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Krebs durch Hormongaben?

Viele Faktoren können das Brustkrebsrisiko beeinflussen. Welche Rolle spielen Hormongaben? - Foto: IMAGO
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Frau Prof. Brucker, wie beurteilen Sie den Stand der Forschung zum Thema weibliche Hormone?
Lange Zeit lag das Thema „Hormone und Frauengesundheit“ komplett brach. Erstens sind es viel mehr Männer als Frauen, die forschen und das Thema per se nicht im Fokus haben. Noch dazu sind die Probanden in klinischen Studien meist männlich. Erst seit kurzem rücken Östrogen, Progesteron und auch Testosteron in der Forschung in den Fokus.

Sagen wir, eine junge Frau will mit der Pille verhüten. Steigert sie damit ihr Risiko, später an Brustkrebs zu erkranken?
Nein, dieser direkte Zusammenhang besteht nicht. Um an Brustkrebs zu erkranken, müssen viele Faktoren zusammenkommen. Bei der Pille spielen andere Risikofaktoren eine Rolle an. Denn die größten Probleme bei der Pille sind Stimmungsschwankungen oder das Thrombose-Risiko. Deshalb ist es wichtig zu wissen: Raucht sie? Ist sie übergewichtig? Welche Erkrankungen gibt es in der Familie? Können diese Risikofaktoren ausgeschlossen werden, ist das Risiko vor allem für eine Thrombose sehr niedrig. Im Gegenteil, eine lange Einnahme der Pille kann eventuell auch vor anderen Erkrankungen, wie zum Beispiel vor Eierstockkrebs schützen, denn dann finden nicht so viele Eisprünge statt und auch das Endometriose-Risiko kann reduziert werden. Ich kann die Pille nach wie vor empfehlen, würde übrigens aber auch zusätzlich zu einem Kondom raten, wenn es sich bei der Beziehung nicht um eine stabile Partnerschaft handelt. Sexuell übertragbare Krankheiten sind ein großes Thema, über das allerdings kaum mehr gesprochen wird. Warum sollte eine Frau sich diesem Risiko aussetzen?

Der Hormonhaushalt steht dennoch in Verbindung mit der Entstehung von Krebs. Wie ist das einzuordnen?
Generell weiß man, dass neben einer genetischen Veranlagung auch das Alter, in dem die Menstruation oder die Wechseljahre einsetzen, das Brustkrebsrisiko beeinflussen kann: je kürzer die Lebenszeit mit Regelblutungen ist, desto geringer ist das Risiko. Es sinkt zum Beispiel auch mit der Anzahl der Schwangerschaften und der Dauer der Stillzeit. Erkrankt eine Frau an einer bestimmten Art von Brustkrebs, können körpereigene Östrogene über Rezeptoren, die sich auf Krebszellen befinden, allerdings auch deren Wachstum fördern, wenn Brustkrebs einmal vorhanden ist. Deshalb setzt man zur Therapie „Anti-Östrogene“ ein. Körpereigene Östrogene sind vor allem bei Frauen erhöht, die adipös sind, weil Fettgewebe viel Östrogen produziert.

2002 gab es eine große Studie der Women’s Health Initiative, die Hormonersatztherapien in den Wechseljahren in engen Zusammenhang mit Brustkrebs gestellt hat, und 2019 eine Metastudie der University of Oxford mit dem gleichen Tenor. Was hat es damit auf sich?
Die WHI-Studie hatte erhebliche Mängel, aber hat Frauen das Leben schwer gemacht. Alle dachten sofort, sie bekommen von der Hormonersatztherapie Brustkrebs. Das war auch ein Hammer in der Fachwelt. Leider haben die Autoren der Studie erst viel später (2016) eingestanden, dass ihre Daten falsch interpretiert wurden. Die Probandinnen waren Frauen über 50 (im Durchschnitt 63 Jahre), die per se ein höheres Risiko für Brustkrebs haben als jüngere Frauen. Auch waren es Probandinnen, die schon zu lange im Hormonmangel waren. Über ein Drittel hatten Risikofaktoren für Brustkrebs (Adipositas, Raucherinnen) und alle wurden mit einem Präparat behandelt, das in Europa nur sehr selten angewendet wird und nicht den physiologischen Hormonen entspricht. Werden diese physiologischen Hormone verwendet, hat man in späteren Studien kein Risiko gesehen oder nur bei langen Behandlungszeiten. In der „Metastudie“ wurden Studien analysiert, in denen das gleiche unphysiologische Präparat wie in der WHI-Studie verwendet wurde oder synthetische Gestagene, von denen bekannt ist, dass sie das Brustkrebsrisiko erhöhen können.

