu Mittätern."

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