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Pflege: Besser vorsorgen!

Karin Demming, Initiatorin für gemeinsames Wohnen.
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Gertraud Beier hat vorgesorgt. Die 71-jährige frühere Marketing-Expertin ist kürzlich von Waldeck-Frankenberg in Nordhessen nach Freiburg an der Elbe gezogen. „In meinem Kopf ist da diese Zahl“, erzählt sie: „3.000 Euro im Monat, so viel hat es schon 2007 gekostet, als ich meine Mutter nach langer Pflege zuhause ins Heim geben musste.“

Auf „bring-together.de“, einer Matching-Plattform für gemeinsames Wohnen, die von Karin Demming gegründet wurde, hat Beier dann das „Haus der Horizonte“ gefunden – ein als Genossenschaft organisiertes Gemeinschaftsprojekt fürs Altwerden. „Noch sind wir alle gut drauf“, sagt Genossenschaftsmitglied Jutta Schüler (63) über das vom Land Niedersachsen geförderte Projekt, „Aber wir haben eingeplant, dass wir, wenn nötig, eine Pflegekraft anstellen und sie hier im Haus wohnen kann.“

Frauen haben geringe Renten, Frauensolidarität würde sich auszahlen

Derartige Eigenvorsorge ist in Deutschland noch unüblich. Die Logik dahinter ist bestechend: Acht Parteien wohnen in eigenen Wohnungen im „Haus der Horizonte“. Wenn sie gemeinsam eine Pflegekraft beschäftigen, können sie nicht nur die Qualität der Versorgung nach ihren Wünschen steuern, sondern kommen wahrscheinlich deutlich preiswerter zu besserer Pflege. 

Die 1995 gegründete Pflegeversicherung war immer als Teilkasko konzipiert. Je nach Pflegegrad zahlt die Versicherung einen Teil der Kosten, den weit überwiegenden Teil allerdings muss der oder die zu Pflegende selbst aufbringen. Weil in den vergangenen Jahren zum einen die Leistungen ausgeweitet wurden, zum anderen aber die Pflegekräfte (endlich) deutlich besser bezahlt werden, sind die Eigenanteile stark angestiegen. Nach Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen liegen sie derzeit bei 2.871 Euro im Monat, 211 Euro mehr als im Vorjahr. Für die Zukunft gehen viele ExpertInnen von noch höheren jährlichen Steigerungen aus. 

Der jeweilige Pflegegrad ist entscheidend dafür, wieviel die Pflegeversicherung vom Heimplatz zahlt. Für den Eigenanteil aber ist er kaum von Belang. Seine Höhe orientiert sich daran, wie lange ein Mensch im Heim gepflegt wird. Seit Anfang 2020 gibt es eine Art Rabatt, den „Leistungszuschlag“. Er beträgt 15 Prozent im ersten, 30 Prozent im zweiten, 50 im dritten und 75 Prozent ab dem vierten Jahr. So sollen vor allem demente Ältere mit langen Aufenthaltszeiten, aber auch die knapp 190.000 Menschen unter 60 Jahren in Heimen geschützt werden. Nach Zahlen der Caritas sterben rund ein Drittel der älteren Pflegebedürftigen im ersten Jahr. Im Schnitt liegt die „Verweildauer“ bei 25 Monaten. 

Kein Wunder, dass sich angesichts dieser Entwicklungen fast jede zweite Person in Deutschland vor den hohen Pflegekosten fürchtet, wie eine Studie der R+V-Versicherung ergeben hat. Nach Zahlen der DAK und der Uni Bremen können derzeit 34 Prozent der HeimbewohnerInnen ihre Eigenanteile nicht bezahlen und sind auf Sozialhilfe angewiesen, die sogenannte „Hilfe zur Pflege“. Um sie zu beantragen, darf das verbleibende „Schonvermögen“ nicht mehr als 10.000 Euro pro Person betragen, für Paare das doppelte.

Inzwischen prüfen die Sozialämter die Vermögenslage der Antragstellenden sehr genau – von der Bankauskunft bis hin zur Sichtung der Immo­bilie, in der der Partner oder die Partnerin lebt. Denn Verheiratete sind sich gegenseitig uneingeschränkt unterhaltspflichtig: Für die Pflege des jeweils anderen müssen sie ihr Vermögen einsetzen. Wer in der gemeinsam bewohnten Immobilie bleibt, darf diese zwar in der Regel behalten. Ist sie aber größer als 120 Quadratmeter, kann das Sozialamt den Verkauf anordnen. Ist ein Verkauf zu Lebzeiten des Partners nicht zumutbar, kann das Sozialamt eine Grundschuld eintragen lassen und dann einen Teil am späteren Verkauf oder Erbe einfordern.

Etwas geschützter sind seit Anfang 2020 die Kinder. Sie sind nur dann für ihre Eltern unterhaltspflichtig, wenn sie mehr als 100. 000 Euro brutto im Jahr verdienen. Das ist aber insgesamt nur eine kleine Gruppe: Nur einer von 13 Berufstätigen hat so hohe Gehälter. Wie viele Kinder Unterhalt für zu pflegende Eltern bezahlen, ist nicht bekannt. 