Also gar kein Risiko?
Es besteht ein Risiko, das in den Lebenswandel eingeordnet werden muss, ähnlich wie bei der Pille. Eine Hormonersatztherapie steigert das Brustkrebsrisiko, wenn sie länger als fünf Jahre durchgeführt wird, insbesondere bei Präparaten, die als Kombination sowohl Östrogen als auch synthetisches Gestagen enthalten. Generell gilt: So geringe Dosen wie möglich, so kurz wie möglich und am besten transdermal, also über die Haut. Sobald die Hormone zur richtigen Zeit abgesetzt werden, sinkt das Risiko innerhalb weniger Jahre wieder auf das durchschnittliche Maß. Viele Studien zeigen sogar, dass eine frühe Hormontherapie in der Menopause nicht nur effektiv die klimakterischen Symptome behandelt, sondern auch das Risiko für Osteoporose senkt und sich günstig auf das Herz-Kreislauf-System und das Schlaganfall-Risiko auswirkt. Es gilt: Risiken und Nutzen müssen für jede Frau individuell abgewogen werden.

Die Verunsicherung scheint dennoch geblieben zu sein?
Ja, aber wir Frauen müssen wegkommen von diesem „Da-muss-ich-jetzt-durch“. Fast jede zweite Frau leidet stark unter Wechseljahrbeschwerden. Das sind Frauen, die mitten im Leben stehen und plötzlich teilweise alle paar Stunden mit Hitzewallungen überschüttet werden, die starke Stimmungsschwankungen haben, die sich nicht mehr konzentrieren können, weil sie Schlafmangel haben und manchmal auch noch unter Scheidentrockenheit leiden. Sie haben das Gefühl, ihren eigenen Körper nicht mehr im Griff zu haben. Bereits ab Mitte 40, Anfang 50 können Frauen unter Hormonschwankungen leiden. Und der Mehrheit schlägt das nun mal massiv auf die Lebensqualität.

Und was sollten Frauen bei Hormonersatztherapien bedenken?
Natürlich kann jede Frau versuchen, die Beschwerden alternativ in den Griff zu kriegen. Kurzum: Gesünder leben, mehr Bewegung, Stress abbauen. Das reicht aber oft nicht. Bei starken Beschwerden schlagen wir eine Fünf-Jahres-Therapie vor, dann ist das Brustkrebsrisiko vernachlässigbar oder nicht vorhanden, besonders wenn die Hormone verwendet werden, wie sie auch der Körper selbst bildet, das heißt Östradiol und Progesteron. Alles, was darüber hinaus geht, muss individuell besprochen und bei jedem Medikament die besagte Nutzen-Risiko-Abwägung gemacht werden. Man sollte aber nicht erst anfangen, wenn die Menstruation länger als fünf Jahre vorbei oder die Frau über 60 ist. Dann sind die negativen Wirkungen, die der Hormonmangel hat, schon da. Eigentlich sollte man bei den ersten Symptomen mit der Hormonersatztherapie anfangen. 

Wann steht das Fehlen von Hormonen in direktem Zusammenhang mit Erkrankungen?
Bei der Osteoporose. Frauen werden im Durchschnitt über 80. Wenn sie also 30 Jahre ohne Hormone leben, ist das absolut gravierend für den Knochenstoffwechsel. Ihre Knochendichte schwindet. Frauen sind davon fünfmal häufiger betroffen als Männer. Deswegen passiert es so oft, dass Frauen über 60 einen Oberschenkelhalsbruch haben oder unter Knie- und Hüftproblemen leiden. Der Knochenabbau fängt mit dem Östrogenmangel an. Auch Herzerkrankungen können in Folge des Hormonmangels häufiger entstehen. Frauen sollten nach der Menopause regelmäßig ihre Knochendichte messen lassen. Dazu rate ich sehr. 

