Menschenhandel: Schnelle Hilfe!

Erschöpfte Ukrainerinnen am Bahnhof. Den Bomben entkommen wartet die nächste Gefahr. - Foto:Hervé Lequeur/Abaca/dpa
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Die ukrainischen Frauen und Kinder, die am Berliner Hauptbahnhof aussteigen, können die blauen Schilder am Bahnsteig nicht übersehen. „Die Bundespolizei warnt allein reisende Jugendliche und Frauen vor auffälligen Übernachtungsangeboten. Wenden Sie sich nur an offizielle Stellen!“ Auch auf Twitter warnt die Bundespolizei auf Ukrainisch, Russisch und Deutsch: „Bitte wenden Sie sich umgehend an die Polizei, wenn Ihnen Geld für eine Unterkunft geboten wird oder Sie Personen beobachten, die dies tun.“

Am Münchner Hauptbahnhof verteilen Mitarbeiterinnen von „Jadwiga“, der Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel, ihre Flyer. Die „Safety Information for Women and Girls“ klärt auf: „In Bayern bieten gerade Viele Hilfe für Menschen aus der Ukraine an. Leider geben sich Personen mit schlechten Absichten als ‚Helfer‘ aus. Darunter können auch Menschenhändler sein.“

Und am Stuttgarter Bahnhof werden die Geflüchteten von der Initiative „Wolja“ in Empfang genommen, die deutsche und ukrainische Frauen gemeinsam gegründet haben. „Wolja“ vermittelt die Frauen aus Sicherheitsgründen ausschließlich an Hotels und Pensionen.

Der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine war gerade erst ein paar Tage her, da tauchten die ersten Berichte auf: An der polnischen Grenze waren Autos mit deutschem Kennzeichen aufgefallen, deren Fahrer sich als Helfer ausgeben und jungen, allein reisenden Frauen „eine Bleibe“ anbieten. Die Polizei informierte, Männer am Berliner Hauptbahnhof hätten Helfern, die sich um die ankommenden Frauen und Kinder kümmern, Geld geboten, wenn ihnen bestimmte Frauen „zugeteilt“ würden. Auch auf Facebook tauchen merkwürdige Posts auf: Es werden Unterkünfte für „Frauen zwischen 18 und 28“ angeboten. Sie sollen vorher jedoch ein Foto schicken.

EMMA berichtete zum ersten Mal am 7. März auf EMMAonline: „Zuhälter warten schon!“ Es war ebenso furchtbar wie erwartbar. Hunderttausende kommen aus der Ukraine nach Deutschland. Inzwischen weiß das Innenministrium, dass 85 Prozent davon Frauen sind, jede Fünfte ist allein gekommen. Gerade hatten sich die geflüchteten Frauen vor den Bomben gerettet, da wartete mitten in Deutschland die nächste Gefahr: Menschenhändler, die sich die unübersichtliche Situation – allein am Berliner Hauptbahnhof kommen in den ersten Tagen täglich 10.000 Geflüchtete an – und die Tatsache, dass die Frauen traumatisiert, erschöpft und oft auch mittellos sind, zunutze machen.

Die Abnehmer für die Ware Frau warten auch schon. In den Freierforen stehen Posts wie dieser: „Hab vor der Woche noch die Speckbacken von ner Sklavin mit dem Bambusstecken zum Glühen gebracht. Und Krieg ist immer irgendwo. Dabei denke ich vor allem an die jungen Ukrainerinnen, welche bald hier aufschlagen werden. Das wird ein Fest!“

Und der ganz gerissene Freier freut sich nicht nur auf das „Frischfleisch“ im Bordell, sondern versucht, sich am Bahnhof seine ganz private „Prostituierte“ zu organisieren. „Jetzt hab ich ein junges süßes Girl aus Kiew geflüchtet hier in München“, twittert einer.

Die Ehrenamtlerinnen von „Wolja“ erleben in den ersten Tagen gleich mehrmals, wie angebliche Helfer für die angebotene Unterkunft ganz offensichtlich eine Gegenleistung erwarten. Einer schreibt einer Frau, die gerade zu ihm unterwegs ist, auf WhatsApp: „Wenn du Singeline bist, bist du hoffentlich küssbar. Weil du musst mit mir im Bett schlafen. Und vielleicht fass ich dich an.“ Schockiert kehrt die Frau wieder um. „Wolja“ erstattet Anzeige. Eine andere Ukrainerin flüchtet mitten in der Nacht wieder aus der Privatunterkunft. Sie möchte nicht darüber sprechen, was passiert ist. Die Helferinnen beschließen, die Hilfesuchenden nur noch in Hotels und Pensionen unterzubringen.

