Zu hässlich zum Vergewaltigen?

"Empört euch!" Italiens Frauen gehen auf die Barrikaden.
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Wo sind wir hier eigentlich? In der Kneipe? In den 50er Jahren? – Nein, wir sind in Ancona, dem Hauptort der mittelitalienischen Region Marken an der Adria, im Hier und Jetzt. Dort ist das örtliche Berufungsgericht zu dem Schluss gelangt, dass eine junge Peruanerin gar nicht vergewaltigt worden sein kann, weil sie „zu männlich“ aussehe und „zu wenig attraktiv“ sei. Besonders verstörend ist der Umstand, dass das Richtergremium aus drei Frauen bestand.

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Der Freispruch war bereits im Jahr 2017 erfolgt. Die Begründung wurde aber erst jetzt bekannt, als Italiens Oberstes Gericht einen neuen Prozess anordnete. Die Frau hatte im Jahr 2017 eine Abendschule besucht, danach ging sie mit zwei gleichaltrigen Landsleuten aus ihrer Klasse ein Bier trinken.

Wie ein Steinschlag auf dem Weg der Emanzipation

Einer der Männer soll sie dann in einem Stadtpark vergewaltigt haben, während der andere Schmiere stand. Am Tag darauf ging die junge Frau mit ihrer Mutter in ein Krankenhaus. ÄrztInnen diagnostizierten Verletzungen, die auf eine Vergewaltigung hindeuteten, zudem fanden sie Spuren einer Vergewaltigungsdroge, den so genannten K.o.-Tropfen, in ihrem Blut.

In erster Instanz wurde der mutmaßliche Vergewaltiger zu fünf, der zweite Mann zu drei Jahren Haft verurteilt. Beide gingen in Berufung, die drei Appellationsrichterinnen hoben das Urteil mit dem Verweis auf das vermeintlich „unattraktive Äußere“ der jungen Frau wieder auf. Das Opfer ging in Berufung. So ging es weiter zum Kassationshof, Italiens höchstes Gericht. Das kassierte jetzt den Freispruch und beraumte ein neues Verfahren an, das im umbrischen Perugia stattfinden soll.

Bei der Gelegenheit veröffentlichte der Kassationshof nun erstmals auch die Begründung der Richterinnern der zweiten Instanz. Das Opfer wird da als „durchtriebene Peruanerin“ beschrieben, die sich die Geschichte womöglich nur ausgedacht habe, um vor ihrer Mutter nicht als Partygängerin und Trinkerin dazustehen. Außerdem habe dem angeblichen Vergewaltiger die Frau „nicht einmal gefallen“ - und dafür, so die Richterinnen, gebe es einen Beweis: „In seinem Handy hat er ihre Nummer unter dem Namen 'Wikingermädchen' gespeichert und damit auf ihr alles andere als weibliche Aussehen angespielt.“ Und weiter: „Das Foto, das diesen Prozessunterlagen beiliegt, scheint das zu bestätigen.“

Zittert, zittert, die Hexen
kehren
zurück!

Die Veröffentlichung des Urteils löste in den sozialen Netzwerken eine Welle der Empörung aus, und vor dem Appellationsgericht in Ancona gab es Proteste zahlreicher Frauen und vieler Männer. Auf ihren Spruchbändern und Plakaten stand „Schämt euch!“ und „Zittert, zittert, die Hexen kehren zurück“, (ein alter feministischer Kampfslogan). „Die Worte des Gerichts“, sagte Claudia Mazzucchelli vom Gewerkschaftsbund UIL, „sind wie ein Steinschlag auf dem Weg der Emanzipation.“

Das italienische Justizministerium hat nun reagiert. Der Minister ordnete eine Inspektion im Berufungsgericht von Ancona an. Der Fall soll vor einem Gericht in der Stadt Perugia neu verhandelt werden. Werden die Richterinnen ihres Amtes enthoben werden?

Die junge Frau lebt inzwischen wieder in Peru.

