Nancy Spero is here

Die 83-jährige Malerin in New York. © MdM Salzburg
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Die in farbigen Glassteinchen glitzernden Protagonistinnen aus Drama und Oper signalisieren den Passanten – und vor allem den Passantinnen – die kulturellen Leistungen von Frauen. Sie sind Trägerinnen der weiblichen Geschichte und Kultur und Verkünderinnen einer Ära der Frauen. Die Passagiere werden durch den Glanz der Heroinen, Stars und Diven an den Kachelwänden aus den Tiefen des U-Bahnschachtes und ihrer Alltagssorgen herausgehoben und ermutigt, sich an Größe und Macht der Frauen zu erinnern und sich daran aufzurichten.

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Hier sind wir mitten im Hauptthema der Künstlerin, dem sie seit ihren Anfängen als Malerin nachspürt und in solchen Wandinstallationen zur Vollendung gebracht hat. Es geht Spero darum, Frauen aus ihrer marginalen, nachrangigen Position nach vorne und nach oben zu holen, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken; ihre Geschichte, ihre Höhen und Tiefen, ihren Glanz und ihr Elend, das breite Spektrum ihrer Entfaltungsmöglichkeiten öffentlich zu machen und sie zu feiern.

Ihre Energie und Schaffenskraft schöpft die Künstlerin vor allem aus ihrem Ärger und ihrer Wut, aus einer Art heiligem Zorn über die Lage der Frauen. Diese Wut als Antrieb gab es immer in ihrem Leben, in ihrer Kunst jedoch anfangs noch nicht zielgerichtet.

Nancy Spero begann ihre künstlerische Karriere in den frühen 50er Jahren in Chicago. Nach dem Kunststudium an der Akademie des Institute for the Arts in Chicago heiratete sie ihren Studienkollegen Leon Golub, mit dem sie über 50 Ehejahre bis zu seinem Tode 2004 verbrachte, und mit dem sie drei Söhne und eine mit allen Tiefen, Höhen und Spannungen gelebte künstlerische Partnerschaft verbanden.

Das Paar ging in den existentialistischen 60er Jahren für einige Jahre nach Paris, wo zwei ihrer Kinder geboren wurden. Ihr damaliger Lebensstil entsprach den gängigen Vorstellungen von existentialistischer Boheme: kein Geld fürs Essen, stets in Intellektuellenkreisen unterwegs, immer rauchend, malte Nancy Spero in diesen Jahren düstere, fast monochrome Bilder von grob konturierter, archaischer Körperlichkeit. Thema: die Frau, das Paar, die Mutter – in schwerem Schwarz und düsteren Farben.

Intellektuell gab es damals viele Herausforderungen: Wegweisend für die feministische Orientierung von Nancy Spero wurde ab den 70er Jahren Hélène Cixous, ihre künstlerische Sprache wurde hingegen von Antonin Artaud geprägt. Dieser verfemte Antiheld des absurden Theaters beeindruckte sie durch die Radikalität seiner Schriften, mit denen er sich – weggesperrt in eine Irrenanstalt – gegen die Ohnmacht der Isolation wehrte.

Nancy Spero empfand eine vergleichbare "sprachlose" Ohnmacht als Frau, die kein Gehör findet, nicht wahr- und nicht ernst genommen wird. Sie begriff, dass Sprache als Herrschaftsinstrument gegen die Frauen verwendet wird. Sprache und Schrift wurden daher zu einem dominanten Element in ihrer Kunst – während der 70er und 80er Jahre als buchstäbliche Bildsprache, als Kombination von Bild und Text, und immer wieder, zuletzt bei der Biennale Venedig, im Motiv der (abgeschnittenen) Zunge und des Mundes.

Ihr bevorzugtes Medium wurde der Handdruck auf Papier, welcher die Unmittelbarkeit einer Wandzeitung mit der künstlerischen Qualität von Originalgrafik verbindet und als Installation auch direkt an die Wand gepinnt werden kann. Nancy Speros Kunst wurde zum Sprachrohr für Frauen.

Wichtige Werke dieser Periode sind die Zyklen "Codex Artaud" (1971/72) sowie "Hours of the Night" (1974) und "Torture in Chile" – ihre ersten dezidiert feministischen Arbeiten, die durch Amnesty-Berichte über Frauenfolterungen angeregt wurden. Nach "Torture of Woman" wechselten ihre Frauenfiguren von der Opferrolle in die der zornigen Frauen. 1976 bis 1979 entstand der monumentale Zyklus "Notes in Time on Women", ein 63 Meter langer Papierfries mit Frauenfiguren aus allen Zeiten, Weltgegenden und Mythen. Das aus gedruckten Texten und Figuren kombinierte Band entwirft eine Enzyklopädie der Frauen in Bildern. Von 1979 bis 1981 entstand "The First Language", sie greift damit wieder das Artaud’sche Thema der Macht der Sprache und der Ohnmacht der Sprachlosigkeit auf.

