Malala Yousafzai, die Aktivistin

Nobelpreisträgerin Malala Yousafzai. - © imago/Xinhua
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Wenn Malala Yousafzai am 10. Dezember in Oslo den Friedensnobelpreis entgegenimmt (zusammen mit dem indischen Kinderrechtler Kailash Satyarthi), gilt das Millionen Kindern und Frauen – aber ein Mann wird ­besonders stolz sein: ihr Vater Ziauddin (Foto links). „Ich danke meinem Vater, dass er meine Flügel nicht gestutzt hat. Dass er mich hat fliegen lassen.“ Das waren die ersten Worte, die die 17-jährige Malala nach Erhalt der guten Nachricht am 10. Oktober sprach. Sie hatte sie während des Chemieunterrichts an der Schule in Birmingham erfahren.

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Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, am 9. Oktober 2012, hatten Taliban im pakistanischen Swat-Tal den Schulbus gestürmt mit den Worten: „Wer ist Malala?“ Alle Mädchen senkten den Kopf, nur Malala nicht. Die Taliban schossen gezielt auf den Kopf – das, was sie am meisten hassen an Frauen. Die damals 15-jährige Malala hatte es nur ihrer Bekanntheit zu verdanken, dass sie ausgeflogen wurde nach Großbritannien, wo Ärzte ihr nicht nur das Leben, sondern auch die Gesundheit retteten. Ihre Familie – Vater, Mutter und zwei Brüder – zog ihr nach und lebt seither in England. In Pakistan wäre Malala in Lebensgefahr.

Alle Mädchen
im Bus senkten
den Kopf - nur
Malala nicht

Zwar gratulierte ­Ministerprä­sident Nawaz Sharif Malala ­öffentlich zum Nobelpreis mit den Worten, Malala sei „der Stolz unseres Landes“. Doch gleichzeitig ließen die Taliban das Mädchen wissen: „Wir haben scharf gewetzte Messer für die Feinde des Islam vorbereitet.“ An eine Rückkehr der Familie Yousafzai in ihre Heimat ist vorläufig nicht zu denken.

Malalas Vater hatte vor der erneuten Machtergreifung der ­Taliban im Swat-Tal eine Mädchenschule gegründet, die er seither leitete. Und obwohl Malala einen älteren Bruder hat, auf den traditionelle Väter ihren Ehrgeiz beschränken, ermutigte und ­förderte er seine Tochter. 

Als die Taliban 2011 im Swat-Tal wieder die Macht eroberten, begann die damals 11-jährige Schülerin zu bloggen. Die BBC bot ihr daraufhin an, ein Tagebuch auf ihren Seiten zu ­veröffent­lichen. Das pakistanische Fernsehen berichtete, und Malala wurde Sprecherin eines Kinderparlaments. Diese Bekanntheit brachte sie in Gefahr – aber rettete ihr auch das Leben.

Im Westen wurde sie zum Symbol des Widerstandes. „Ich bin Malala“ heißt ihre Autobiografie, die sie 2013 veröffentlichte. Sie erhielt den Sacharow- und den Simone-de-Beauvoir-Preis und hielt am 12. Juli 2013 eine bewegende Rede vor der UNO. „Lass uns zu Büchern und Stiften greifen, das sind unsere mächtigsten Waffen“, sagte sie in New York. „Denn die Extremisten fürchten sich vor gebildeten Frauen.“

Wie tödlich dieser Hass auf den aufrechten Gang der Frauen sein kann, wird der Weltöffentlichkeit gerade von den Söldnern des selbsternannten „Islamischen Staat“ vorgeführt: Sie massakrieren „nichtgläubige“ Männer und missbrauchen und versklaven die Frauen und Kinder.

Bücher und
Stifte sind die mächtigsten Waffen

Malala hatte bereits 2013 auf der Liste der Nobelpreis-Verdächtigen gestanden. Dass sie den Friedenspreis jetzt erhält, in Zeiten der dramatischen Offensive der Gotteskrieger, ist durchaus als Zeichen zu verstehen. Und als Ermutigung zum Widerstand, vor allem für Mädchen und Frauen. 

