Winberg: Prostitution ist sexuelle Gewalt!

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Margareta Winberg ist Sozialistin und Ministerin für Gleichstellungsfragen (und Landwirtschaft) sowie Vizepräsidentin von Schweden. Die Ex-Lehrerin, Mutter dreier Kinder und erfahrene Frauenpolitikerin ist eine der Mütter des "Kvinnofrid" (Frauenfrieden) Gesetzes.

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Schweden hat eine feministische Regierung, und jeder unserer Minister, einschließlich des Ministerpräsidenten, wird zur Zeit trainiert, um in der Lage zu sein, femi­nistische Poli­tik auf allen Gebieten umzusetzen: Besteuerung, Kommunikation, öffentlicher Perso­nen­verkehr etc.
Wir, die Mitglieder der schwedischen Regierung, haben uns verpflichtet, vor jeder Entscheidung die Frage zu stellen: „Wie wird sich das auf Frauen auswirken und wie auf Männer?“ Mit unserer Methode, die Geschlechterfrage ins Zentrum zu stellen, wollen wir Machtstrukturen verändern. Das Ziel ist, jedem Individuum Chancen fürs Leben zu geben, die auf ihren Wünschen, Absichten und Wissen basieren – und nicht auf ihrem Geschlecht.
Was also ist von Prostitution zu halten? Nach unserer Definition ist Prostitution eine gravie­rende Form männlicher Gewalt gegen Frauen. Viele Männer betrachten es als ihr „natürliches“ Recht, gegen Bezahlung zu ihrem eigenen Vergnügen Frauen und Kinder, meist Mädchen, auszunützen. Manche tun es heimlich, andere prahlen offen damit und schämen sich nicht im Geringsten dafür. Viel zu viele Männer, in Schweden und im Rest der Welt, betrachten Frauen als Objekte, als etwas, das man kaufen und verkaufen kann. Wenn ihnen, den Männern, danach ist … Für uns ist es offensicht­lich, dass es eine eindeutige Verbindung zwischen Prostitution und Menschenhandel gibt. Ohne Prostitution gäbe es keinen Frauenhandel.
Die internationale Prostitutionsdiskus­sion hat sich bisher auf die Frauen konzentriert, die aus dem einen oder anderen Grund zur Prostitution gezwungen wurden. Heute erkennen wir jedoch, wo das wahre Problem liegt: nämlich bei den Käufern, den Kunden, den Männern!
Wenn wir nicht wagen, den Kern des Problems anzugehen, werden wir es nie schaffen, es zu lösen. Wir würden nur die Symptome behandeln, das heißt, uns um die Opfer, die Frauen „kümmern“. Was bedeuten würde, dass Männer weiterhin Frauen und Kinder ausbeuten könnten.
Das sind die Gründe für unsere einmalige Gesetzgebung, die den Erwerb sexu­eller Dienste verbietet. Laut schwedischem Recht ist es inzwischen nicht mehr erlaubt, einen anderen Menschen für Prostitutionszwecke zu kaufen. Frauen und Mädchen sind menschliche Wesen und daher nicht verkäuflich!
Daher haben wir, als bisher einziges Land der Welt, den Kauf von Menschen zu sexuellen Zwecken unter Strafe gestellt. Denn wir haben erkannt, dass Frauen und Mädchen keine Handelsgüter sind und dass Männer, die sie als solche behan­deln, bestraft werden müssen. Wir hoffen andere Länder zu ermutigen, unse­rem Beispiel zu folgen.
Es sind nicht die Gekauften, sondern die Käufer und Händler, also meistens die Männer, die ein Verbrechen begehen. Den sich prostituierenden Frauen jedoch sollten Angebote zur Fortbildung, wenn nötig Gesundheitsvorsorge und Unterstützung angeboten werden, um es ihnen zu ermöglichen, ein Leben mit einem Beruf zu führen, ohne sexuell ausgebeutet zu werden.
