Kristen Stewart: Die Unangepasste

Foto: James Devaney/Getty Images
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Auf dem Interviewsofa des Sundance Film Festivals war Kristen Stewart kaum wiederzuerkennen. Die kalifornische Schauspielerin, die bei Pressetouren für die Vampirsaga „Twilight“ noch den Blickkontakt mit Journalisten mied und auf dem roten Teppich wie ein schüchterner Teenager wirkte, hat plötzlich eine Stimme. „Auch nicht politisch engagierten Menschen ist mehr als klar, dass grundlegende humanitäre Ideen mit Füßen getreten werden“, kommentierte die 27-Jährige das Trump-Klima in den Vereinigten Staaten.

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Wenige Tage später marschierte sie bei einem Women’s March in Park City, dem Veranstaltungsort des Filmfestivals, mit. Mit pinkfarbenem Pussy Hat. Gemeinsam mit hunderten Frauen forderte Kristen Stewart Donald Trump auf, der Organisation Planned Parenthood und ihren Kliniken für Verhütung und Abtreibung nicht die Mittel zu streichen. Selbstbewusst posierte die Schauspielerin bei ihrem Protest für die Fotografen. Kinderstars wie Macaulay Culkin und Alisan Porter verschwanden nach einigen Jahren als niedliche KinoheldInnen wieder von der Bildfläche. Stewart aber hat sich zu einer der erfolgreichsten und mutigsten Darstellerinnen Hollywoods entwickelt. Aus der verhuschten Bella Swan der „Twilight“-Saga ist eine Frau geworden, die selbst die auf Rollenmuster fixierte Filmbranche nicht in eine Schublade stecken kann.

Sie ist eine Frau jenseits der Rollenmuster geworden

Auf Verrisse ihrer „Twilight“-Rolle („Stewart spielt so ausdrucklos wie eine Mauer“) folgte vor zwei Jahren ein César, der Oscar Frankreichs. Die Académie des Arts et Techniques du Cinéma, die die renommierte Auszeichnung erstmals an eine Amerikanerin vergab, lobte Stewarts Darstellung in Olivier ­Assayas’ „Die Wolken von Sils Maria“ als ungewöhnlich, facetten­reich und tief.

„Ich verlasse mich jetzt auf mein Bauchgefühl“, erklärte ­Stewart ihre Evolution. Nach vielgelobten Parts in Richard Glatzers Alzheimer-Drama „Still Alice“, dem Independentfilm „Certain Women“ und der deutsch-französischen Produktion „Personal Shopper“ zeigte die Schauspielerin Ende Januar bei Sundance nun sogar ihre erste Regiearbeit: Für den Kurzfilm „Come Swim“, die surreale Reise durch die Phantasie eines Mannes, experimentierte Stewart mit künstlicher Intelligenz und neuronalen Netzen.

Stewarts Coming of Age folgte ihr Coming out. Nach Beziehungen zu Schauspielkollegen wie Michael Angarano und Robert Pattinson sowie einer Skandalromanze mit dem „Snow White and the Huntsman“-Regisseur Rupert Sanders liebt sie jetzt Frauen, ohne sich auf Kategorien wie „lesbisch“ oder „bisexuell“ festlegen zu lassen. Mit ihrer Freundin, dem Model ­Stella Maxwell, zählt Stewart seit einigen Monaten zu Holly­woods attraktivsten Paaren. Den Versuch, frühere Begleiterinnen – wie ihre Assistentin Alicia Cargile, die französische Sängerin Stéphanie Sokolinski oder die Musikerin St. Vincent – vor den Paparazzi zu verstecken, hat sie gegen eine selbstbewusste Offenheit getauscht.

Die Fans aus schüchternen „Twilight“-Tagen sind Stewart dennoch treu geblieben. Bei vielen gilt „K-Stew“ seit ihrem Bekenntnis zu sexueller Fluidität als Leuchtfeuer der Selbstbestimmung. Die amerikanische Queer Community feiert sie als Vorreiterin. „Ich gehe davon aus, dass es in drei oder vier Jahren viel mehr Leute gibt, die es nicht mehr für nötig halten herauszufinden, ob sie homosexuell oder heterosexuell sind. Macht einfach, was ihr wollt!“, rief die Schauspielerin in der amerikanischen Zeitschrift Nylon auf.

Eine starke Frau gilt in Hollywood schnell als Zicke

Stewarts Unabhängigkeit bekommt auch Hollywood verstärkt zu spüren. Ihre Weigerung, auf roten Teppichen in die Kameras zu lächeln, gilt als legendär. Die vorsichtige Distanz vieler Schauspielerinnen zu Feminismus outet die 27-Jährige gern als Duckmäusertum. „Sie bekennen sich nicht öffentlich zu Feminismus und der Gleichstellung von Frau und Mann, weil sie meinen, dadurch als aggressiv wahrgenommen zu werden“, kritisierte sie.

Gerade in Hollywood, das weibliche Stars gern in die Form der süßen, lustigen Protagonistin presse, gelte eine starke Frau schnell als Zicke, klagte Stewart. Sie selbst hat sich auch äußerlich von den Erwartungen der Filmbranche emanzipiert. Statt wallender Mähne trägt sie heute Bob oder Bürstenschnitt. Ihre mädchenhaft-harmlosen Outfits der „Twilight“-Ära sind Lederjacke und Converse-Sneakers gewichen.

Der Ruf kreativer Gereiztheit, der Stewart begleitet, schlägt sich auch vor der Kamera nieder. Während eines Auftritts bei der Comedyshow „Saturday Night Live“ machte sie sich kurz nach Präsident Trumps Amtseinführung über das Interesse des 70-Jährigen an ihrem Liebesleben lustig. Der Politiker hatte während Stewarts Trennung von ihrem früheren Lebensgefährten Pattinson im Herbst 2012 via Twitter immer wieder Partei gegen die Schauspielerin bezogen. „Ich glaube nicht, dass er mich hasst. Er war wohl nur in meinen Freund verliebt“, spottete sie.

Tausende AmerikanerInnen feierten Stewarts Humor in sozialen Medien anschließend als „Comic relief“ in Zeiten politischer Orientierungslosigkeit. Dass Stewart auch künftig kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, garantiert ihr neues Lebensmotto: „In letzter Zeit habe ich das ,Es tut mir so leid‘ reduziert. Jetzt gilt ,No, fuck!‘“

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