Anlässlich des Preises für Malala gab es erneut Kommentare, in denen Ziauddin Yousafzai, dem Vater, vorgeworfen wurde, er funktionalisiere seine Tochter. So schrieb eine Autorin in der FAZ, Malala würde „seit sie klein ist benutzt. Vor allem von ihrem Vater“. Das ist unerhört!

Denn was für ein Leben hätte Malala ohne diesen Vater gehabt? Malala sagte es selbst: „Wir Mädchen sollten zu Hause bleiben, kochen, putzen und die Männer bedienen. Ich war zehn Jahre alt, und mir war klar, dass ich etwas tun musste. Sonst wäre ich mit 14 oder 15 verheiratet worden, hätte Kinder bekommen und das wäre mein Leben gewesen.“ 

Wie großartig also, dass es inmitten dieses Meeres von Frauenverachtung einen Mann gibt, der nicht nur einen Sohn ernst nimmt, sondern auch seine Tochter! Mehr noch: der diese Tochter fördert und ermutigt – und so stolz macht, dass die 17-Jährige heute erklärt: „Es ist mein großer Traum, eines Tages Premierministerin von Pakistan zu sein.“ Und sie weiß auch schon genau, wann. „Politiker sind meistens 35 Jahre oder älter“, erklärte sie. „Ich habe also noch 18 Jahre Zeit zu lernen.“ Malala, wir träumen mit!

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Malala Yousafzai (mit Christina Lamb): „Ich bin Malala“ (Knaur TB)
Ü: Elisabeth Liebl, Sabine Längsfeld und Margarete Längsfeld.

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Friedensnobelpreis für Satyarthi

© Mujeeb Faruqui/Hindustan Times/Getty Images
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Die Verleihung des Friedensnobelpreises an eine pakistanische Muslima und einen indischen Hindu ist ein Ausrufezeichen.  Gerichtet ist es an die Rückwärtsgewandten in der islamischen Welt und ihre salafistischen Terrorkommandos, ob sie nun Taliban, al Qaida, Boko Haram oder Islamischer Staat heißen. Gedacht ist der Preis aber auch als Appell an Staaten wie das Indien der Hindu-Chauvinisten, die unter Narendra Modi zwar als „größte Zivilisation der Welt“ Supermachtstatus einfordern, aber nichts dabei finden, dass nirgendwo auf der Welt so viele Kinder arbeiten müssen wie in ihrem Land.

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Doch nicht nur das. Ihre Ideologen verlangen: Frauen gehören in die Küche und ihre Aufgabe ist es, Söhne zu gebären. Mehr nicht. Der diesjährige Friedensnobelpreis ist also ein Preis für alle diejenigen, die gegen die Kultur der Ungleichheit kämpfen.

Der Preis ist für alle, die gegen die Kultur der Ungleichheit kämpfen.

„Bildung und Wissen sind die besten Waffen gegen Intoleranz, Gewalt und Armut“, sagen Malala und der indische Preisträger Kailash Satyarthi. Das macht sie gefährlich für alle, die mit Gewalt überkommene patriarchalische Strukturen  erhalten wollen.

Kailash Satyarthi ist ein sanfter Mensch. Aber eisenhart ist er seit Jahrzehnten in der Sache: Kinder vor Ausbeutung zu schützen, Kindern zu ihrem Recht auf Bildung zu verhelfen. Seine Kindermärsche durch Indien, einer ging sogar um die ganze Welt, haben so manches schlechte Gewissen geweckt. Doch wie immer in Indien, alles dauert unendlich lange, vor allem dann, wenn es um die Benachteiligten in der Gesellschaft geht, diejenigen, die ganz unten sind.

