Allein unter Männern

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"Ich nehme an, Sie wollen mit der Ministerin nicht über Kälberkastration oder Milchexportsubventionen reden?", fragt die Pressesprecherin bei der Terminabsprache am Telefon. So ist es. Es gibt spannendere Fragen an Ilse Aigner, die im Oktober 2008 zuerst von Bayernboss Seehofer erwählt und sodann von Bundeskanzlerin Merkel zur Landwirtschaftsministerin ernannt wurde. Zum Beispiel die, wie es passieren konnte, dass Ende der 70er Jahre in der oberbayerischen Gemeinde Feldkirchen mit ihren 2.100 EinwohnerInnen und dreistelligen Telefonnummern ein 16-jähriges Mädchen namens Ilse unbedingt Radio- und Fernsehtechnikerin werden wollte – und das auch noch durfte.

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Es ließe sich mit dem "bayerischen Dickschädel" erklären, der dem Mitglied im CSU-Parteivorstand bis heute ebenso attestiert wird wie ihr "harter Verhandlungsstil", aber das reicht natürlich nicht. Aigner selbst gibt der "familiären Vorbelastung" die Schuld: Der Vater, beide Großväter und zwei Onkel hatten denselben Beruf. Hinzu kommt, dass in der Familie Aigner kein Stammhalter, sondern vier Töchter für die Übernahme des elterlichen Elektroinstallationsgeschäfts zur Verfügung standen. Ilse, die jüngste, galt als aussichtsreichste Kandidatin für den Posten. Im Gegensatz zu ihren Schwestern begeisterte sie sich für Mathe und Physik. Heute lacht die 43-Jährige, wenn sie erzählt, wie damals Passanten die Polizei riefen, weil sie glaubten, dass die junge Frau, die gerade ein Funkgerät einbaute, das Autoradio klauen wolle. Oder wie sich ein Hausbesitzer bei ihrem Lehrherrn beschwerte: Das wäre ja noch schöner, dass jetzt schon die Monteure ihre Freundinnen mit aufs Dach nähmen.

Ilse Aigner übernahm den Laden dann doch nicht, aber dass sie schon so früh den Allein-unter-Männern-Part trainieren konnte, erweist sich heute als vorteilhaft. Zum Beispiel in Aigners christsozialer Partei, die mit 18 Prozent beständig den Rekord des niedrigsten Frauenanteils hält. Wenngleich die spätestens seit der Wahl-Watschn vom 28. September 2008, bei der die CSU  bei den Frauen unter 45 gerade mal auf 30 Prozent kam, unübersehbar um mehr weibliche Präsenz in ihren Reihen bemüht ist. Oder bei den Verhandlungen mit dem Bauernverband, der nun – nach der Grünen Renate Künast – schon zum zweiten Mal seine Interessen in Brüssel und allerorten von einem weiblichen Minister vertreten lassen muss. "Bauer kriegt Frau!" kommentierte Bild trocken.

"Im Umgang mit Männern hab ich noch nie Schwierigkeiten g’habt", erklärt die neue Landwirtschaftsministerin mit tiefem Timbre. "Die merken halt schnell, ob man a handfester Typ ist. Also jemand, der auf der einen Seite sein Frausein nicht verbirgt, aber auf der anderen Seite auch austeilen und einstecken kann." Ilse Aigner scheint diese Gratwanderung, Herausforderung für jeden weiblichen Menschen in Führungsposition, hinzukriegen. "Des hat mer oder man hat’s ned."

Auf den Fotos, die ihren Amtsantritt begleiteten, gibt sie die Robuste: hockt in Jeans und Wildlederjacke auf einem Acker oder lehnt im Strickpulli am Scheunentor. Auch heute trägt sie Lederjacke zur schwarzen Hose, diesmal in petrol. Aber sie weiß eben auch, was sie ihren Bayern und ihren Bauern schuldig ist. Zur Eröffnung der Grünen Woche, bei der sie zum ersten Berliner Agrarministergipfel geladen hatte, führte sie Präsident Putin, den die 1,80 Meter-Frau locker um einen Kopf überragte, im feschen Dirndl über die Messe.

Die Politik hielt früh Einzug in das Leben von Ilse Aigner. "Ich hab halt meinen Mund nie halten können." Also wird sie Klassensprecherin, Schulsprecherin, mit 17 Mitglied der Jungen Union und beerbt schließlich 1990 ihren Vater im Gemeinderat von Feldkirchen/Westerham. Aber als sie sich drei Jahre später, mit 27, um das Amt des Bürgermeisters bewirbt, wird getuschelt, über die "ungeklärten Familienverhältnisse" der Kandidatin. Damit ist gemeint, dass Ilse Aigner, bis heute, ledig ist. Sie verliert im zweiten Wahlgang mit 72 zu 75 Stimmen.

Inzwischen hat sich die Antennenfachfrau auf Hubschraubertechnik spezialisiert. Die Entscheidung, den geliebten Job für ein hauptberufliches Landtagsmandat aufzugeben, fällt ihr schwer: "Mei, wenn man so einen neuen Hubschrauber fliegen sieht, des is halt einfach toll!" Später, als sie 1998 mit knapp 60 Prozent der Stimmen von ihrem Starnberger Wahlkreis direkt in den Bundestag gewählt wird, wird sie nicht nur Landwirtschaftsreferentin, sondern auch Berichterstatterin für Weltraumforschung.

Auch ihre Technikaffinität dürfte Ilse Aigner in ihrem neuen Job zum Vorteil gereichen, denn auch wenn ihr Ministerium üppig geschmückt ist mit Gemälden von Ähren, Kirschen und Kühen, so ist das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMELV) durchaus nicht nur zuständig für Acker und Scholle, sondern auch für Hightech-Bereiche wie den Datenschutz. Oder für die Frage, wie die Banken dazu gebracht werden können, ihren Kunden künftig keine unsoliden Finanzprodukte mehr aufzuschwatzen.

So wie die Bayerin in Berlin zwischen Dirndl und Lederjacke pendelt, so muss sie irgendwie den Spagat meistern zwischen Tradition und Moderne. Ihre begründete Hoffnung, dass auf längere Sicht die Lederhosen-Patriarchen aussterben und gut ausgebildete junge Frauen auch in der CSU nachrücken werden, formuliert Aigner unanstößig. "Das wird sich in einem natürlichen Prozess entwickeln", sagt sie diplomatisch. Hoffen mers.

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