Simone de Beauvoir über sich

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Vor der Praxis stand die Theorie: 'Das Alter' schrieb Simone de Beauvoir an der Schwelle ihres Alters, mit 60. 'Das andere Geschlecht' veröffentlichte sie 1949, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich selbst noch als "Anti-Feministin" bezeichnete. Sie, die die fundamentalste Analyse der Kondition der Frauen geleistet und damit den theoretischen Boden bereitet hat, auf dem der neue Feminismus fußt, sie glaubte bis Ende der sechziger Jahre an eine automatische Lösung der Frauenfrage im Sozialismus.

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Heute stellt sie enttäuscht fest, dass die sozialistischen Länder ihre Hoffnung auf Gleichheit zwischen den Menschen nicht erfüllt haben, und dass die heimischen Genossen zwar die Verhältnisse revolutionieren wollen, nicht aber ihr Verhältnis zu den Frauen. Simone de Beauvoirs schriftstellerisches und philosophisches Werk ist in 30 Sprachen und millionenfachen Auflagen erschienen.

Frauen standen von Anbeginn an im Mittelpunkt ihrer Romane, doch erst beim Schreiben des 'Anderen Geschlechts' wurde sie sich ihrer eigenen Betroffenheit als Frau bewusst. Und es dauerte ein weiteres Viertel Jahrhundert, bis sie sich eingestand, dass ihr Frausein auch ihr Grenzen gesetzt hat, die Männer nicht kennen. (So ist sie zum Beispiel ihr Leben lang als "Gefährtin Sartres" bezeichnet worden - eine Umkehrung wäre undenkbar ...)

Simone de Beauvoir war eine Ausnahmefrau. Eine, die so klug ist und so begabt wie die Männer. Eine, die sich den Konventionen nicht beugte, weder Ehefrau wurde noch Mutter. Eine, die nach den Sternen griff und sie erreichte. Aber auch Simone de Beauvoir, das Symbol der Fraubefreiung, ist nicht emanzipiert, kann es nicht sein in einer unemanzipierten Welt. Doch hat sie Millionen Frauen erreicht, hat ihnen einen Weg zur Emanzipation gewiesen. Sie wurde zum Symbol und Mythos unseres Kampfes.

Die Theorie allein hätte doch diese Rolle nicht spielen können. Erst das Zusammenwirken ihres Werkes und ihres Lebens, ihrer Analysen und ihrer Romane und Autobiographie, erlaubte Millionen Frauen auf der ganzen Welt die Identifikation. Sie fanden sich wieder in Beauvoirs Stärken und Schwächen, in ihrer Entschlossenheit und ihren Widersprüchen. Zu einer Zeit, in der der kollektive Frauenkampf noch nicht existierte, war ihr Leben, für das sie sich alle gewollten Freiheiten nahm, ein Exempel für viele.

Als 1970 die neue Frauenbewegung auch in Frankreich begann, war es für Simone de Beauvoir selbstverständlich, dazuzugehören. Sie versteht sich heute als "radikale Feministin" und meint damit, dass der existierende Unterschied zwischen Frauen und Männern ausschließlich Resultat unterschiedlicher Erziehung und Lebensbedingungen sei ("Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht"). Folgerichtig stellt sie alle sich aus diesem Unterschied ableitenden Nachteile und Privilegien der Geschlechter in frage. Sie ist gegen Abhängigkeit und Ausbeutung zwischen Frauen und Männern wie zwischen Menschen überhaupt.

Doch Simone de Beauvoir ist nicht nur als Schriftstellerin und Philosophin, sondern auch als Mensch weiter gegangen als die meisten. Die Pariser Tageszeitung Le Monde schrieb zu ihrem 70. Geburtstag: "Da sind nicht zuletzt das Beispiel ihres moralischen und intellektuellen Mutes, ihr Anstand und ihre Rigorosität, ihre manchmal bis zur Brutalität gehende Offenheit, ihre Konsequenz und Kühnheit. Da ist auch ihr Humor."

Das Interesse am Lauf der Dinge, die Leidenschaft für Gleichheit und Gerechtigkeit, die nicht nachlassende Kraft zur Empörung und ein gelassenes savoir vivre - das alles teilt sie nun seit fast 50 Jahren mit Jean-Paul Sartre, ihrem Lebensgefährten.

Ich habe sie erstmals 1970 getroffen, wo wir zusammen mit anderen Frauen in Frankreich die Kampagne gegen das Abtreibungsverbot anzettelten (Simone gehörte zu denen, die sich öffentlich selbst bezichtigten: "Ich habe abgetrieben".) Im Lauf der Jahre ist aus dieser gemeinsamen politischen Arbeit eine Freundschaft geworden.

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