Dabei gibt es in Indien schon – oder erst? – seit 2009 ein Gesetz, das ein Recht auf kostenlose Schulbildung und Schulpflicht für alle sechs-bis 14-Jährigen vorschreibt. Aber weder ist die Schule gratis, noch gehen alle Kinder in die Schule. Vor allem nicht die Mädchen, die in der Mehrzahl kaum das 5. Schuljahr erreichen. Wozu denn auch, sagen ihre Eltern, sie heiraten ja doch bald.

In Indien gibt es etwa 60 Millionen Kinderarbeiter, weit mehr als doppelt so viele wie in Schwarzafrika. Viele von ihnen verrichten Sklavenarbeit ihr Leben lang, weil ihre Eltern Kredite dem Geldverleiher nicht zurückzahlen können. Sie schuften auf Feldern, sie schleifen Diamanten, reißen mit bloßen Händen kochend heiße Ziegel aus dem Brennhaufen, sticheln in dunklen Kellern Textilien für den Export, kriechen durch Bergwerke, basteln unter Lebensgefahr Feuerwerkskörper zusammen oder schieben 24-Stunden-Schichten in privaten Haushalten. Da bleibt keine Zeit für die Schule.

Indien ist der größte Sklavenmarkt für kleine Mädchen.

Zehn Millionen minderjährige Mädchen sind von ihren Eltern in den letzten beiden Jahren in die Prostitution verkauft worden. Indien ist der größte Sklavenmarkt für kleine Mädchen. Mehr als ein Viertel aller Mädchen werden im Alter zwischen zehn und 15 Jahren verheiratet, ein Drittel aller Kinderbräute auf der Welt leben in Indien. Jede dritte Frau in Indien kann nicht lesen und schreiben. Das sind Verhältnisse, die schlimmer sind als in Bangladesch und fast so schlimm wie im muslimischen Pakistan.

Schulbildung von Mädchen hat noch größere Auswirkungen auf eine Gesellschaft als die von Jungen. Denn gebildete Mädchen, das Zauberwort der Entwicklungspolitik heißt „empowerment“, sind Multiplikatoren des Fortschritts. In Ländern, wo Mädchen die Grundschule beendet haben, ist die Armut um ein Drittel zurückgegangen. Mädchen mit Schulbildung haben auch weniger Kinder. Das ist wichtig, wenn es darum geht, langfristig die Zahl ungebildeter, arbeitsloser, frustrierter junger Männer zu verringern, die nur noch einen Lebenszweck sehen: den gewalttätigen Extremismus.

Mit anderen Worten: Gebildete Mädchen und Frauen schaffen stabilere Gesellschaften. Sie sind die beste und billigste Waffe gegen die sich so rasant ausbreitende Kultur der Gewalt.

Bildung ist wichtig, um die Zahl frustrierter junger Männer zu verringern.

Pakistans Präsident nennt Malala scheinheilig den Stolz Pakistans. Dabei ist er selbst in großem Maße verantwortlich dafür, dass es in seinem Land noch weniger Bildungschancen für Kinder und vor allem kaum welche für Mädchen gibt als in Indien.

Auch in Indien wird der Nobelpreisträger vom Regierungschef gelobt, auch dort mit einer gewissen Scheinheiligkeit. Denn Narendra Modi hat sich zwar vorgenommen, alles für den Wirtschaftsaufschwung zu tun. Von funktionierenden Schulen für alle Kinder, auch die versklavten, war freilich weniger die Rede. Die bequeme Ausrede: Es fehlt an Geld.

Dabei haben Pakistan und Indien seit einem halben Jahrhundert unter Einsatz von Milliarden gegeneinander aufgerüstet. Malala und Kailash hoffen nun mit dem Nobelpreis im Rücken diesem Wahnsinn ein Ende machen zu können. Zusammen wollen sie auch dem Zankapfel Kaschmir, wo in diesen Tagen wieder gestorben wird, ein wenig Frieden bringen.

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