Doch bei allem Schrecken gibt es eine gute Nachricht: Es wird immerhin über das Problem Prostitution gesprochen. Und es wird gehandelt. Von öffentlichen Stellen ebenso wie von privaten Initiativen.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) lässt PolizistInnen speziell für das Problem sensibilisieren. Dubiosen Männern an Bahnhöfen werden nun Platzverweise erteilt. Allerorten wird gewarnt, von der „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) bis Europol.

Doch nicht nur offizielle Stellen schalten sich ein, auch private Initiativen werden aktiv. Zum Beispiel Sandra Norak. Die Diplom-Juristin war als Jugendliche Opfer eines Loverboys und von ihm zur Prostitution gezwungen worden. Sie weiß aus eigener Erfahrung, mit welchen Methoden Frauenhändler arbeiten. Heute engagiert sie sich im Kampf gegen das System Prostitution. Sandra Norak berät als eins von 21 Mitgliedern im „International Survivors of Trafficking Advisory Council“ die OSZE bei deren Aktivitäten gegen Menschenhandel. Jetzt hat sie den „Deutscher Rat von Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung“ gegründet (Ge-STAC). Eine ihrer ersten Aktionen: Aufklärungs-Flyer für geflüchtete Ukrainerinnen. Wer in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, kann die Flyer bestellen und verteilen.

„Bisher wurden 20.000 Flyer bestellt, zum Beispiel von Frauenberatungsstellen und Landratsämtern, aber auch von vielen Privatleuten“, berichtet Sandra Norak. Eins findet sie auffällig: „In Städten, die Prostitution schon vor dem Krieg verharmlost haben, passiert auch jetzt wenig gegen die Menschenhändler. In Städten, die sich schon vorher kritisch mit dem Thema beschäftigt haben, haben es die Menschenhändler am schwersten.“

Wenn man so will, ist auch das eine gute Nachricht: Die Medien interessieren sich endlich für die traurige Rolle, die Deutschland bei der Begünstigung des Menschenhandels spielt: „Wir haben eine staatlich garantierte Infrastruktur für Prostitution mit Bordellen und Plattformen, auf denen Frauen angeboten werden. Solche legalen Strukturen begünstigen natürlich auch Straftaten wie Menschenhandel. Das muss sich dringend ändern“, fordert Sabine Constabel, Sozialarbeiterin und Vorsitzende von „Sisters“, in der Stuttgarter Zeitung. Und bei Radio Duisburg klagt die Rechtsanwältin Petra Jochheim von Solwodi: „Die Frauen kommen in das Bordell Europas. Die Freier fragen in den Foren schon nach ukrainischen Frauen. Und da steigen die Menschenhändler ein. Die Nachfrage sorgt dafür, dass der Menschenhandel funktioniert. Und das erlauben wir in diesem Land.“

Deutschland galt daher schon vor dem Krieg als beliebtes Zielland für Menschenhändler, die ihre „Ware“ hierzulande besonders gut an den Mann bringen können. Deshalb protestierten im Jahr 2017 ukrainische Feministinnen mit Schildern und Transparenten vor der deutschen Botschaft in Kiew. „Wir, die Frauen von FemUA Nordic Model, sind ukrainische Feministinnen, und unterstützen die Kriminalisierung von Freiern nach dem Vorbild Schwedens. Wir verstehen Prostitution als Gewalt, die von Freiern ausgeübt wird. Deutschland fördert die sexuelle Ausbeutung und lockt junge Frauen aus der Ukraine in die Prostitution“, klagten sie und warnten davor, die deutschen Gesetze in der Ukraine einzuführen.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk erklärt besorgt: „Bereits heute haben wir von Hunderten ukrainischen Frauen und Kindern keine Spur mehr.“ Deutschland, das „Bordell Europas“, hat über 2.200 legale „Prostitutionsgewerbe“, also Bordelle und Wohnungen. Es dürfte schwierig werden, ukrainische Opfer von Menschenhandel dort zu finden. Und das ist bei allem Guten eine sehr schlechte Nachricht.

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