Koalition kippt die Internet-Sperren

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Die Begeisterung über den Beschluss des Koalitionsausschusses hält sich andernorts in Grenzen. Nicht nur bei vielen UnionspolitikerInnen, die das Gesetz 2009 mit verabschiedet hatten. Auch das BKA schäumt. Stets hatte die Behörde die Sperren gefordert. Sie seien eine wichtige Maßnahme zusätzlich zum Löschen der Kinderporno-Seiten. „In der Berichterstattung klingt es jetzt so, als wäre es neu, dass diese Seiten ab jetzt gelöscht würden. Dabei gehört das Löschen in der Abteilung zur Bekämpfung von Kinderpornografie längst zum Kerngeschäft.“ Dass Löschen und Sperren als Entweder-Oder debattiert werden, versteht man in Wiesbaden nicht. „Löschen und Sperren waren von uns immer als ergänzendes Paket gedacht.“

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Dem endgültigen Aus für die Internet-Sperren war eine in der Bundesrepublik wohl einmalige rechtliche Volte vorausgegangen: Nachdem die Netzgemeinde 2009 gegen das „Zensursula“-Gesetz Sturm gelaufen war, gehörte es zu den ersten Amtshandlungen der damals noch hochfliegenden Liberalen, im Koalitionsvertrag eine Aussetzung des Gesetzes durchzuboxen. Die Verhandler setzten also ein Gesetz außer Kraft, das vom Bundestag bereits verabschiedet und vom Bundespräsidenten unterzeichnet war. Ein Vorgang, den nicht nur der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder (CDU), als Verfassungsbruch bezeichnete.

Ein Jahr lang, so beschloss man, solle das Sperren der Seiten unterbleiben. Dafür wertete man die Löschvorgänge beim BKA aus. Ergebnis: 93 Prozent der kinderpornografischen Seiten seien, so Leutheusser-Schnarrenberger, nach zwei Wochen gelöscht. Nach einem Monat seien es 99 Prozent. Das ist erfreulich. Warum aber in der Zwischenzeit nicht sperren?

Hinzu kommt: Setzt sich die Justizministerin auch bei der Vorratsdatenspeicherung durch, erschwert dies auch die Verfolgung pädokrimineller Internetaktivisten. Das von ihr vorgeschlagene Quick-Freeze-Verfahren, also das „Einfrieren“ von Daten erst ab dem Zeitpunkt eines richterlichen Beschlusses, hält der Bund Deutscher Kriminalbeamter für „untauglich“. „Ein Großteil von Straftaten wird mit teils erheblicher Verzögerung angezeigt oder den Strafverfolgungsbehörden bekannt. Und wo nichts gespeichert wurde, kann auch nachträglich nichts eingefroren werden“, erklärt BDK-Bundesvorsitzender André Schulz. Das Verfahren gehe „in wichtigen Bereichen an der Realität vorbei“ und zeuge „von großer Unkenntnis“.

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Warum passiert eigentlich nichts?

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Dr. Jürgen-Peter Graf, seines Zeichens Richter am Bundesgerichtshof, fand vor dem Rechtsausschuss des Bundestages deutliche Worte. Man habe es hier mit einem „in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik einmaligen Vorgang“ zu tun. Zum ersten Mal sei „ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz“ de facto einfach „außer Kraft gesetzt“ worden.

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Die Rede ist von dem Gesetz, das es ermöglicht, kinderpornografische Websites zu sperren. Wer solche Seiten gezielt aufruft oder über einen Link versehentlich darauf gerät, sieht ein Stoppschild und den Hinweis, dass es sich um illegale Inhalte handelt.

Das heißt: So wäre es gekommen, wenn das „Zugangserschwerungs-Gesetz“, das am 18. Juni 2009 von der Großen Koalition verabschiedet wurde, angewandt würde. Wird es aber nicht. In ihrem Koalitionsvertrag legte Schwarz-Gelb unter dem Druck der Liberalen das gesetzlich verordnete Sperren kinderpornografischer Seiten schlicht für ein Jahr auf Eis.