2003 sagte Nancy Spero rückblickend: "Aber erst als ich nach den Pariser Jahren in die USA zurückkehrte, habe ich das ganze Ausmaß der Ungleichheit in der Geschlechterpolitik begriffen und mich dann den Gruppen politischer Künstlerinnen angeschlossen." Ihre Politisierung wurde durch den Vietnamkrieg intensiviert, sowohl Nancy Spero wie Leon Golub wurden tatkräftige Unterstützer der Antikriegs-Bewegung und engagierten sich Zeit ihres Lebens gegen Krieg, Folter und Gewalt und für die Menschenrechte in aller Welt – und zwar sowohl mit künstlerischen wie mit politischen Mitteln.

Zwei Jahre nach der Rückkehr aus Frankreich begann Speros Mitarbeit in der Art Workers Coalition, ab 1969 auch bei "WAR" (Women Artists in Revolution) und in der feministischen Produzentinnengalerie A.I.R.. Anders als in Europa waren die Antikriegsproteste der 67er Generation nicht auf politische Aktionen beschränkt, sondern schlossen künstlerische und feministische Manifestationen ein.

Ab 1966 entstanden in New York die ersten Blätter der "War-Series", einer Serie von klein- und mittelformatigen Gouachen. Diese keineswegs machtvoll deklamatorischen, sondern in Format und Technik eher zurückhaltenden Arbeiten beeindrucken durch ihre wütende Antikriegshaltung in der Darstellung von Kriegshandlungen, Folterungen, Vergewaltigungen, Opfern und Zerstörung. Bis heute haben diese Bilder ihre Kraft nicht verloren und werden in den wichtigsten Museen der Welt ausgestellt.

Spero 2003 im Interview: "Den Frauen wird es im Krieg überlassen, sich um alles zu kümmern: die Babys, die Kinder – ohne Nahrung und Geld, sie bleiben als Opfer zurück, unfähig zu kämpfen, weil sie es nicht gelernt haben – weder anzugreifen noch sich zu verteidigen. Danach müssen sie aber den Dreck aufräumen. Der Krieg im Irak verschlechtert auch die Situation der Frauen in den USA. Die soziale Versorgung wird immer mehr gekürzt. Die Armen sind immer Frauen. Auch die Öffentlichkeit ist in Kriegszeiten völlig vermännlicht: Man sieht nur noch Bilder von Soldaten – in der Subway, auf den Brücken, im Fernsehen, hie und da erscheint in den Medien zwar auch eine weibliche Soldatin, sonst herrscht totale Absenz von Frauen."

Auf Nancy Speros Bilder von geschundenen, vergewaltigten, geopferten Frauen in den 60er und 70er Jahren folgten die Darstellungen der "angry women". Ihr Zorn über die Lage der Frauen war und ist auch die entscheidende Triebkraft im künstlerischen Schaffen und in den politischen Aktivitäten der Künstlerin bis in die neunziger Jahre.

Erst dann vollzog sich ein weiterer Wandel von den wütenden zu den hymnischen Frauengestalten, zu den Göttinnen und Heldinnen. Auch in diesen neueren Arbeiten verwendet Spero die Technik des Handdrucks auf Papier oder direkt auf die Wand, nun unterstützt von einer feierlichen Farbigkeit, in der Königsblau und Purpurrot dominieren. Die Arbeit mit Druckklischees als Vorlagen für die Frauenfiguren hat auch mit der fortschreitenden physischen Fragilität der Künstlerin zu tun, mit der schmerzhaften Gelenkentzündung ihrer Hände, die sie seit langem daran hindert, Pinsel oder Stift zu halten. Aus diesem Handicap entstand ein ganzes Universum von Frauenfiguren aus allen Zeiten, Weltgegenden, Kulturen und Mythen. Diese Figuren lagern in verschiedenen Größen in ihrem Atelier und dienen als Druckvorlage, bzw. als Schablonen und werden von der Künstlerin für jede Arbeit neu ausgewählt und in räumliche Position und farbige Komposition gebracht.

Heute sind einige hundert solcher Frauenfiguren einsatzbereit: Von der "Judenhure" Marie Sanders, über die keltische Göttin Sheela-na-gig, die dem Betrachter mit ihrer scharf gezahnten Vagina droht, über die weit ausschreitende Figur der Himmelsgöttin mit vier Brüsten, die sie aus Darstellungen der Göttin Nut und eigenen Vorstellungen collagiert hat, bis hin zur zeitgenössischen afroamerikanischen Olympiasiegerin, den Musical-Stars und den Hollywood-Diven, oder der altgriechischen Medusa, deren Blick Männer zu Stein erstarren lässt.