Gibt es Alternativen zur Hormonersatztherapie?
Die am häufigsten empfohlenen Alternativen sind pflanzliche Präparate, zum großen Teil nicht verschreibungspflichtig, weil sie nicht als eigentliche „Arzneimittel“ gelistet sind. Dies bedingt allerdings auch, dass Studien, vor allem Langzeitstudien, wie sie mit der Hormonersatztherapie durchgeführt wurden, fehlen. So kennen wir mögliche Risiken einer Langzeitanwendung nicht, obwohl pflanzliche Substanzen bekanntlich sogar toxisch sein können. Die Wirksubstanzen in diesen Präparaten sind allerdings niedrig dosiert, und die üblichen Präparate werden seit Jahren und sehr häufig angewendet, so dass das Risiko gering sein sollte. Eingesetzt werden Präparate wie Soja-Produkte oder Rotklee-Extrakte, die teilweise auch über spezielle Östrogenrezeptoren wirken (sogenannte „Phytoöstrogene“), aber auch anders wirksame pflanzliche Produkte wie Cimicifuga-Präparate (Traubensilberkerze), Yamswurzel-Extrakte und Johanniskraut. Die Wirkung erstreckt sich im Allgemeinen nur auf klimakterische Beschwerden, also zum Beispiel kein nachgewiesener Knochenschutz, und ist sicher geringer als mit einer Hormonersatztherapie.

Und was macht Testosteron mit Frauen?
Im Prinzip das gleiche wie mit Männern. Es steigert Muskelaufbau und Leistungsfähigkeit, Blutbildung und Libido werden angeregt. In der Zeit des Eisprungs produziert der weibliche Körper vermehrt Testosteron und die Libido steigt. Ein Mangel kann Gelenk- und Muskelschmerzen, Kraftlosigkeit und andere Beschwerden verursachen. Wenn Frauen zu viel davon haben, ist es schwieriger, schwanger zu werden. Zu viel Testosteron kann auch eine aggressive Akne verursachen oder eine männlichere Behaarung. Es macht Frauen aber nicht zum Mann. Genauso wenig wie Östrogen Männer nicht zu Frauen macht. Diese Zuschreibungen sind dann soziokultureller Art. Beide Geschlechter haben beide Hormone und brauchen sie auch dringend. 

Frauen, bei denen beide Eierstöcke entfernt wurden und die Hormone substituieren müssen, scheinen oft nur Östrogen und Progesteron zu bekommen, auf Testosteron wird verzichtet. Hat das einen Grund?
Wenn, unabhängig von den Gründen, beide Eierstöcke entfernt werden mussten, ist das Risiko von Hormonmangel-bedingten Beschwerden (wie nahezu sofort schwere Hitzewallungen) oder Erkrankungen wie Osteoporose so hoch, dass man gleich Hormone substituiert. Was Testosteron angeht, gibt es in Deutschland keine für Frauen zugelassenen Präparate. Bei der Verwendung von Präparaten, die für Männer erhältlich sind, besteht ein relativ hohes Risiko der Überdosierung. Es kann zu starkem Haarwuchs und einer Vermännlichung der Stimme kommen. Zudem liegen nur ganz wenige Studien vor, so dass man Nutzen und Risiken derzeit nicht abschätzen kann. Trotzdem kann in Einzelfällen, etwa bei Libidostörungen, substituiert werden, z.B. mit geringsten Mengen der für Männer zugelassenen Gele und genauer Überwachung der Blutspiegel. Der Erfolg gilt jedoch in der Forschung als fraglich.

Gibt es eine Art Faustregel zum Thema Hormoneinnahme?
Frauen müssten sich mehr trauen, über ihre Beschwerden in den Wechseljahren zu reden. Jedes Symptom, das die Lebensqualität einschränkt, kann mit einer guten, individuell abgestimmten Hormonersatztherapie behandelt werden. Deswegen muss keine Frau Angst vor Krebs haben. Wir sollten unser Leben genießen können.

Das Gespräch führte Annika Ross.

 

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