Die Begründung für diesen beispiellosen und rechtlich unhaltbaren Vorgang: Die Sperren seien eine „Placebo-Lösung“, Vorrang müsse das Löschen der Seiten beim jeweiligen Provider haben.

Warum nicht beides parallel geht, Löschen und Sperren? Weil es angeblich „verfassungsrechtliche Bedenken“ gibt angesichts der Tatsache, dass das Bundeskriminalamt eine täglich aktualisierte Liste mit zu sperrenden Seiten führen und diese den deutschen Providern weiterleiten würde.

Damit zollte Schwarz-Gelb den Protesten der Internet-Community Tribut. Die hatte die Initiatorin des Sperr-Gesetzes, die damalige Familienministerin von der Leyen, als „Zensursula“ diffamiert und „Mahnwachen“ für die „Meinungsfreiheit“ sowie eine gewaltige Online-Petition organisiert. Zuvor war schon die SPD, nachdem sie das Gesetz mit beschlossen hatte, plötzlich umgeschwenkt. Sie legte einen neuen Gesetzentwurf vor.

Am 11. November 2010 diskutierte der Rechtsausschuss des Bundestages nun gemeinsam mit Experten diesen „Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“. Der sieht vor, das Kinderporno-Sperrgesetz wieder abzuschaffen. Die Verträge, die das BKA mit den Providern zwecks Sperrung geschlossen hatte, sollten für „rechtswidrig“ erklärt werden. Grüne und Linke hatten bereits im Februar ähnliche Entwürfe eingebracht: Das Sperrgesetz greife „unverhältnismäßig in Grundrechte ein“.

Doch siehe da: Die geladenen Experten plädierten trotz Kritik wegen „handwerklicher Mängel“ mehrheitlich dafür, das Gesetz beizubehalten. Allen voran BKA-Vizepräsident Ulrich Maurer, der noch einmal erklärte: Da, wo das Löschen schwierig ist, zum Beispiel bei ausländischen Servern, „lassen sich solche Angebote zumindest sperren, bis sie endgültig gelöscht werden können“.

Jetzt ist das sperrenfreie Jahr um. Nun soll laut Koalitionsvertrag „evaluiert“ werden, wie effektiv „die Polizeibehörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft“ die Löschung kinderpornografischer Websites betrieben haben.

Wie bedrückend hier Erfolgsmeldungen und Realität auseinanderklaffen, beschreibt Stefan Tomik in der FAZ: So bejubelten der Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco) gemeinsam mit Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) „Inhope“, den Dachverband von Hotlines, denen in 33 Staaten kinderpornografische Angebote gemeldet werden könnten. „Unschlagbar“ schnell sei Inhope dann im Löschen.

Ergebnis: Bei 144 zu löschenden Seiten waren allein von den 110 amerikanischen mehr als die Hälfte  noch Monate später abrufbar. Es stellte sich heraus: Die Inhope-Hotlines, die eigentlich Druck auf die Provider hätten machen sollen, hatten die Meldungen größtenteils einfach an die Polizei weitergegeben. Die aber ist unterbesetzt und überfordert. Auch in Deutschland.

Um das festzustellen, hätte es keiner einjährigen Wartezeit bedurft. Und auch die Ergebnisse der Evaluation sind vorhersehbar: Seit Jahren klagen Polizei und Experten über mangelhafte personelle und technische Ausstattung an der Internet-Front. Erfahrungsgemäß werden die Resultate der Bestandsaufnahme dennoch Monate auf sich warten lassen.

Bis dahin sieht, wer kinderpornografische Websites gezielt aufruft oder über einen Link versehentlich darauf gerät, nicht etwa ein Stoppschild, sondern: missbrauchte und vergewaltigte Kinder.

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Löschen UND Sperren (2/10)
Meinungsfreiheit für Kinderpornos (4/09)
 

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