Interessanterweise geht es beim Elternunterhalt nur um Einkommen, nicht um Vermögen: Wer als Kind ein Millionenvermögen besitzt, beim jähr­lichen Bruttoeinkommen aber unter 100.000 Euro liegt, muss seine Eltern nicht finanziell unterstützen. Die Regelung wurde deshalb auch als „Erbenschutzprogramm“ kritisiert. Haben Eltern ihren Kindern das Vermögen allerdings in den zehn Jahren vor Einzug ins Pflegeheim vermacht, kann es sehr wohl für den Unterhalt herangezogen werden. Die 10-Jahresgrenze ist ein wichtiges Instrument im Erbschaftsrecht: Alle zehn Jahre können bestimmte Beträge steuerfrei an Verwandte weitergegeben werden. 

Alternativ zum Pflegeheim organisieren viele Menschen die Pflege entweder privat in der Familie oder mit Hilfe einer sogenannten „24-h-Hilfe“, vorwiegend aus Osteuropa. Für letztere muss je nach den gewünschten Deutsch- und Pflegekenntnissen ab rund 2.500 Euro pro Monat gerechnet werden. 

Kann die Pflege innerhalb der Familie organisiert werden, zahlt die Kasse je nach Pflegegrad ein sogenanntes „Pflegegeld“ zwischen monatlich 332 Euro bei Pflegegrad 2 und 947 Euro bei Pflegegrad 5. In voller Höhe wird es allerdings nur dann überwiesen, wenn nicht gleichzeitig auch Pflege­leistungen von ambulanten Dienstleistern in Anspruch genommen werden.

Kommt – wie meist üblich – zusätzlich zur privaten Pflege auch der ambulante Dienst, müssen beide Leistungen miteinander verrechnet werden. Für die ambulante Pflege stehen je nach Pflegegrad zwischen 761 Euro bei Pflegegrad 2 und 2.200 Euro bei Pflegegrad 5 zur Verfügung. 

Zusätzlich gibt es einen sogenannten „Entlastungsbetrag“ von 131 Euro im Monat, der für die Unterstützung im Alltag gedacht ist. Auch für den pflegerechten Umbau der Wohnung gibt es spezielle Zuschüsse, ebenso wie für Kurzzeit- und Verhinderungspflege zur Entlastung der Angehörigen. 

Bevor die Pflegekasse jedoch überhaupt zahlt, muss der Pflegegrad beantragt werden. Dazu kommen Gutachter des Medizinischen Dienstes in die Wohnung der Pflegebedürftigen. 

Es ist unbedingt zu empfehlen, dass Angehörige bei diesem Termin dabei sind: Oftmals versuchen sich die Betroffenen von ihrer besten Seite zu zeigen und bestreiten, dass sie überhaupt Pflege brauchen. Besonders Frauen sind da oft bescheiden. Angehörige sollten ärztliche Diagnosen vorlegen und den Prüfern aus dem Alltag mit den Betroffenen erzählen können. Halten sie die Einstufung hinterher für nichtzutreffend, gibt es eine Reihe von Einspruchsmöglichkeiten. 

Es ist keine Frage, dass die Pflege von Angehörigen in jeder Hinsicht fordernd ist. Und sicherlich gibt es viele schwere Schicksale. Allerdings zeigen Umfragen immer wieder, dass das Pflegerisiko oft überschätzt wird: In der Gruppe der 70- bis 80-Jährigen sind nur knapp jede und jeder Fünfte überhaupt pflegebedürftig. Vier von fünf Männern und Frauen geht es in dieser Lebensdekade also noch so gut, dass sie selbstständig sind. 

Erst mit über 80 steigt die Pflegebedürftigkeit auf 52 Prozent – also jeder Zweite. Doch selbst 2023 wurden noch 2.645.000 Menschen zuhause gepflegt – gegenüber knapp 512.000 in der stationären Versorgung. Nur einer von sechs Pflegebedürftigen über 80 Jahre findet sich in Deutschland also im Heim wieder. 

Wer das weiß, kann für sich selbst überprüfen, ob die hierzulande vorherrschende Angst vor dem Pflegeheim wirklich den Blick auf die zweite Lebenshälfte verdunkeln sollte. Die Babyboomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, haben genügend Zeit, um noch ihre eigenen Pflegevarianten zu organisieren. 

Karin Demming beispielsweise will bald gemeinsam mit dem „pme Familienservice“ Pflege-Wohngemeinschaften auf ihrer Matching-Plattform „bring-together.de“ vermitteln. Diese Wohnform wird schon jetzt von der Pflegekasse mit einer Reihe von Zuschüssen gefördert, wenn sich mindestens drei und maximal zwölf Bewohner mit Pflegegraden von 1 bis 5 zusammentun. So gibt es 2.500 Euro als einmalige Anschubfinanzierung pro Person, maximal 10.000 Euro für die gesamte Wohngruppe. Für bis zu 4.000 Euro pro Person und maximal 16.000 Euro pro WG kann die Immobilie umgebaut werden. 

Ein besonderer Vorteil ist der sogenannte „Wohngruppenzuschlag“: Dazu erhält jede pflege­bedürftige Person 214 Euro pro Monat, um eine Wohngruppenleitung für die Organisation zu finanzieren. So gilt auch für die Pflege künftig immer öfter: Gemeinsam geht’s besser. Besonders für Frauen! Denn: Wir leben länger, haben oft geringere Renten und geringeres Vermögen. Frauen­solidarität würde sich also auszahlen!   

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