Alle diese Figuren und Figurinen – sie sind etwa zwischen 20 und 80 cm groß – tummeln sich als Schablonen mit Farbspuren von früheren Drucken in Schubladen, Kästen und auf den Tischen des New Yorker Ateliers. Nachts – wie alle Künstlerinnen/Mütter ist Nancy Spero eine Nachtarbeiterin – erweckt sie sie raschelnd zum Leben, kombiniert sie zu Prozessionen, Himmelswanderungen, rituellen Handlungen, Eroberungssprüngen im Weltenraum. Dabei transferiert sie Figuren aus dem Alltag in eine überirdische Sphäre, verewigt und feiert sie und verweiblicht den Kosmos. Sie erreicht diese Überhöhung durch Positionierung, Multiplikation, Verdichtung, serielle Reihung zu Prozessionen und Überlagerung der Figurinen im Bildraum oder auf der Wandfläche. Auf diese Weise erobern sie gleichsam den Raum, und zwar den alltäglichen, aber auch den Raum der Geschichte und den zeitlosen der Ewigkeit.

Am Morgen kommen dann die Assistentinnen der Künstlerin ins Studio und drucken die Schablonen mit den vorbestimmten Farben, geben ihnen kräftige Konturen und dynamische Substanz in intensiver Farbigkeit. Aber nicht nur Wunschfrauen bevölkern die Banner, Friese und Fahnen der Künstlerin, sondern durchaus auch abschreckende Frauen, wie jene Militia-Women der extremen Rechten in den USA, die mit Transparenten "Who needs jews, dikes, abortion, communism?" fragen.

Nancy Spero ist Frauen gegenüber nie unkritisch gewesen, sie hat schon zu viele Enttäuschungen in Sachen mangelnder Solidarität und Zögerlichkeit erlebt. Befragt nach ihrer eigenen Stellung als verheiratete Frau und Mutter von drei Kindern in der amerikanischen Kunstszene, bekennt sie, dass sie sich bis in die jüngste Vergangenheit gezwungen sah, ihren Familienstand zu verleugnen. Zwar haben einige amerikanische Künstlerinnen der älteren, bis 1935 geborenen Generation (wie Louise Bourgeois) Familie gehabt und Kinder großgezogen. Dies hat sich jedoch stets als Karrierehindernis erwiesen und wurde nach Möglichkeit verheimlicht. Es ist daher typisch für Künstlerinnen dieser Generation, dass sie als Einzelkämpferinnen erst in ihren Sechzigern Karriere machten und nur wenige den internationalen Durchbruch schafften.

Die mittlere Generation amerikanischer Künstlerinnen hat entweder ganz auf die Mutterschaft verzichtet oder sie plakativ im Sinne feministischer Kunst thematisiert, wie etwa Mary Kelly in ihrer "post partum"-Serie. Erst die jüngere Generation, für die andere Produktions- und Lebensbedingungen gelten, wagt sich unverkrampfter an die verpönte Verbindung Künstlerin & Mutter.

Auf die Frage, ob im Laufe ihres langen Kampfes für die Frauen Fortschritte erreicht wurden und wie sie die heutige Situation beurteile, antwortet Nancy Spero heute: "Ich glaube, dass wir zumindest eines erreicht haben: Wir haben keine Angst mehr davor, politische Kunst zu machen, in die Politik einzugreifen." Andererseits hat gerade die politische Komponente in ihrer Kunst dazu geführt, dass sie von den wichtigen Ausstellungsinstitutionen der USA Jahrzehnte lang geschnitten wurde und den Durchbruch erst Mitte der 90er Jahre schaffte. In den 90er Jahren war Spero, nicht zuletzt dank der Unterstützung von Galeristinnen und Kunstexpertinnen, in Europa bekannter als in den USA.

In den letzten Jahren häufen sich Spero-Ausstellungen und Retrospektiven in aller Welt. Ein Triumph war für die Künstlerin, die nie für den amerikanischen Pavillon bei der Biennale Venedig nominiert wurde, dass sie zur Venedig-Biennale 2007 eingeladen wurde. Sie zeigte eine große Installation – die wieder das Sprachmotiv thematisierte – im Hauptraum des Zentralpavillons.

Mit ihren 83 Jahren ist Nancy Spero heute eine Protagonistin der Kunst der letzten 50 Jahren, die mit ihrem Leben und ihrer Kunst beispielhaft und prägend für Generationen jüngerer KünstlerInnen wurde.

Speros Galerie in Deutschland:
www.barbaragross.de

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