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Die Spanierinnen stehen auf!

8. März 2018 in Bilbao.
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Die Spanierinnen haben die Nase voll. Von der Gewalt gegen Frauen, von dem Machismo der Männer, von ungleicher Bezahlung, von Arbeitslosigkeit. Und ihr „Generalstreik“ am 8. März war erst der Anfang: In Bilbao erhoben zehntausende Frauen ihre Hände zum Vagina-Zeichen (Foto). In ganz Spanien legten über fünf Millionen Frauen die (Haus)Arbeit nieder. Motto: „Ohne uns steht die Welt still“. Seither sind ihre Proteste nicht mehr abgeebbt.

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Die Gewalt gegen Frauen in Spanien ist epidemisch

Vor allem nicht in Pamplona. Ein zu mildes Urteil in einem Vergewaltigungs-Prozess treibt die Menschen hier seit Monaten zu Zehntausenden auf die Straße. Die Diskussion darüber hat das ganze Land erfasst. Frauenrechtsorganisationen fordern eine Reform des Sexualstrafrechtes, vergleichbar mit der Reform, die es 2016 auch in Deutschland gegeben hat: Damit Nein endlich Nein heißt.

Denn von der laxen Rechtsprechung haben sie profitiert: Die fünf Männer, die sich auf WhatsApp „Das Wolfsrudel“ nannten. In dieser Gruppe hatten sie sich mit ihren sexuellen Eskapaden gebrüstet – und sich gegenseitig dazu angestachelt, Frauen auf Drogen zu setzen, um sie zu missbrauchen.

Am frühen Morgen des 7. Juli 2016, während der berüchtigten und testosterongeladenen Stierhatz in Pamplona, schritt das Wolfsrudel dann zur Tat. So sehen das zumindest die Spanierinnen, die ihre Wut inzwischen auf die Straße getragen haben. Der Vorwurf: Die Männer sollen eine damals 18-Jährige in einen Hauseingang gedrängt und neun Mal vergewaltigt haben, oral, vaginal und anal. Die schwer Verletzte ließen sie auf einer Bank liegen, vorher klauten sie noch ihr Handy. Mit dem Video der Tat brüsteten sie sich in ihrer WhatsApp-Gruppe. Eine Polizistin fand die 18-Jährige.

Die drei Richter verurteilten die 27- bis 29-jährigen Männer im April. Allerdings nicht wegen Vergewaltigung, sondern wegen sexuellem Missbrauch. Statt der geforderten 23 Jahre drohen ihnen nur neun Jahre Haft. Das begründen die Richter damit, dass sie keine „Gewalt oder Einschüchterung“ angewendet hätten, um den Sex zu erzwingen. Einer der Richter, so berichtet es eine spanische Richterin im Guardian, habe sogar von „einvernehmlichen Sex“ gesprochen.

Die Männer mussten die Frau - wie so oft - auch gar nicht prügeln, um sie gefügig zu machen. Sie sei in eine Schockstarre verfallen, sagt die Betroffene vor Gericht aus. Wen wundert das? Die Staatsanwaltschaft ging nach dem Urteil in Revision. Die fünf Männer sind vorerst auf Kaution frei. Trotz Urteil.

Die Frauen fordern eine Reform des Sexualstrafrechts

Am 7. Juli jährt sich die Tat zum dritten Mal. Und es steht nicht wieder nur die Stierhatz an, sondern auch erneute Demonstrationen. Eine Petition zur Absetzung der Richter hat inzwischen über 1,4 Millionen Unterschriften. Und Pamplona ist ja auch kein Einzelfall. Die Gewalt gegen Frauen in Spanien ist epidemisch.

Seit diesem Juni sind die Politikerinnen in Spaniens Regierung in der Mehrheit: Der neue Premier Sánchez hat elf Frauen und sechs Männer in sein Kabinett berufen. In keiner europäischen Regierung ist der Frauenanteil damit so hoch (fast 65 Prozent). Werden sie die Protestierenden erhören?

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