Die Prostitution ist eine der gravierendsten Formen der Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen, aufrecht-erhalten durch die ökonomischen und sozialen Strukturen der Gesellschaft. Diese Strukturen sind global. Frauen haben eine schwächere wirtschaftliche Stellung, sie besitzen weniger – in manchen Ländern überhaupt nichts – und haben im Allgemeinen weniger Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen. Für gleiche Arbeit werden sie oft schlechter bezahlt als Männer. Gleichzeitig tragen sie gewöhnlich mehr Verantwortung für die Erziehung und Versorgung der Kinder. Frauen sind in politischen Institutionen nicht im gleichen Maße präsent wie Männer.
Gleichzeitig hat es positive Entwicklungen gegeben. Die schwedische Regierung besteht momentan aus zehn Frauen und zwölf Männern, und Frauen stellen 45 Prozent des schwedischen Parlaments. Die Frauenbewegung hat mit ihrem Kampf für Frauenrechte und gegen die Unterdrückung der Frauen internationale Auswirkungen gehabt.
Aber es hat auch Rückschläge gegeben, und wir beobachten momentan eine heftige Gegenreaktion in der heutigen Gesellschaft. Diese Gegenreaktion manifestiert sich in drei Bereichen.
Erstens haben sich in großen Teilen der Dritten Welt die wirtschaftlichen Bedin­gungen für einen Großteil der Bevöl­kerung verschlechtert. Davon sind besonders Frauen betroffen. Die dramatischen Veränderungen in Osteuropa haben ebenfalls eine Reihe von negativen Konsequenzen. Neue Formen des organisierten Verbrechens und Mafia-ähnliche Netzwerke sind aus den Ruinen alter Machtstrukturen entstanden. Eine der Folgen sind die steigenden Opfer von Prostitution und Frauenhandel. In Schwe­den wurden die Auswirkungen sichtbar, als Zuhälter in unserem Land begannen, Frauen aus den baltischen Ländern und dem Nordwesten Russlands auszubeuten. Und europaweit werden jedes Jahr rund 500.000 Frauen aus den osteuropäischen Ländern und aus Asien in die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verschoben.
Zweitens mehren sich die Anzeichen, dass diverse Formen des Fundamentalismus überall auf der Welt an Einfluss gewinnen. Insbesondere der religiöse Fundamentalismus wirkt sich auf die Situ­ation von Frauen in negativer Weise aus und beeinträchtigt ihre Rechte. Diese Kräfte werden auch teilweise von der Führung der katholischen Kirche und gewissen politischen Gruppen im Westen unterstützt. Sie vereinen sich in ihrer Ablehnung von Frauenrechten, ihrer mangelnden Bereitschaft, Mittel für die Gesundheitsvorsorge von Frauen zur Verfügung zu stellen, und in ihrer Ablehnung des Rechts auf und Zugangs zu Abtreibung und Verhütungsmitteln.
Drittens beobachten wir seit einigen Jahren einen Anstieg im internationalen Drogenhandel. Netzwerke des organisierten Verbrechens machen mit dem Drogenhandel, Waffenhandel sowie Frauenhandel und Kinderhandel Profite. Drogenmissbrauch ist oft die Folge von Missbrauch und Folter, die die zur Prosti­tution gezwungenen Frauen durch Zuhälter und Frauenhändler erleiden.
Daher ist es so entscheidend, dass wir nach ganzheitlichen Lösungen suchen und unser Kampf gegen den Menschenhandel politische Priorität bekommt. Diese Konferenz bietet uns die Möglichkeit zu zeigen, dass wir, selbst wenn wir nicht immer ideologisch übereinstimmen, in der Lage sind, auf einem sehr wichtigen und für viele Frauen lebenswichtigen Gebiet übereinzustimmen und gemeinsam zu sagen: Frauen sind nicht käuflich! Stoppt die Prostitution und den Handel mit Frauen und Kindern!

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Dossier: Prostitution abschaffen! (3/03)
EMMA-Kampagne Prostitution

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